„Abwärts und schnell vergessen …“

Sozialdemokratie Das Abwenden der SPD von ihren Urgedanken und die Anbiederung an das Groß- und Finanzkapital führen zu einer Abwanderung der treuesten Wählen. Wohin geht die Reise?

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Quo vadis?
Quo vadis?

Foto: Sean Gallup/Getty Images

„… worin uns're Schwäche besteht“. Ein wenig abgewandelt dieser Text eines alten Kampfliedes des Arbeiterklasse von 1931. Es drückt aus, in welcher Lage die „gute alte Dame“ der Arbeiterbewegung, also die SPD (#spd) sich befindet. Das große Bangen vor einer Wahlschlappe in Bremen und bei den Europawahlen. Die miesen Umfrageergebnisse in den drei Wahl-Ländern im Osten. Doch, wo liegen die Ursachen für dieses Desaster?

Die Wähler vergessen nicht. Auch wenn ich glaube, dass gut 80 Prozent der Wähler nicht so richtig wissen, warum sie ihr Kreuz an diesem Sonntag oder den weiteren Wahltagen dort hinsetzen, wo sie denken, dass es nach ihrem Empfinden richtig sein wird. Es sind immer Bauchentscheidungen, die der Bürger treffen wird. Denn er beschäftigt sich in seinem Lebensalltag wenig mit den tieferen Hintergründen und Zusammenhängen des politischen Geschehens. Dafür hat er gar keine Zeit bei dem großen bunten Angebot an Zerstreuung. Und da sind ja noch für viele die Arbeitsbelastung und das familiäre Engagement, die ein Nachdenken über Politik sehr einschränken.

Also, was schnappt der gute Bürger auf. Eine zerzauste SPD mit einem Mitgliederportfolio von ganz rechts – Thilo Sarrazin – bis ganz links – Kevin Kühnert, um nur die zwei bekanntesten Personen zu benennen. Und dazwischen reiben sich die an der Macht klebenden Mittelschichtler um Nahles und Scholz mit abstrusen Ideen und Kontrapunkten zu fortschrittlichen Gedanken in einem Hexenkessel brodelnder Hysteriesuppe auf.

Ja, der Wähler vergisst nicht. Denn der jahrelange SPD-Wähler hatte diese Partei für sich erkoren, weil sie ursprünglich von ihrem Gründungsgedanken her die Interessen der Arbeiterklasse vertreten hatte. Ja, die Betonung liegt auf der Vergangenheit. Es war nicht erst seit Kanzler Schröder, dass die SPD den Pfad der Tugend verlassen hatte. Die Wende in der DDR läutete den Untergang der „alten Dame SPD“ ein. Stimmen aus den eigenen Reihen warnten vor einem Überstülpen des bundesrepublikanischen Kapitalismus über die zerbröckelnde DDR, wie es Oskar Lafontain äußerte. Diese wurden übergangen. Im Taumel einer Erweiterung des Machteinflusses und der scheinbaren Übernahme „linker“ Mitstreiter für einen „kapitalistisches Wohlstandsstaat“ machten die Genossen blind für die eigentlichen Probleme, die hinter dem Beitrittsszenario steckten. Die SPD wurde über nun mittlerweile 30 Jahre zum Handlanger des Groß- und Finanzkapitals, das mit brutalen, aber doch süffisant angewendeten Methoden sich der erarbeiteten Werte des ehemaligen Volkseigentumbürgers bemächtigte. „Alles zum Wohle des gesamtdeutschen Volkes.“

Und jetzt kommt da ein Juso-Vorsitzender daher und paludert gegenüber den Medien ganz ursprüngliche SPD-Ideen aus. Vergesellschaftung von Eigentum. Wie geht denn so etwas, liebe Genossen. Da werden doch vielleicht auch Unternehmen enteignet, wo Ihr als Aufsichtsräte oder sogar Miteigentümer Eure Pfründe verlieren könntet. Es ist nicht wahr, wenn die SPD behauptet, dass mit einer starken Wirtschaft und deren Investitionen, auch der Wohlstand für alle Menschen hier im Lande steige. Schauen wir auf die Armutsberichte der letzten Jahre an. Die Reichen werden immer reicher und Armen immer ärmer. Welch abgedroschene Phrase, die aber an ihrer Aktualität nichts verloren hat. Und zwischendrin eine wabernde Schicht, die mit Händen, Ellenbogen und Füßen um sich schlägt, um einerseits nicht in die Abseitsfalle zu trampeln. In diesem Festhalten an den eigenen Wohlstandsstatussymbolen treten sie mit Wucht gegen die da Unten und benutzen hierfür die dogmatischen Propagandabegriffe auch einer SPD-Führungselite. Und auf der anderen Seite strebt diese Mittelschicht des Volkes nach Oben, um es den Geißens und Maschmeyers gleich zu tun.

