Renate Barth: Unser letzter Sommer mit Sophie

Buchrezension Ein Kind darf nicht früher aus dem Leben scheiden, als seine Eltern. Renate Barth hat fast 30 Jahre gebraucht, um über den Verlust ihrer Tochter ein Buch zu schreiben.

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Wenn ein Kind stirbt, dann tritt eine Extremsituation für die Eltern und alle Verwandten ein. In dem vorliegenden Buch von Renate Barth wird diese beschrieben. Mehr noch, das Buch erzählt einem Roman gleich den langsamen und schmerzvollen Todeskampf eines kleinen Mädchens, das ihren 3. Geburtstag nicht mehr erleben wird. Die handelnden Figuren auf den knapp 200 Seiten sind jedoch real. Renate Barth, vor Jahren zu ihrem australischen Mann in deren Heimat gezogen, gibt ihre Angst um die Tochter Sophie über 30 Jahre nach deren Tod wieder. „Über das viel zu kurze Leben meiner Tochter“, untertitelt der Verlag Lübbe Bastei die Erlebnisse vom Beginn erster Symptome der unheilbaren Krankheit bis zum Abschiednehmen. Die Diagnose: Muskelkrebs (Rhabdomyosarkom). Heilungschancen: Unter zehn Prozent. Eine Wahrheit, mit der die Autorin und ihr Mann Peter konfrontiert wurden. Es nicht annehmen, nicht glauben, dass das geliebte Kind, die kleine süße Sophie nur noch wenige Monate zu leben hat. Die Veränderungen im Verhalten der Tochter, die einhergehen mit den Veränderungen im Freundeskreis. Zwischen geglaubter und wirklicher Isolation pendelt das Paar begleitet von den Eltern aus Deutschland an der australischen Küste die Lieblingsorte ihrer Tochter ab. Immer in der Hoffnung auf ein Wunder wartend.

Getragen wird die Familie, die sich eigentlich auf ein neues Leben in einem neuen Haus an einem der schönsten Strände am Rande von Sydney gefreut hatte, von Menschen, die Hilfe als und aus Berufung leisten. Dr. Dawson, der Arzt, der die verheerende Diagnose aufstellt und doch der erste ist, der sich traut, die Eltern medizinisch auf dem langen Leidensweg zu begleiten. Die Hausärztin Shirley und Krankenschwester Sharon übernehmen im vertrauten Heim die medizinische Versorgung – führsorglich, allzeit bereit und auch mahnend. Immer eine Stütze der Familie.

Trauerberater Mel McKissock wird zum Vermittler. Es spricht die Ehrenamtliche Hella an, die sich ebenfalls um die Eltern aus Deutschland rührend kümmert und über den Tod von Sophie hinaus eine Vertraute bleibt. Pastor Wiedemann wird mit der Taufe und der Beerdigung der seelische Beistand. Obwohl in vielen Passagen des Buches die Zweifel an der Gläubigkeit der Familie kommen und doch die Frage gestattet sei, ob die Taufe nicht nur ein beruhigendes Ritual darstellt.

Die engste Freundin Cathy lebt in der Ambivalenz zwischen dem Tod der Tochter von ihrer besten Freundin und dem zu erwartenden zweiten Kind. So eng liegen in dem Buch von Renate Barth Leben und Tod beieinander.

Für Renate Barth scheint dieses Buch eine wichtige Form der Trauerbewältigung zu sein. Wäre nicht sie selbst die Mutter von Sophie, so würde dieses Buch auch ohne Handlungs- und Zeitbezug funktionieren. Es führt geradlinig hin zum Ende des Lebens eines Kindes, das keine Chance hatte, seinen 3. Geburtstag zu feiern. Der Spannungsbogen ist gut gewählt. Mit Unterbrechungen, die in glücklichere Zeiten der Familie einen Blick werfen. Das ist alles spannend erzählt, wenn man bei diesem Inhalt so etwas über das Buch schreiben darf. Ja, man darf, weil es dazu gehört, Leben und Tod als Schicksalsgemeinschaft in die Öffentlichkeit zu tragen. Und während es der Autorin bei der eigenen Trauerbewältigung hilft, ist es gleichzeitig ein Mut-Mach-Buch für alle auf dem Leidensweg nach dem Verlust eines Kindes besser verstanden zu werden.

Renate Barth baut eine Brücke zwischen den verwaisten Eltern und ihren Familienangehörigen hinüber zu den Nichtbetroffenen. Ein wichtiges Buch in der öffentlichen Diskussion über das Leben und den Tod.

Bastei Lübbe
Taschenbuch
Erfahrungen
207 Seiten
ISBN: 978-3-404-61016-7
Ersterscheinung: 30.11.2018

Renate Barth ist Diplom-Psychologin, Psychoanalytikerin und Familientherapeutin. 1983 wanderte sie nach Australien aus. Dort bekam sie ihre Tochter Sophie, die als Kleinkind an Krebs erkrankte und starb. Renate Barth hat diverse deutsch- und englischsprachige Artikel in psychologischen und medizinischen Fachzeitschriften und Fachbüchern veröffentlicht sowie 2008 den Ratgeber Was mein Schreibaby mir sagen will. Renate Barth lebt heute in Hamburg.

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