Gelungene Großveranstaltung

Documenta Jetzt noch für ein Tag oder zwei Tage schnell nach Kassel? Kurz vor Ende der 13. Documenta gibt Christoph Bannat noch ein paar Tipps, was sich anzusehen lohnt

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Skulptur von Adrian Villar Roja in den Weinbergterrassen von Kassel
Skulptur von Adrian Villar Roja in den Weinbergterrassen von Kassel

Foto: Christoph Bannat

Die Documenta 13 ist eine wunderbar gelungene Großveranstaltung. Und das Wunder steckt irgendwo in der Magie, die die einzelnen Positionen zusammen hält. Es ist wohl Carolyn Christov-Bakargievs Händchen (besser: Kopf und Hand) für Inszenierung zu verdanken, dass die international besetzte Ausstellung keine Ego-Show wurde. Ich hab diese Documenta als Aufbauhelfer eineinhalb Monate erlebt und bin anschließend mit meinen Eltern noch einmal drei Tage als normaler Besucher in Kassel gewesen.

Wie viel Zeit hast Du in Kassel?

Profinörgler der SZ, bemängelten einerseits Text- – oder Rückständige, im Sinne der Aufklärung – Naturlastigkeit. Was bei Teilaspekten zutrifft, aber der Gesamtschau nicht gerecht wird. Was wirklich fehlt ist ein dionysisches oder satyrisches Lachen. Ein Aspekt dem die nächste Documenta gerecht werden könnte.

Grundsätzlich gilt: Dies ist eine wahrhafte Documenta. Documentiert sie doch die bürgerliche Versöhnung der Mittelklasse mit der Postmoderne. Und das Begleitbuch mit seinen kurzen informativen, aktuellen, gut geschriebenen und angenehm tendenziösen Texten hat hervorragend funktioniert.

Vor dem Documenta-Besuch stellte sich immer die Frage: Wie lange bleibst Du?

Hier meine Tipps:

Ein-Tages-Tipp:
Fridericianum. Im Brain wird die Ideenwelt der MacherInnen komprimiert vorgeführt. Eine Wand zwei Seiten. Lee Miller in Hitlers Badewanne und auf der anderen Seite Giorgio Morandi. Verbindung: Kriegs- und Nachkriegsjahre. Weltzu- und abgewandtes Arbeiten. Morandis Flaschen und Töpfe einerseits, als selbst gewählter Auftrag. Anderseits die Auftraggeber Lee Millers, die amerikanische Vogue. Zwei Medien. Von hier lassen sich Girlanden von Assoziationen über numerische und ästhetische Verbindungen über die Kriegsenddaten und Oberflächen (Leinwand, Keramik, Foto- und Printpapier) durch den gesamten Raum und über die gesamte Documenta spannen. Dazu kommen die Oberbegriffe: Zerstörung, Krieg, Aufbau und Über- bzw. kultiviertes Wuchern. Das CCB im Vorfeld das Wahlrecht für Erdbeeren propagierte war ein vorbildlicher medialer Coup. Mit der Propagierung dieser Metapher provozierte sie auf geniale Weise den unausgesprochenen Hauptwiderspruch: dass der Mensch sich hier nicht als Mittelpunkt der Schöpfung vorzustellen hat. Bei einer Kunstausstellung begreift sich doch jeder Künstler auch als Schöpfer – eine paradoxe Vorstellung.

Misslungen ist im Fridericianum nur der Charlotte Salomon-Raum. Wer die Ausstellung im Jüdischen Museum in Berlin gesehen hat, weiß wovon ich spreche.

Zwei-Tages-Tipp:
Fridericianum, Neue Galerie und Kulturbahnhof. Ein Vorteil von bildender Kunst ist, dass man sich seine Verweildauer vor ihr selbst bestimmen kann. Natürlich ist bei solchen Großveranstaltungen Erschöpfung ein wesentlicher Bestandteil. An die sich die Frage nach den Primäreffekte knüpft. Also nach jenen Effekten die einen noch durch die Erschöpfung hindurch sofort erreichen. Ein Vorgang, der durchaus zur Selbstbildung des Betrachters beiträgt. Im Sinne des Godard-Spruchs: im Kino zu schlafen heißt dem Film zu vertrauen.

Eine andere, räumliche Erfahrung: Wann musste man je über den Hinterhof zu einem Dali? Und ich wurde aufs Angenehmste überrascht, dass man Ryan Ganders kühle Brise oder Lara Favaretto Schrotthaufen wirklich gesehen haben musste und diese sich nicht mit ihren Erzählungen bereits erschöpften. Das Ottoneum, die Documenta-Halle und die Orangerie musste man dafür nicht gesehen haben. In der Neuen Galerie begeistert Wael Shawky, hier lohnt es sich länger zu verweilen. Momentan läuft eine großartige, denkerische Einzelausstellung einiger seiner Werke den Kunstwerken, Berlin.

Der Kulturbahnhof ist auch deshalb wichtig, da die Erschöpfung – bei meiner oben genannten Reihenfolge – hier seinen Höhepunkt erreicht. Verführerisch inszeniert, aber enttäuschend: William Kentridges Videoclip-Qualitäten. Dabei setzt er zu stark auf Musik.

Die anderen Außenräume, mit Ausnahme von Tacita Dean in der Spohrstrasse 7 und Adrian Villar Rojas an den Weinbergsterrassen, muss man nicht gesehen haben – auch wenn das Subtextstatement zu Stadt und Leerstand, beziehungsweise Besetzung von Leerstand, als ein wesentliches, gesellschaftliches gelesen werden muss. Im Hugenottenhaus kann man sich geschmackvoll patinierte Ikeawelttipps abgucken, das hat aber mit dem Versprechen von Kunst wenig zu tun.

Ein weiterer Tag wäre dann einer in der Aue und am Weinberg. Villa Rojas ist wie Angor Wat, J.L. Borges und Odyssee 2001 und Stalker an einem Hang. Allein seine Entdeckung lohnt diese Documenta. In den Auen muss man etwas länger bei Omer Fast und im Donna Haraway-Archiv beim Beuys Film bleiben. Sowie sich die komischen, unbeantworteten Time/Bank-Sequenzen in deren Videos finden. Janet Cardiff & Bures Miller kurzweiliges Dolby-Surround-Waldhörspiel beeindruckt mit seiner Überwältigungs-Rethorik und lässt sich mit einem „Gemütskitsch“ kontern. Lohnt sich auch deshalb. So auch die Shino Ohtake-Installation und Din Q.Le Zeichnungen. Dann muss man noch das gute, wenn auch nicht billige Essen in der Aue und im Kulturbahnhof loben.

Fazit: Gelungen. Weiter machen.

Frage: Wann kommt die Paradocumentic für erfolgsbehinderte Künstler?

Vorschlag für Katalogvorwortschreiber: Karl Theodor zu Guttenberg.

Christoph Bannat geb. 1960 in Hamburg. Siebdrucker, Gesellenbrief, Diplom Künstler, Studium Hochschule d. Künste Hamburg. Künstler, Aufbauhelfer, Journalist, Autor, Kurator. Lebt in Berlin.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Christoph Bannat | Let's Talk About Art

Sprechen wir über Kunst. Ein zweisprachiges Forum für Beiträge über Kunst – initiiert von Janine Sack Künstlerin und Art-Direktorin

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