Die SPD gibt ein jämmerliches Bild in der Diskussion um eine gerechtere Gesellschaft ab. Festgeschrieben in ihrem Programm unternimmt sie alles, dies öffentlich zu ignorieren oder verliert sich in Aussagenanpassung.

Was soll also der Wahlbürger von dieser Partei noch halten, die sich an ihr eigenes Konzept nicht halten will? Sie wählen die „alte Dame“ einfach nicht mehr. Denn wer nicht zu seinen Grundwerten steht und „mir“ dabei hilft, „mein“ Leben zukunftssicher zu gestalten, der hat einfach kein Recht auf „meine“ Stimme.

„Wenn genug Menschen falsche Versprechungen machen, verliert unser Wort seinen Wert. Dann gibt es keine Antworten mehr, nur bessere und bessere Lügen.“ Jon Snow aus „Games of Thrones“. Ein schönes und sicherlich adaptiertes Zitat aus einer erfolgreichen TV-Serie bringt es zum Ausdruck: Man glaubt nicht mehr den Lügen, dem Rumlavieren in Entscheidungsprozessen, wo es um den Bürger geht – siehe Thema Grundrente –, dem Anbiedern an das Groß- und Finanzkapital durch die SPD. Da verpasst man der „guten alten Dame“ als Wähler lieber einen Denkzettel, denn die Parteien rechts von den Volksparteien haben es geschafft, die Gefühle der Menschen anzusprechen. Davon scheint der Bürger beeindruckt. Aber nicht von dem Gezänk der Genossen um Nahles und Scholz gegen die ursprünglichen Ziele ihrer eigenen Partei: „Seit das Ziel der gleichen Freiheit in der Moderne zum Inbegriff der Gerechtigkeit wurde, waren und sind Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität die Grundwerte des freiheitlichen, demokratischen Sozialismus. Sie bleiben unser Kriterium für die Beurteilung der politischen Wirklichkeit, Maßstab für eine bessere Ordnung der Gesellschaft, Orientierung für das Handeln der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.“ (Hamburger Programm. Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Beschlossen auf dem Hamburger Bundesparteitag der SPD am 28. Oktober 2007. Seite 14)

Wenn sich also die Genossen nicht das halten wollen oder sogar dessen Inhalt bekämpfen, was sie da 2007 beschlossen haben, dann lieber Wähler tust Du recht daran, diese Partei nicht zu wählen. Jedoch ein Blick nach rechts von der SPD wird Dir in Deiner Zukunftshoffnung nach „versprochenem Wohlstand“ nicht helfen.

Es gibt andere Alternativen zur SPD, die seit Jahrzehnten einen Kampf für soziale Gerechtigkeit, Frieden und nachhaltige Umweltpolitik ausfechten. Bleib Dir treu, wenn es um Dich, Deine Kinder und Deine Enkel geht. Schau Dich um, wie es auch Deinem Nachbarn, wie weit auch er neben Dir wohnen mag, geht. Strafe mit Deiner Stimme die Geld- und Machtgier ab. Schau vorwärts ...

„Vorwärts und nicht vergessen,
worin unsere Stärke besteht!
Beim Hungern und beim Essen,
vorwärts und nie vergessen: die Solidarität!“
Solidaritätslied von Ernst Buch (1931)

Der Text kann keine vollständige Sicht auf die Dinge wiedergeben. Er ist eine verkürzte Sicht auf die gegenwärtigen Auseinandersetzungen in der SPD und die fehlende Einsicht, zu ihren ursprünglichen Wurzeln zurückzukehren.

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