Im Anfang war der Streit. Und der Streit war zu Berlin, und Berlin war der Streit. Das ist die Entstehungsgeschichte des Jüdischen Museums Berlin (JMB). Bevor es am 13. September 2001 in heutiger Form in Alt- und Neubau eröffnet wurde, hatte es jahrelang Zoff gegeben. Darum, was für ein Museum das sein sollte. Der Erfolg, den das Haus seitdem in Form von Besucherzahlen und internationalem Renommee vorzuweisen hat, sollte diese Querelen nicht vergessen machen. Dass ein Jüdisches Museum in der Stadt, in der maßgeblich der Holocaust organisiert wurde, keine einfache Angelegenheit sein würde, war von vornherein klar. Insofern kann es sogar überraschen, dass die Arbeit des Museums jahrelang relativ reibungslos ablief – bis vor Kurzem.
Vergangene Woche hat der Direktor des Museums, der renommierte Judaist Peter Schäfer, seinen Rücktritt verkündet. Es ist der bisherige Höhepunkt eines seit Monaten schwelenden Konflikts, an dem sich Journalisten, Wissenschaftler und Künstler beteiligten. Zu den Kritikern des Museums zählten der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu. Insbesondere die Wortmeldung Netanjahus empfanden einige Verteidiger des Museums als unzulässige Einmischung. Sie warfen den Kritikern Attacken auf die Meinungsfreiheit vor und fürchteten, das Museum solle auf die „Linie“ der israelischen Regierung gebracht werden.
Hollywood oder Israel
Stets waren es konkrete Fragen, an denen sich der Streit entzündete: Dominierte in der Ausstellung Welcome to Jerusalem die arabisch-islamische Perspektive? Darf man im Jüdischen Museum von Muslimfeindlichkeit sprechen und dabei von islamischem Antisemitismus schweigen? Wie hält man es mit der gegen Israel gerichteten Boykottkampagne BDS? Doch letzten Endes geht es beim Konflikt um das JMB nicht um Israel, nicht um BDS, Antisemitismusvorwürfe oder die israelische Regierung. Grund und Ursache der Krise fallen nicht in eins. Nein, letztlich führt der Konflikt zu den Fragen, die schon in den 90ern zu Streit geführt hatten: Wie jüdisch muss ein Jüdisches Museum sein? Sollte es sich ausschließlich jüdischen Themen widmen? Welche Rolle spielt Geschichte? Und was heißt das für das Verhältnis eines solchen Museums zu Israel und dem Zionismus? Anders ausgedrückt: Was ist eigentlich ein Jüdisches Museum?
Der Journalist Alan Posener, einer der lautstärksten Kritiker der Arbeit des JMB, fragte bereits im Herbst in der Welt: „Wie jüdisch ist das Jüdische Museum noch?“ Er kennt das Museum gut, begleitet es journalistisch seit vielen Jahren. „Man muss das Museum an seinem Anspruch messen“, sagt er im Gespräch. Dieser sei es nicht, dem Zentralrat, der Jüdischen Gemeinde Berlin oder Israel zu gefallen, sondern: „Es gibt einen staatlichen Auftrag.“
Dieser geht zurück auf das Konzept, das Ende der 90er schließlich den Streit schlichtete. Damals holte man den in Oranienburg zur Welt gekommenen Shoah-Überlebenden und ehemaligen US-Finanzminister W. Michael Blumenthal, um den Knoten zu zerschlagen. Blumenthal leitete das Museum 17 Jahre lang. Heute lebt der 93-Jährige wieder in den USA, erreichbar ist er in seinem Büro in Princeton. „Die Entscheidung, die am Ende der damaligen Debatte getroffen wurde“, erinnert er sich, „war, dass es ein Museum der Geschichte der deutschsprachigen Juden sein soll.“ Und nicht, wie von anderen gewollt, eines der Berliner Juden oder des Holocausts. „Außerdem sollte es unabhängig und neutral sein. Kein Museum ,für‘ Juden, sondern für ein breites Publikum und unabhängig von den jüdischen Institutionen der Bundesrepublik.“
Blumenthal sagt: „Deutschsprachige Juden haben die gesamte westliche Kultur geprägt. Denken Sie an Einstein, denken Sie an Hollywood!“ Er sagt nicht: Denken Sie an Israel. Das allerdings sagt Posener. „Das aschkenasische Judentum endet nicht 1939. Es ist geprägt durch Holocaust, Emigration und den Zionismus.“ Ein positiver Bezug zu Israel müsse also wenigstens vorkommen.
