Als es im Triell um die Vermögenssteuer ging, warnte Armin Laschet mit dem Bild, wie schlimm und impraktikabel eine Vermögensteuer wäre und illustrierte den Beamten, der durchs Haus liefe und jedes Glas umdrehe. Annalena Baerbock sagte hingegen, die Grünen wollen eine Vermögenssteuer prüfen. Olaf Scholz sieht in ihr eine Chance, Bildungsausgaben zu finanzieren. In jedem Fall haben es die drei Kandidaten geschafft, Unterschiede beim Thema Steuern herauszuarbeiten. Auch bei den anderen Parteien wurden am Tag danach in Fernsehdiskussionen Differenzen deutlich.
Wie kann man die Steuervorschläge der verschiedenen Parteien verorten und wo gibt es Veränderungspotenzial in Deutschland? Einige Besteuerungsformen tauchen in den Debatten immer wieder auf. Dazu gehören Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer und Einkommenssteuer. Der ehemalige finanzpolitische Sprecher der Grünen im Deutschen Bundestag, Gerhard Schick, mitinitiierte die Petition „Steuerprivilegien kippen“. Mit dieser will die „Bürgerbewegung Finanzwende“, dessen Vorsitzender er ist, in verschiedenen Steuerbereichen Veränderungen bewirken. Zusammen mit Vertretern vom „Netzwerk Steuergerechtigkeit“, das sich für eine am Gemeinwohl orientierte Steuer- und Finanzpolitik engagiert, und der Initiative #taxmenow, die aus Vermögenden besteht, die sich für eine höhere Besteuerung von Vermögen einsetzen, machte Schick vergangenen Freitag klar: „Schritt für Schritt wurde unser Steuersystem ausgehöhlt. Die Interessen der gesamten Gesellschaft zogen immer wieder den Kürzeren, wenn es um hohe Kapitalerträge und große Vermögen ging.“
Die Vorschläge der Bewegung bieten einen guten Startpunkt, das Veränderungspotenzial bei Steuern zu erforschen. Alle vorgeschlagenen Maßnahmen der Bewegung sollen insgesamt über 80 Milliarden Euro Steuern eintreiben. Bei knapp 800 Milliarden Euro Steuereinnahmen im Vor-Corona Jahr 2019 wäre das eine Steigerung von 10 Prozent.
Wo besteht Veränderungspotenzial?
Bei der Aufhebung von Erbschaftsteuerausnahmen erhofft sich Schicks Bewegung 6 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen. Sie beklagt vor allem die Steuerbefreiungen für Betriebsvermögen und dass größere Vermögen weniger besteuert werden als kleine. Die 127 größten Schenkungen seien mit einem Volumen von insgesamt 12 Milliarden Euro mit weniger als einem Prozent besteuert. „Wir brauchen wieder mehr Steuergerechtigkeit! Zu oft entscheiden Herkunft und Erbe über Lebenschancen und Einfluss“, meint Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. Besonders absurd sei es, dass Mietshäuser, die normalerweise nicht als steuerbefreites Betriebsvermögen zählen, aber einer bestimmten Menge steuerbefreit sind. So zahlt, wer ein Mietshaus mit 30 Wohnungen erbt, Steuern. Bei jemandem, der zehn Mietshäuser mit 300 Wohnungen erbt, gilt das hingegen als „Wohnungsunternehmen“ und es werden keine Steuern fällig.
Auch das Bundesverfassungsgericht bemängelte 2014, dass Unternehmenserben anderen Erben gegenüber bevorzugt werden. Norbert Walter-Borjans, SPD-Vorsitzender, beschreibt die komplexe Erbschaftsbesteuerung in seinem Buch Steuern – der grosse Bluff ausführlicher: Bei einer Erbschaft von über 26 Millionen Euro, bei der die fällige Erbschaftssteuer nicht gezahlt werden kann, ohne die Unternehmenssubstanz anzurühren oder über Jahre zu verteilen, wird die Steuer erlassen. Allein für den Zeitraum 2009-2014, in der diese Reglung galt, sollen laut Bundesfinanzministerium Steuermindereinnahmen von mehr als 43 Milliarden Euro entstanden sein. Die „Bürgerbewegung Finanzwende“ führt an, dass substantielle Änderungen der Erbschaftssteuer seitdem nicht stattgefunden haben, wenngleich es eine Anpassung im Jahr 2016 gegeben hat. Bei einer Wohnungserbschaft verhält es sich ähnlich: Der Bundesfinanzhof wertete die Handhabung bei der Vererbung von mehr als 300 Mietwohnungen als verfassungswidrig. Das Bundesfinanzministerium wies die zuständigen Finanzämter hingegen an, die Praxis fortzusetzen und das Gerichtsurteil als Einzelfall zu betrachten. Walter-Borjans beschreibt auch, welche große Rolle Schenkungen spielen: Für 2012 seien Erbschaften und Schenkungen von über 51,4 Milliarden Euro gerade einmal mit 4,2 Milliarden Euro besteuert worden. Schenkungen, die mit 26 Milliarden mehr als die Hälfte ausmachten, seien mit nur 2,3 Prozent besteuert worden. Dies ergibt sich vor allem aus ihrer besseren Planbarkeit und Freibeträgen, die sich alle 10 Jahre wiederholen.
