Ein Virus macht zwar keine Unterschiede zwischen Menschen. Die Gesellschaften, die es trifft, aber tun das. Besonders gefährdet sind daher alle, deren Diskriminierung und Marginalisierung bereits im Normalbetrieb konstitutiv ist. Insofern stand auch der Internationale Tag der Roma am 8. April unter dem Zeichen von Sars-CoV-2. Die zweite Roma Biennale We are here ist ein Projekt von RomaTrial e.V. unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Bündnis für Solidarität mit den Sinti und Roma Europas und dem Maxim Gorki Theater, wo sie mehrere Tage gastiert hätte, gäbe es nicht das Versammlungsverbot. Das Gorki ließ es sich aber nicht nehmen, den Tag, der für den Kampf für die Rechte der Roma und das Feiern ihrer Kulturen steht, trotzdem zu begehen. In einem zweistündigen Livestream führten Hamze Bytyci und Delaine Le Bas durch ein Programm aus Interviews und Musik. Die Zuschauer*innen konnten dabei einiges lernen, was Mut macht – aber vor allem (wieder einmal) erschüttert werden. Der grüne Europaabgeordnete Romeo Franz sprach es deutlich aus: „Der Internationale Tag der Roma fällt in eine Zeit, in der unsere Menschen besonders in Osteuropa in eine Situation kommen, die schon in der Vergangenheit dramatisch war, aber jetzt tödlich wird.“
Es ist kein Naturgesetz
In Osteuropa, wo ein Großteil der etwa zehn Millionen europäischen Roma lebt, sind diese nicht nur von der Krankheit an sich bedroht. Während die Nationalstaaten und die EU für das zum Erliegen kommende Wirtschaftsleben Hilfsprogramme auflegen, kommt das Geld bei jenen, die von informellen Jobs abhängig sind, nicht an. Zudem sorgt die Krise für eine Verschärfung diskriminierender, antiziganistisch motivierter Maßnahmen. Gerüchte, wonach Roma besonders verantwortlich seien für die Übertragung, führen zu Gewalt. Die Orte, in denen Roma leben, werden isoliert, wodurch den Menschen, die ohnehin in desaströsen Zuständen leben müssen, der Zugang zu Gesundheitsversorgung und Nahrung versagt wird. Die Aufforderung, die Hände zu waschen, klingt da wie Hohn, wo es keinen Zugang zu sauberem Wasser gibt. Die desolate Lage ist freilich kein Naturgesetz. Deutliche Worte fand dazu Željko Jovanović, Direktor des Open Society Roma Initiatives Office: „Wir sind mit Bedingungen wie in der Dritten Welt konfrontiert, leben aber in der Ersten Welt. Das heißt, wir sollten uns nicht täuschen lassen: Es ist ein politisches Problem! Es gibt Berge von Geld, die einfach nicht zugänglich sind für die Verwundbarsten: Arme, Roma, die Arbeiterklasse.“
Dass diese Geldberge mobilisiert werden können, stellen die Finanzminister*innen derzeit ja unter Beweis. Der 8. April als Internationaler Tag der Roma geht auf das Jahr 1971 zurück, das als Geburtsjahr der Roma-Bürgerrechtsbewegung gilt. Bei jenem ersten Welt-Roma-Kongress in London wandten sich die Teilnehmer*innen nicht nur selbstbewusst gegen die Bezeichnungen „gypsy“ und „Zigeuner“ zugunsten der Selbstbezeichnung Roma, sondern bestimmten auch Fahne und Hymne. Das Selbstbewusstsein und die Vernetzung tragen auch in der Krise Früchte. Europaweit tun sich Roma solidarisch zusammen, um jenen zu helfen, denen die meiste Gefahr droht. Das musische Ohr kam zwischen den Interviews gelegentlich auch auf seine Kosten. Der aus Schweden kommende Rom Lindy Larsson trug die Roma-Hymne Gelem, Gelem vor sowie ein Lied aus der Gorki-Produktion Roma Armee (Regie: Yael Ronen), die im Anschluss für 24 Stunden auf der Seite des Theaters zu sehen war.
Info
Vorerst mittwochs ab 18 Uhr ist unter gorki.de je eine Produktion für 24 Stunden zu sehen
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