Der Zahnstocher der Kritik

Schriftsteller-„Kongress“ Über Anspruch und Wirklichkeit einer Berliner Veranstaltung zu engagierter Literatur
Ausgabe 06/2017
Stefan Zweig: „Ich bin Schriftsteller, kein Politiker“
Stefan Zweig: „Ich bin Schriftsteller, kein Politiker“

Foto: Hulton Archive/Getty Images

Am Rande des PEN-Kongresses 1936 in Buenos Aires wurde Stefan Zweig gebeten, ein Statement zur Lage in Deutschland abzugeben. Seine Antwort irritierte: „Ich bin Schriftsteller, kein Politiker.“ Trotz Zurückhaltung quälte ihn nichts mehr als der Untergang Europas. Vergangenes Jahr zeichnete der Film Vor der Morgenröte eindrücklich die letzten Stationen im Leben Zweigs nach. Der seinerzeit meistgelesene deutschsprachige Autor zerbrach an der Spannung, die er als Schriftsteller, zudem im Exil, aushalten musste. Das Ringen zwischen literarischer Distanz und der Notwendigkeit der Politik – im Freitod Stefan Zweigs kondensierte es sich zu all seiner Tragik.

Gewiss, Zweig war nicht allein mit der Frage, wie Engagement und Literatur sich zueinander zu verhalten haben. Schriftsteller von Breton bis Brecht haben sich ihrer angenommen. Ihr widmete sich auch der „Internationale Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur“, der 1935 auf Initiative Ilja Ehrenburgs in Paris abgehalten wurde. Über 100 Autoren kamen damals, darunter Persönlichkeiten wie André Malraux, Egon Erwin Kisch, Anna Seghers und Edward Morgan Forster. Die intellektuelle Speerspitze der damaligen Zeit versammelte sich in dem Wunsch, dem aufziehenden Faschismus Einhalt zu gebieten – bei allen Differenzen, die ausgefochten wurden.

Das ist alles lange her. Heute herrscht am intellektuellen Olymp gähnende Leere. Im Berliner Maison de France sollte vergangene Woche auf Einladung des Pariser Maison d’Écrivains und von dessen Leiterin Cécile Wajsbrot an Paris 1935 angeknüpft werden. Ganze vier Schriftsteller aus zwei Ländern stellten sich erneut der Frage nach Engagement und Literatur. Immerhin bemühte man große Namen, um sich doch wichtig zu fühlen.

Ausgerichtet wurde der Abend vom Institut Français und von der Freien Universität, deren Professorin Susanne Zepp zu Beginn an den Pariser Kongress erinnerte. Dieser solle als „historischer Resonanzraum“ dienen. Diese Schuhe waren ein paar Nummern zu groß, aber wenn man das Wort „Kongress“ auf die Bedeutung „Zusammenkunft“ reduziert, entsteht die gewünschte Parallele. Immerhin mussten Stühle dazugestellt werden.

Auf der Bühne also: Sherko Fatah und Christoph Hein für die rechtsrheinische, Leslie Kaplan und Lydie Salvayre für die linksrheinische Literatur. Im Saal: viel graues Haar, viele Studenten. An der Wand hinter der Bühne: wechselnde Bilder von damals. Spott? Belustigung? Verzweiflung? Was die abgebildeten Weltliteraten über die von heute sagen würden, bleibt freilich Fantasie.

Ein richtiger Kongress sei unbezahlbar gewesen, entschuldigt sich Cécile Wajsbrot zur Begrüßung. Zur materiellen Misere gesellt sich die intellektuelle. Nach dem Einführungsvortrag von Susanne Zepp bleibt die schöne Vergangenheit lange Hauptthema. Die Moderatorin lässt die Schriftsteller aus dem Nähkästchen plaudern. Leslie Kaplan erzählt von der Arbeit in der Fabrik, in den 1960er Jahren. Christoph Hein darf in wohliger Erinnerung an die Revolution von 1989 schwelgen. Ob er damals, als er vor einer Million Menschen sprach, Einschüchterung oder Erhebung empfunden habe, fragt die Moderatorin. Keins von beidem, aber so ein großes Publikum habe er nie wieder gehabt. Haha! Auf den Schenkelklopfer folgt der geistige Tiefpunkt des Abends. Hein findet die Demonstrationen gegen Trump ähnlich merkwürdig wie Pegida, denn Trump sei ja gewählt worden. Na, das wird die Opfer von Trumps Politik sicher trösten. So spricht der langjährige Präsident und heutige Ehrenpräsident des deutschen PEN; noch ein Relikt aus alten Tagen. In Ungarn berät der PEN-Präsident die Regierung, in Russland treten bedrängte Autoren aus, weil der Club ihnen den nötigen Schutz nicht mehr bietet. Darauf angesprochen, fällt Hein auch nicht mehr ein, als auf die „90-jährige Geschichte“ des PEN zu verweisen. Fertig ist die Parabel zum Zustand der Intellektuellen. Wenn die Kunst der Hammer ist, mit dem man die Wirklichkeit gestaltet, dann war dieser Abend ein Zahnstocher.

Stefan Zweigs Schweigen entsprang einer inneren Überzeugung: „Jede Widerstandsgeste, die kein Risiko in sich birgt und keine Wirkung hat, ist nichts als geltungssüchtig.“ Der Satz hat an Gültigkeit nichts eingebüßt.

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Geschrieben von

Leander F. Badura

Redakteur Kultur (Freier Mitarbeiter)

Leander F. Badura kam 2017 als Praktikant im Rahmen seines Studiums der Angewandten Politikwissenschaft in Freiburg und Aix-en-Provence zum Freitag, wo er bis 2019 blieb. Nach einem Studium der Lateinamerikastudien in Berlin und in den letzten Zügen des Studiums der Europäischen Literaturen übernahm er 2022 im Kultur-Ressort die Verantwortung für alle Themen rund ums Theater. Des Weiteren beschäftigt er sich mit Literatur, Theorie, Antisemitismus und Lateinamerika. Er schreibt außerdem regelmäßig für die Jungle World.

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