Das weiße Frankreich

Frankreich Nadine Morano spricht wie Marine Le Pen, ist jedoch in der Partei von Nicolas Sarkozy – und könnte genau deswegen beiden gefährlich werden

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„Sollen sie mich doch ans Kreuz nageln, dafür, dass ich General de Gaulle zitiert habe.“
„Sollen sie mich doch ans Kreuz nageln, dafür, dass ich General de Gaulle zitiert habe.“

Bild: JEAN-CHRISTOPHE VERHAEGEN/AFP/Getty Images

Ein Gespenst geht um in der französischen Republik. Eine blonde Frau, die Sätze sagt wie „Ich habe keine Lust, dass Frankreich muslimisch wird“ und das tradierte Recht, dass all jene französisch sind, die auf französischem Boden geboren werden, infrage stellt, damit „Frankreich Frankreich bleibt.“ Diese Frau sagt sich von alten Verbündeten los und will 2017 Präsidentin werden. Nein, es geht nicht um Marine Le Pen, Vorsitzende des rechtsradikalen Front National (FN), sondern um Nadine Morano, Europaabgeordnete für den Bezirk Ost und Mitglied der konservativen Partei Les Républicains (LR) von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy. Morano ist in Frankreich kein unbeschriebenes Blatt. Sie hat in der UMP, Vorgängerin der Republikaner, Karriere gemacht, war in Kabinetten des Premierministers Fillon unter Sarkozy Staatssekretärin und Ministerin und will nun ganz nach oben. Sie tritt bei den Vorwahlen der LR gegen Nicolas Sarkozy an, mit dem sie in der Vergangenheit eigentlich meist an einem Strang gezogen hatte.

So weit, so unspektakulär. Dennoch hat es diese Frau geschafft, mit einem Mal ins Zentrum der politischen Debatte jenseits des Rheins zu geraten. In der Talkshow „On n’est pas couché“ (sinngemäß: Wir sind nicht eingeschlafen) zitierte sie Ende September recht frei den politischen und geistigen Übervater der Fünften Republik, Halbgott und seines Zeichens General Charles de Gaulle. An sich auch nichts, was Aufsehen erregen würde, nur ging dieser Satz leider so: „Frankreich ist ein Land jüdisch-christlicher Tradition – wie General de Gaulle sagte – und weißer Rasse.“ Inwiefern die Kollaboration im Zweiten Weltkrieg mit jüdischen Werten vereinbar sein soll, ist sie erst einmal schuldig geblieben. Für Aufsehen sorgte ohnehin eher der Satzteil mit "Rasse". Das ist auch in der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich ein zu Recht unbrauchbar gewordener Begriff – außer natürlich man redet von Kühen, die im Limousin rumstehen. Dementsprechend folgte auch umgehend Kritik. Premierminister Manuel Valls von der Sozialistischen Partei erklärte vor der Assemblée Nationale, dass „Marianne“ – also Frankreich – keine Rasse, keine Farbe habe. JournalistInnen wiesen darauf hin, dass das Wort „race“ nicht mehr die gleiche Konnotation habe, wie 1959, als de Gaulle einen ähnlichen Satz von sich gegeben hatte. Und während ihr vorgeworfen wurde, sie könne doch gleich zum FN wechseln, meldete sich auch dessen Vorsitzende Marine Le Pen zu Wort. Zunächst verteidigte sie die Aussage ihrer Gesinnungsgenossin zwar, dann ruderte sie jedoch zurück, schließlich würde man damit die Franzosen in den Überseegebieten beleidigen.

Morano verteidigte sich derweil standhaft: „Sollen sie mich doch ans Kreuz nageln, dafür, dass ich General de Gaulle zitiert habe.“ Das mag man ihr nun nicht gerade wünschen, Gedanken machen darf man sich aber darüber, was sie vorhat. Eine gehörige Portion mediale Aufmerksamkeit war ihr natürlich gewiss, und die Rechnung folgte im Oktober. Sie erreichte bis dato ungekannte Popularitätswerte. Kleines aber nicht zu vernachlässigendes Detail: vor allem bei AnhängerInnen des Front National. Was hat diese Frau also vor? Es scheint eine Doppelstrategie zu sein, die sie fährt. Einerseits versucht sie, FN-AnhängerInnen für die Republikaner zu gewinnen, andererseits zwingt sie ihren Parteifreund Sarkozy zu reagieren. Das tat dieser dann, wenn auch unter Zähneknirschen. Er beantragte bei der Wahlkommission der LR, Morano ihren Spitzenplatz für die Regionalwahlen im Dezember zu entziehen.

Hat sie sich verkalkuliert? Oder wird es ihr gelingen, dem FN gleichzeitig WählerInnen abzugraben, Sarkozy zu demontieren und 2017 im Falle einer Stichwahl mit Le Pen trotz allem von den linken WählerInnen unterstützt zu werden? Vielleicht will sie auch nur, wie die Tageszeitung Libération vermutet, in einer vielversprechenden Verhandlungsposition sein, um unter einem etwaigen Präsidenten Sarkozy eine wichtige Rolle einzunehmen. Letzteres erscheint jedoch zunehmend unwahrscheinlich. Inzwischen wurde sie von der Regionalwahlliste geworfen. Sie kündigte darauf hin an, öffentliche Veranstaltungen ihres Parteichefs zu „stören“. Was auch immer die Beweggründe des blonden Gespenstes sein mögen, sie ist nicht nur für ihre politischen Gegner gefährlich, sondern vor allem für Frankreich, für die Werte der Republik und für Europa. Sie sieht ihre Aussagen natürlich als selbstverständlich an: „Es tut mir leid, aber das Wort ‚race‘ steht im Wörterbuch.“ Ja, Frau Morano, und das Wort „connasse“ steht dort ebenfalls. Es bedeutet so viel wie „Dummkopf“.

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Geschrieben von

Leander F. Badura

Redakteur Kultur (Freier Mitarbeiter)

Leander F. Badura kam 2017 als Praktikant im Rahmen seines Studiums der Angewandten Politikwissenschaft in Freiburg und Aix-en-Provence zum Freitag, wo er bis 2019 blieb. Nach einem Studium der Lateinamerikastudien in Berlin und in den letzten Zügen des Studiums der Europäischen Literaturen übernahm er 2022 im Kultur-Ressort die Verantwortung für alle Themen rund ums Theater. Des Weiteren beschäftigt er sich mit Literatur, Theorie, Antisemitismus und Lateinamerika. Er schreibt außerdem regelmäßig für die Jungle World.

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