Dunkel und verschlafen liegt Dessau da, an diesem Dienstagabend, der vorab so heiß diskutiert wurde. Bis zuletzt hatte es Streit gegeben um das Konzert der linken Band Feine Sahne Fischfilet, das hier stattfindet. Ursprünglich sollten sie im Bauhaus Dessau auftreten. Dort wurden sie mit Verweis auf Sicherheitsbedenken und eine gewünschte politische Neutralität des Ortes ausgeladen. Lokale Initiativen luden sie alsdann in die „Alte Brauerei“ ein. Doch das ZDF, das die Reihe im Bauhaus organisiert, wollte das Konzert trotz allem in seiner Sendung zdf@bauhaus übertragen – und setzte sich schließlich durch.
Je näher man dem Veranstaltungsort kommt, desto häufiger sind Polizeiwagen zu sehen. Sie patrouillieren durch die Straßen und stehen an den wichtigen Ecken rund um das Gelände des Alten Brauhauses – ein Industriedenkmal, errichtet Ende des 19. Jahrhunderts in verschnörkelter Backsteinbauweise. An einer Fassade hängt ein Schild, das auf ein Sanierungsvorhaben hinweist. Projektzeitraum: Januar bis Oktober 2001. Ob und was damals genau saniert wurde, ist im Dunkeln kaum auszumachen. Ein großer Teil des Gebäudes steht offensichtlich leer. Doch eine Halle wurde mit einem neuen Dach versehen: hier soll das Konzert stattfinden.
Zur Absage vonseiten des Bauhauses war es gekommen, weil Neonazis Front gegen das Konzert gemacht hatten. Diese eher marginalen Stimmen fanden jedoch willige Verstärker in der AfD. Die Band wurde als „linksextrem“ gebrandmarkt, gar von „Linksfaschisten“ war die Rede. Was letztlich den Ausschlag gegeben haben dürfte, war, dass auch die sachsen-anhaltinische CDU auf den Zug aufsprang. Ihr Generalsekretär Sven Schulze warf der Band vor, offen zu „Gewalt gegen Polizisten“ aufzurufen. Ein bemerkenswerter politischer Vorgang: Neonazis, AfD und CDU ziehen an einem Strang. Wegen eines Konzerts!
Im Vorraum gibt es Merchandise, natürlich, aber auch einige Stände politischer Initiativen, die sich vor allem antifaschistisch engagieren. Das Publikum ist mehrheitlich jung. Man trägt „classic punk“ oder „Antifa chic“, sehr viele tragen sowieso ein Kleidungsstück der Band. Am Rand steht ein hochgewachsener Mann, dessen „legere chic“ etwas aus dem Rahmen fällt: es ist Jürgen Trittin. Nicht viele scheinen sich für den ehemaligen Bundesminister zu interessieren. Nachdem er ein wenig gefilmt wurde, kann er den Rest des Abends unbehelligt begehen.
Eine Ausladung im Sinne der Landesregierung
Man kann, ja, muss die Vorgänge um das Konzert als ein Symptom des Rechtsrucks deuten. Die CDU regiert immerhin in Sachsen-Anhalt. Doch seit geraumer Zeit wird einem Teil von ihr eine wachsende Unzufriedenheit nachgesagt: man muss mit SPD und Grünen gemeinsam regieren – obwohl man mit der AfD eine politisch einfachere Mehrheit hätte. In einem Aufruf zu einer Demonstration im Vorfeld des Konzerts heißt es: „Im demokratischen Rechtsstaat mit seinem grundgesetzlichen Schutz der Rundfunk- und Kunstfreiheit muss es mindestens befremden, wenn eine staatlich getragene Stiftung mit Unterstützung eines Vertreters der Landesregierung von Sachsen-Anhalt in die Rundfunk- und Kunstfreiheit eingreift und einen Auftritt von Künstlern verhindert.“ Damit sind Stiftungsdirektorin Claudia Perren und ihr Vorgesetzter Rainer Robra (CDU), Kulturminister in Sachsen-Anhalt, gemeint. Eigentlich hatte das ZDF die Hoheit über das Programm der Veranstaltungsreihe. Fraglich ist jedoch, wie unabhängig Perrens Entscheidung, der Band abzusagen, eigentlich war. Perren hatte 2014 den Architekten Philipp Oswalt an der Spitze des Bauhauses beerbt. Oswalt verstand sein Amt durchaus politisch, wollte „Dissens austragen“. Die Nicht-Verlängerung seines Vertrages hatte international für Empörung gesorgt. Perren versprach bei Amtsantritt, im Sinne der Landesregierung zu handeln. So sieht das offenbar aus.