Wie Blumenthal das Museum geprägt habe, bezeichnet er als „Wohlfühlnarrativ“. „Im Großen und Ganzen sollte es die Geschichte einer toll assimilierten Gemeinde sein und zeigen, dass es wieder jüdisches Leben gibt.“ Dabei sei aus dem Blick geraten, dass die Existenz jüdischen Lebens in Deutschland für viele nach wie vor ein „Ärgernis“ sei. Dazu müsse sich das Museum bekennen. „Und wenn es dann kritisiert wird, von Linken oder muslimischen Funktionären, dann umso besser! Es muss nicht von allen geliebt werden. Denn Juden werden nun einmal nicht von allen geliebt.“
Kritik habe es auch seinerzeit stets gegeben, erinnert sich Blumenthal: „Das war legitim.“ Von Anfang an sei das Museum auch als Ort kontroverser Debatten gedacht gewesen. „Das ist vollkommen in Ordnung, solange es ausgewogen ist.“ Natürlich könne im JMB ein Unterstützer von BDS auftreten. „Wenn jemand da ist, der genauso klug und stark die Gegenposition vertritt.“ Im Grunde sind sich Blumenthal und sein Kritiker Posener also einig. Der Teufel muss im Detail liegen, nicht im Konzept. Oder doch?
Als der Neubau noch leer, aber schon eröffnet war, forderten manche, man solle es dabei belassen. Die Sprache des Raums entfalte ausreichend Kraft. Aktuell stellt hier der Konzeptkünstler Mischa Kuball aus. Er sagt: „Ich habe noch kein Museum kennengelernt, das so viel Risikobereitschaft und Mut gezeigt hat.“ Die aktuelle Krise überdecke die Möglichkeiten des Museums. Als er angefragt wurde, sei sein erster Reflex gewesen, darauf hinzuweisen, dass er selbst kein Jude sei. „Später habe ich mich gefragt, warum ich das so herausgestellt habe.“ Ein Problem war es jedenfalls nicht. Er sehe seine Aufgabe auch nicht darin, „in jeder Ausstellung das Jüdische nach vorne zu stellen“. Die Besonderheit des Ortes nicht in seine Arbeit einzubeziehen, käme indes nicht infrage. „Sonst wäre man geschichtsvergessen.“ Dass es Auseinandersetzungen um das Museum gebe, sei doch ein gutes Zeichen. „Wir kennen alle Tausende Museen, über die niemand nachdenkt. Das Jüdische Museum ist im Zentrum einer Debatte. Besser kann es gar nicht kommen!“
Vielleicht lohnt es sich aber, auch dorthin zu schauen, wo die Arbeit geräuschloser funktioniert. Das Jüdische Museum Frankfurt ist das erste kommunale jüdische Museum in Deutschland, das nach der Shoah eröffnet wurde. Seine heutige Leiterin Mirjam Wenzel hat zuvor acht Jahre am JMB gearbeitet. Museen, sagt sie, müssten konzeptionell auseinanderhalten, an welche „community“ und an welche „audience“ sie sich richten. „Jüdische Museen sind keine neutralen Orte und keine neutralen Plattformen, sondern an eine spezifische Community gebunden, und das ist die jüdische.“ Deswegen sei das JM in Frankfurt in den 1980ern konzeptionell in Zusammenarbeit mit der jüdischen Gemeinde entwickelt worden. „Es fungiert auch als Gedächtniseinrichtung für die Gemeinde – die vernichtete und die heutige.“
Das Frankfurter Verständnis unterscheidet sich hierin wesentlich von dem Berlins. Gemeinsam haben beide, dass sie sich gegen Antisemitismus und für Toleranz einsetzen wollen und sollen. In Berlin vertritt man dabei die Auffassung, dass Juden und Muslime als Minderheiten ähnliche Erfahrungen machen. Der Kampf gegen Antisemitismus sei daher nicht von dem gegen Muslimfeindlichkeit zu trennen. In Frankfurt wird indes die spezifisch jüdische Erfahrung in den Mittelpunkt gestellt. „In der neuen Dauerausstellung, die 2020 eröffnet werden soll, werden die Anfänge der zionistischen Bewegung als eine Form der jüdischen Selbstermächtigung in Reaktion auf den Antisemitismus dargestellt“, erklärt Wenzel. Es gehe darum, eine „partikulare Erfahrung zu vermitteln“, die allerdings „universale Aspekte und Elemente hat“.
Macht Frankfurt also etwas richtig, was in Berlin falsch läuft? Blumenthal spricht voller Stolz über seine Zeit als Direktor und sieht sie – nicht zu Unrecht – als Grundlage der heutigen internationalen Bekanntheit des Museums. Vielleicht auch als Grundlage der aktuellen Probleme? „Woran ich damals nicht gedacht habe, ist, dass der Name ‚Jüdisches Museum‘ möglicherweise falsch gewählt war.“ Ob allerdings eine Umbenennung in das etwas sperrige „Museum für die Geschichte der deutschsprachigen Juden“ die Probleme lösen würde, darf bezweifelt werden. Vorerst soll, wie am Dienstagabend verkündet wurde, Christoph Stölzl als Vertrauensperson dem Stiftungsrat und dem Geschäftsführenden Direktor Martin Michaelis zur Seite stehen. Stölzl ist Historiker und CDU-Politiker und habe, so Stiftungsratsvorsitzende Monika Grütters, zahlreiche Ausstellungen zur deutsch-jüdischen Kulturgeschichte organisiert. Der Stiftungsrat will sich Zeit lassen und erst nächstes Jahr über die Nachfolge Schäfers entscheiden. Ruhig wird es dann vielleicht im Museum – doch sicherlich nicht um das Museum.
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