Welche Partei will was?
Die Parteien sind bei der Erbschaftssteuer gespalten. Union und FDP lehnen eine Verschärfung ab, die AfD will sie ganz abschaffen. LINKE und SPD wollen Betriebserben stärker besteuern, bei den Grünen findet sich im Wahlprogramm nur die Anerkennung der Erbschaftssteuer als ausgleichendes Instrument wieder. Norbert Walter-Borjans, der früher Finanzminister in NRW war, bringt in seinem Buch zum Ausdruck, dass die Mittelschicht realisieren muss, nicht von Maßnahmen wie Erbschaftssteuer oder Vermögenssteuer betroffen zu sein, so wie es die Lobby bislang dargestellt habe. Zur Mittelschicht gehörten laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Jahr 2016 Personen, die ein reales Nettoäquivalenzeinkommen zwischen 15.719 Euro und 33.684 Euro hatten.
Bei der Vermögenssteuer ergibt sich ein ähnliches Bild in den Wahlprogrammen: So heißt es bei der Union: „Wir treten entschieden allen Überlegungen zur Einführung neuer Substanzsteuern wie der Vermögensteuer (…) entgegen.” Die FDP und AfD lehnen die Vermögenssteuer ab. Während sich Grüne und SPD eine Vermögenssteuer von einem Prozent vorstellen könnten, geht die LINKE weiter: „Wir wollen diese wieder erheben und Multimillionäre und Milliardäre mit einem progressiven Steuertarif von bis zu fünf Prozent in die Finanzierung einer gerechten Gesellschaft einbeziehen.” Grüne und SPD weisen allerdings darauf hin, dass sie mit der Wiedereinführung keine Arbeitsplätze gefährden wollen.
Was bringt eine Vermögenssteuer und welche Risiken birgt sie?
Die „Bewegung Finanzwende“ hat errechnet, dass eine Vermögensteuer von einem Prozent Einnahmen von 9,5 Milliarden Euro bei einem Freibetrag von 20 Millionen Euro bringen würde. Bis zu 24 Milliarden Euro seien bei einem Freibetrag von zwei Millionen Euro zu erwarten. 1997 kritisierte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil, dass Immobilien bei der Besteuerung besser behandelt würden als anderes Vermögen und erklärte die Vermögenssteuer in ihrer damaligen Form als verfassungswidrig. Die Vermögenssteuer ist seitdem ausgesetzt, aber nicht verboten.