Auf Instagram postet die Band am Nachmittag ein Foto, auf dem drei der Mitglieder vor dem Bauhaus zu sehen sind. Sie grinsen und halten eine handgemalte Urkunde in der Hand, sowie eine Flasche grünen Pfefferminzlikörs. Darunter heißt es, sie hätten sich soeben beim Bauhaus für die „PR-Aktion des Monats“ bedankt, „nen Pfeffi gab’s obendrauf“. Tatsächlich ist es für die Band letztlich besser gekommen: Ins Brauhaus passen wesentlich mehr Leute als ins Bauhaus, wo das Konzert nur 100 Zuschauer gehabt hätte. Statt 45 Minuten werden sie ganze 90 spielen und der kurzen Vorlaufzeit zum Trotz haben sie eine Vorband organisiert. Um Punkt 20 Uhr beginnt die Rap-Formation Neonschwarz das Publikum in Stimmung zu bringen. „Linksextreme“ Freunde von Feine Sahne Fischfilet, die ebenfalls beim Hamburger Label Audiolith unter Vertrag stehen. Immer wieder wird in den Pausen „alerta, alerta, antifascista“ skandiert. Die linke Haltung ist das Integrationsmoment. Genre-Grenzen können da locker links liegen bleiben.
Wir sind zurück in unserer Stadt ist das Lied, mit dem Feine Sahne Fischfilet ihren Auftritt eröffnen – alles hier ist Statement. Die Menge springt darauf an und es werden 90 warme Minuten, in denen Bierflaschen fliegen, Schweiß in Strömen fließt und lauter Punk, der eher eine Art Antifa-Schlager ist, die Trommelfelle strapaziert. Banner werden ausgerollt, auf denen „Kein Mensch ist illegal“ steht, links oberhalb der Bühne hängt eine rot-weiße Antifa-Fahne. „Stellt euch vor, wie die Nazis kotzen würden, wenn sie das hier sehen könnten!“, ruft Jan „Monchi“ Gorkow, Frontmann der Band, der Menge zu und lässt sie jubeln ob der Tatsache, dass eine angekündigte Neonazi-Demo am Nachmittag abgesagt wurde. Die Band selbst war natürlich auf der linken Demo am Nachmittag und hat da eine junge lokale Punk-Band kennengelernt. Die Details des Treffens gehen akustisch unter, jedenfalls stehen plötzlich eine Handvoll sehr junger Menschen auf der Bühne und singen den Band-Klassiker Wasted in Jarmen mit. Danach werden sie von der Menge davongetragen.
Knackpunkt des bürgerlichen Staates
Und wovor fürchten sich nun Bauhaus und Staat? Vor dem Bier? Dem Schweiß? Den Liedern übers Saufen oder die Heimat, die hier nicht so heißt? Monchi widmet in seinem markanten Rostocker Dialekt ein Lied seinen Eltern, „den geilsten Menschen, die ich je kennenlernen durfte.“ Ist Staatsfeind, wer Themen wie Familie, Freundschaft, Heimat so besetzt, dass alle daran teilhaben dürfen – eben explizit auch Geflüchtete?
