Kurz vor dem Wochenende ploppten auf meinem Smartphone diese Breaking News der SZ-App auf: „Liebe Leserinnen und Leser, Deutschland hat 171 Tage nach der Wahl eine Regierung. Die Push-Nachrichten zur Bundestagswahl stellen wir jetzt ein.“ Eine Push-Meldung, die meldet, dass es keine Push-Meldungen mehr gibt! Die leise kitzelnde Frage, ob das schon Satire ist, wird zunächst verdrängt von der Erleichterung: endlich Ruhe! Denn was war dem nicht vorausgegangen: „Angela Merkel zur Bundeskanzlerin gewählt“, „Der Bundestag wählt Angela Merkel mit soundso vielen Stimmen zum x-ten mal zur Bundeskanzlerin“, „Angela Merkel als Bundeskanzlerin vereidigt“, „Bundespräsident Steinmeier vereidigt Kabinett“, „Deutschland hat eine Regierung – was jetzt wichtig wird“. Eine ganze Batterie an Meldungen bombardierte die Konzentration. Aber wäre Angela Merkel nicht vom Bundestag gewählt worden – das wäre eine Meldung wert gewesen.
Früher, als Telekommunikation noch analog war, betrafen solche Meldungen nur Nachrichtenagenturen und Redaktionen. Die sechs Prioritätsstufen halfen nicht nur Journalisten, die Relevanz besser einschätzen zu können, sie sorgten auch dafür, dass Nachrichten in den Ticker-Leitungen bevorzugt verschickt wurden, je wichtiger sie waren. Heute sind noch vier Kategorien übrig: Die „Eil-Meldung“ ist die zweithöchste Stufe. Darüber ist nur die „Blitz-Meldung“. Bei der dpa geht man sparsam damit um: Zuletzt war Trumps Wahlsieg einen solchen Blitz wert. Die niedrigen Stufen heißen Vorrangmeldung und Routinemeldung.
Doch seitdem jeder Smartphone-Nutzer per Push-Mitteilung am Echtzeit-Weltgeschehen teilhaben kann, lösen sich diese Kategorien auf und es entsteht ein anstrengendes Grundrauschen an halbwichtigem Unsinn. Was die Kollegen aus den großen Redaktionen so durch den Äther tickern, geht durch penetrante Irrelevanz auf den Keks. Am schlimmsten ist es im Sport. Mit Verlaub: Jeder, den es kümmert, kann nachsehen, wer welche Medaille bei den Olympischen Spielen gewinnt. Wohl und Wehe der Zivilisation hängen nicht davon ab, wer nun die Bronzemedaille im Schneeballweitwurf in Ritterrüstung gewonnen hat. Sorry, liebe Athletinnen und Athleten.
Als Anfang letzten Jahres das Bundesverfassungsgericht das Urteil im NPD-Verbotsverfahren verkündete, rächte sich der lockere Finger der Kollegen am Push-Knopf. Zuerst meldeten sie: „Bundesverfassungsgericht verbietet NPD“ – nur, um sich umgehend zu korrigieren und dann lange Mea-culpa-Texte in die Redaktionsblogs zu tippen. Tja!
Es gibt Grauzonen. Ist es eine Eilmeldung, wenn das Finale der Fußballweltmeisterschaft der Männer vom deutschen Team gewonnen wird (1954 immerhin einen dpa-Blitz wert)? Oder wenn Putin die Wahl in Russland gewinnt? In jedem Fall sollte in Zeiten knapper werdender Aufmerksamkeit das hohe Gut des „Jetzt, hör mir zu!“-Knopfs den wirklich wichtigen – und unerwarteten – Anlässen vorbehalten sein: Naturkatastrophen, Kriegserklärungen, Regierungsstürzen, solchen Dingen. Sonst geht es den Push-Meldungen, wie dem Scherzbold aus der Fabel: Andauernd warnt er das Dorf vor dem Wolf und als der dann tatsächlich kommt, glaubt ihm keiner mehr. Schlimmstenfalls kommt also eine Push-Mitteilung, die man entnervt wegwischt, allerdings nicht ohne einen Fitzel wie „NATO … Weltkrieg“ zu erhaschen. Und dann denkt man: „Scheiße, was stand da jetzt?“
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