In der repräsentativen Wiederholungsbefragung des „Sozio-ökonomischen Panels“ (SOEP) hat das DIW ermittelt, dass in Deutschland im Jahr 2017 alle Personen ab 17 Jahren im Durchschnitt über ein Nettovermögen von 108.449 Euro verfügten. Der Median der Vermögensverteilung lag allerdings bei nur 26.260 Euro. Das heißt: Die ersten 50 Prozent der deutschen Bevölkerung besaßen 26.260 Euro oder weniger Gesamtvermögen. Der Global Wealth Report 2019 der Credit Suisse zeichnet ein vergleichsweise schlechtes Bild in Deutschland: „Die Vermögensungleichheit ist in Deutschland höher als in anderen großen westeuropäischen Nationen. Der Gini-Koeffizient des Vermögens in Deutschland liegt in Deutschland beispielsweise bei 82 Prozent, verglichen mit 67 Prozent in Italien und 70 Prozent in Frankreich. Wir schätzen den Anteil der obersten 1 Prozent der Erwachsenen am Gesamtvermögen auf 30 Prozent, was ebenfalls hoch ist im Vergleich Italien und Frankreich, wo er in beiden Fällen bei 22 Prozent liegt.“
Doch Vermögenssteuern werden von einigen Instituten auch kritisch gesehen: In einem Gastkommentar in der Neuen Züricher Zeitung kritisierte Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, zusammen mit Rainer Kirchdörfer, Vorstand des Lobbyverbands Stiftung Familienunternehmen, die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer. Die eben dargestellte hohe Vermögensungleichheit ordnen die Autoren mit mehr Gelassenheit ein. Die Ungleichheit sei seit 2007 mehr oder weniger konstant geblieben. Hinzu komme, dass die Berechnungen der Ungleichheit im internationalen Vergleich auslassen, dass in Deutschland Renten- und Pensionsansprüche eine größere Bedeutung hätten als in anderen Ländern. Ein weiterer Kritikpunkt ist der bürokratische Mehraufwand: Mehr als 12.000 zusätzliche Stellen seien für das Eintreiben einer Vermögenssteuer nötig. Die Kosten könnten bei 20 Prozent der Einnahmen liegen, wenn nicht höher, denn die Bestandsaufnahme muss immer aktualisiert werden. Die Autoren führen weiter an, dass schon eine Vermögensteuer von einem Prozent verheerende Auswirkungen auf das Investitionsverhalten haben kann, insbesondere in der aktuellen Niedrigzinsphase. „Eine Simulationsrechnung des Ifo-Instituts über acht Jahre zeigt, dass bei einer Vermögenssteuer von einem Prozent die Investitionen der inländischen Unternehmen um 11 Prozent zurückgingen, die der ausländischen um 20 Prozent. Nach den acht Jahren wäre das Bruttoinlandsprodukt um bis zu 6,2 Prozent niedriger als ohne Vermögenssteuer.“ Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft weisen zudem auf minimale Effekte hin: Selbst nach zehn Jahren Vermögensteuer betrüge die Veränderung in der Vermögensungleichheit nicht einmal ein Prozent.
Lieblingsthema: Spitzensteuersatz
Neben den Unterschieden bei den Substanzsteuern, Vermögens- und Erbschaftssteuer, gibt es auch große Differenzen, wenn es ums Einkommen geht. Die Union und SPD versprechen, mittlere und kleine Einkommen zu entlasten. Die FDP will den Spitzensteuersatz von 42 Prozent erst bei höheren Einkommen ab 90.000 greifen lassen. Momentan greift dieser schon bei 57.052 Euro. Die Grünen hingegen wollen ab einem Einkommen von 100.000 Euro eine neue Stufe mit einem Steuersatz von 45 Prozent einführen. Bei einem Einkommen von 250.000 Euro soll eine weitere Stufe mit einem Spitzensteuersatz von 48 Prozent folgen. Am ambitioniertesten ist die LINKE, die ab 70.000 Euro zu versteuerndem Einkommen im Jahr einen Steuersatz von 53 Prozent erheben will.
Die „Bewegung Finanzwende“ errechnete, dass eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 53 Prozent ohne Anpassungseffekte über 14 Milliarden Mehreinnahmen einbringen. Fest steht, dass die Einkommensverteilung in Deutschland immer weiter auseinander geht. Folgt man den Daten des SOEP, war das Durchschnittseinkommen des obersten Dezils 1991 4,9-mal höher als das des untersten Dezils. 2016 war es 7,3-mal so hoch.
Steuerpolitik: eine langsame Maschine
Es tat gut, dass der Wahlkampf am vergangenen Wochenende Fahrt aufnahm. Die Komplexität beim Thema Steuern kann weder im Triell noch in einem Artikel ausreichend beleuchtet werden. Die Unterschiede, die bei Baerbock, Laschet und Scholz nun Konturen annehmen, erstrecken sich in jedem Fall auch auf das Thema Steuern. Die Einführung von einer Vermögenssteuer oder die Erhöhung des Spitzensteuersatzes spaltet die Kanzler- und Spitzenkandidaten. Man kann aber mit Sicherheit sagen: weder die 53 Prozent Spitzensteuersatz, welche die Linken fordern, noch die 90.000 Euro, ab denen jener nach der FDP greifen soll, werden sich realisieren lassen. Denn auch wenn wir endlich über Steuern reden: Sie bleiben komplex und sind das Kompromissthema bei Koalitionsverhandlungen schlechthin.
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