Aber vielleicht hat der Staatsapparat gar keinen so schlechten Riecher. Monchi widmet ein Lied der thüringischen Linkspartei-Politikerin Katharina König, die er als eine Freundin bezeichnet. Sie sitzt dort im NSU-Untersuchungsausschuss und wird für ihre Arbeit oft mit dem Tod bedroht. Die Band schrieb für sie Angst fressen Seele auf, ein Lied, dass „Kraft geben soll“. Seit Jahren setzen sich Feine Sahne Fischfilet für die Stärkung alternativer und linker Strukturen ein, gerade dort, wo Nazis Beinahe-Hegemonien erreicht haben – weil der Staat sich zurückgezogen hat. Gerade in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Band herkommt, haben sie viele Konzerte in kleinen Dörfern gegeben, um den Menschen Mut zu machen. Darum heißt es auch in Dessau: „Wir hoffen, dass es nicht bei diesem Konzert bleibt!“ Leute sollten sich ermutigt fühlen, „etwas zu reißen“.
Und dann gelangt das Konzert unweigerlich zu dem Punkt, an dem Monchi zum politischen Grundsatz anhebt: Man müsse sich rechten Umtrieben in den Weg stellen, ganz einfach. Dann geht es um Seehofer und Maaßen, um Chemnitz und Flüchtlingspolitik. Was heute längst normal sei, hätte sich 2008 nicht einmal die NPD getraut zu sagen, meint Monchi. Er erzählt von seinem Besuch im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos und mit Blick auf die CDU sagt er: „Diejenigen, die sagen, wie schlimm Gewalt ist, sind die gleichen Leute, die darauf scheißen, dass Tausende im Mittelmeer ersaufen!“ Da jubelt die Menge beinahe frenetisch. Vielleicht ohne sich dessen bewusst zu sein, hat Monchi einen zentralen Knackpunkt des bürgerlichen Staates angesprochen. Die Kritik der Gewalt der anderen funktioniert nur unter Verdrängung staatlicher Gewalt. Wenn ein Regierungsvertreter einer Band „Gewaltverherrlichung“ vorwirft, ist das schlicht absurd, steht er doch für eine extrem gewaltvolle Ordnung, die einen riesigen Disziplinierungsapparat nach innen und militarisierte Grenzen nach außen braucht, um sich am Leben zu halten.
Vulgärmaterialistische Staatskritik im ZDF – das ist Dialektik
Man kann es freilich als Provokation verstehen, wenn der ganze Saal bei dem Lied Wut die Zeile „Niemand muss Bulle sein“ mitgrölt, während draußen Dutzende Einsatzkräfte an Straßenecken postiert sind, um die Sicherheit der Veranstaltung zu gewährleisten. Doch Monchi weiß genau, was er tut: er widmet den Song der „Initiative Oury Jalloh“, die seit Jahren für die Aufklärung der Todesumstände eines Asylbewerbers kämpft, der 2005 in einer Polizeizelle starb – in Dessau. Nach wie vor steht der Verdacht im Raum, dass Oury Jalloh in der Zelle getötet worden ist.
Darin offenbart sich die ganze Dialektik des Abends: eine linke bis linksradikale Gruppe flimmert über die ZDF-Bildschirme und verbreitet beinahe so etwas wie vulgärmaterialistische Staatskritik. Der Witz ist: anders wird die demokratische Verfassung dieses Staates kaum zu retten sein. Den Jungs ist der Widerspruch bewusst. Doch sie haben etwas verstanden, was viele angeblich demokratisch Gesinnte nicht begreifen: Wenn dieser Flecken Erde in 15 bis 20 Jahren noch in einem demokratischen Rechtsstaat lebt, dann wird das Leuten wie Monchi zu verdanken sein – und nicht rechtslastigen CDU-Funktionären, die sich über „Gewaltverherrlichung“ echauffieren, während sie neonazistischen Banden das Wort reden.
Am Rand der Menge hilft eine Frau mit roten Dreadlocks und schwarzer Lederjacke einem Jungen aus dem Pullover. Darunter trägt er ein weißes „Kein Bock auf Nazis“-T-Shirt. Als er aufgeregt davonspringt, erläutert sie: „13 Jahre! Ist sein erstes Konzert!“ Und fügt grinsend hinzu: „Ich glaube, die Nummer mit der Erziehung hab' ich drauf.“ Kann man so sagen.
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