Die Jugend erwacht

Paraguay Studierende haben Korruption und Klientelismus den Kampf angesagt. An der wichtigsten Universität des Landes folgt ein Rücktritt dem anderen. Wird es endlich Frühling?

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Studenten ziehen in Richtung Bildungsministerium
Studenten ziehen in Richtung Bildungsministerium

Foto: Noberto Duarte/AFP/Getty Images

Gänzlich unbeachtet von der Weltpolitik und den internationalen Medien schreiben Studierende in Paraguay in diesen Tagen Geschichte. Mit Demonstrationen, Sitzblockaden und Patrouillen an der Universidad Nacional de Asunción (UNA) haben sie es geschafft, den ungeliebten, korrupten Direktor der größten und wichtigsten Universität des Landes aus dem Amt zu jagen. Nachdem am 18. September unzählige SchülerInnen und Studierende durch die Hauptstadt und vor das Parlament zogen, um gute und kostenfreie Bildung zu fordern, und in den Tagen darauf die Universität besetzt wurde, trat Froilán Peralta am 25. September zurück. Gegen ihn läuft nun ein Korruptionsverfahren und er wartet im berüchtigten, weil überfüllten und unterfinanzierten Gefängnis Tacumbú auf seinen Prozess. Er hatte zwar alles daran gesetzt, nicht dort zu landen, eine vorgeschobene Krankheit konnte jedoch nicht ärztlich bestätigt werden (edit: in der Ursprungsversion dieses Artikels stand, dass er nicht nach Tacumbú musste, dies stand zu dem Zeitpunkt jedoch noch nicht fest. (01.10.15 20:05)).

Doch anstatt sich auf den Lorbeeren ihres Erfolges auszuruhen, bleiben die Studierenden wachsam: Sie patrouillieren mit Fahrrädern auf dem Universitätsgelände, um zu verhindern, dass belastende Dokumente verschwinden, wie schon geschehen, als MitarbeiterInnen der Universität während der Besetzung flohen. Auch ist Peralta nicht der einzige, auf den sie es abgesehen haben. Die UNA ist, wie das gesamte Land, von Korruption und Klientelismus zerfressen und wurde nach dem Ende der brutalen Militärdiktatur unter Alfredo Stroessner 1989 nie gänzlich entfaschisiert. Seit Montag wird die Philosophische Fakultät blockiert, die Studierenden haben erklärt, erst zu gehen, wenn die Dekanin María Angélica González zurücktritt und um die Unterstützung ihrer KommilitonInnen gebeten. Der Dekan der Ökonomischen Fakultät, Antonio Rodriguez, hat dem Druck am Samstag nachgegeben und ist zurückgetreten. Auch der Vizerektor der UNA, der seit Rücktritt und Festnahme von Peralta die Geschäfte der Universität führt, hat seinen Rücktritt bereits angekündigt. Es ist in der Universität, wie in vielen anderen öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen üblich, viel zu hohe Gehälter zu bezahlen oder gar Leute auf Gehaltslisten zu schreiben, die dort gar nicht arbeiten. Anscheinend gibt es sogar eine ganze „Geisterfakultät“ in der Stadt Santaní. Dort gibt es laut Studierenden eine Filiale der Odontologischen Fakultät, die 500 Millionen Guaranies (etwa 80.000 Euro) koste, ohne in Betrieb zu sein. Zum Vergleich: Der Mindestlohn beträgt nicht einmal 290 Euro.

Die Proteste beschränken sich jedoch nicht auf die Hauptstadt des südamerikanischen Landes. Auch im Distrikt Caazapá gab es Proteste und Rücktritte, in Itapúa fordern Studierende ein Ende der „Privilegien“ und Transparenz in der Verwaltung, auch in der wichtigen Handelsstadt Ciudad del Este an der Grenze zu Brasilien gab es Demonstrationen.

Präsident Horacio Cartes versuchte am 18. September, sich auf Twitter auf die Seite der Studierenden zu stellen, und forderte ebenfalls gute und kostenlose Bildung. Ein Schreibfehler in der Nachricht und die Tatsache, dass seine Partei seit beinahe siebzig Jahren die Geschicke des Landes bestimmt (mit einer Ausnahme von 2008 bis 2012) und somit tief in dem Sumpf aus Korruption und Vetternwirtschaft steckt, machten ihn zum Gespött der Leute. Einige drohten, dass er das eigentliche Ziel sei. Der Präsident zeigte sich unbeeindruckt: Nach dem Rücktritt Peraltas, der stets exzellente Kontakte zu Colorado-Abgeordneten unterhalten hatte, gratulierte er den Studierenden, die „Durcheinander“ für eine „gerechte Sache“ gemacht hätten. Damit bezog er sich auf eine Rede zu Beginn seiner Amtszeit 2013, als er die jungen Leute mit den Worten „Hagan lío“ (Macht Durcheinander) dazu aufforderte, sich für die Gesellschaft einzusetzen. Dies wird nun womöglich eines Tages auf ihn zurückfallen.

Viele progressive Organisationen und Parteien hoffen nun, dass aus dem Hashtag #UNAnotecalles (UNA, schweige nicht!) das Hashtag #Paraguaynotecalles wird. Seit dem Wahlsieg 2008, zu dem sich soziale Bewegungen und viele linke Parteien zusammengeschlossen hatten, um den ehemaligen Bischof Fernando Lugo zum Präsidenten zu machen, scheinen viele ParaguayerInnen zu merken, dass Korruption und ineffiziente Verwaltung kein Naturgesetz sind. Obendrein sorgt die neoliberale Politik von Cartes auch zu schweren Verwerfungen in seiner Colorado-Partei. Diese war stets gegen Privatisierungen und für einen völlig aufgeblähten Staatsapparat gewesen, da so die eigenen AnhängerInnen und FunktionärInnen mit Geld und Posten versorgt werden konnten. Dazu kommt eine zunehmend repressive Politik. Vor kurzem hatte der Präsident angekündigt, Oppositionelle zu „erdrücken“ und erklärt, dass es Paraguay nur gut gehen könne, wenn es der Colorado-Partei gut geht. Immer wieder geht die Polizei gewaltsam gegen Proteste vor, auf dem Land sind politische Morde an AnführerInnen von LandarbeiterInnen-Bewegungen keine Seltenheit.

Es brodelt im ärmsten Land Südamerikas, das zwar dank Gensoja glänzende Wachstumsraten aufweist und zu den zehn größten Rindfleischexporteuren zählt, aber aufgrund neoliberaler Politik (Steuerprivilegien für ausländische Sojafirmen, Privatisierungen und Einsparungen im sozialen Bereich) und einer sich schamlos bereichernden politisch-ökonomischen Klasse aus der Unterentwicklung nicht herauskommt. Die erste in Demokratie erwachsen gewordene Generation, die nun an den Universitäten und Schulen mit Mediokrität und unverblümter Korruption konfrontiert wird, scheint sich das nicht mehr gefallen zu lassen. Es wird vielleicht endlich Frühling für ein gepeinigtes und international ignoriertes Volk.

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