Links, unabhängig, pleite?

Medien Die Belegschaft des „Neuen Deutschland“ kämpft um den Fortbestand der Tageszeitung – und gegen eine stärkere Einflussnahme der Linkspartei
Ausgabe 21/2018
Zahlenmäßig entwickelt die ND-Leserschaft sich parallel zum Absatz von Pudelpullovern
Zahlenmäßig entwickelt die ND-Leserschaft sich parallel zum Absatz von Pudelpullovern

Foto: Sven Simon/Imago

Im Umgang mit schweren Krisen empfiehlt sich Humor weit mehr als Resignation. Daher prangt auf der freiwilligen Bezahlschranke der Webseite des Neuen Deutschland (ND) der Wortwitz: „Bei uns droht die Abokalypse.“ Man kann die Schranke zwar einfach wegklicken, doch übertrieben ist das keineswegs. Was vergangene Woche durch einen Bericht der taz an die Öffentlichkeit drang, konnte man längst an den Zahlen ablesen: Das Neue Deutschland kämpft um seine Existenz. Derzeit liegt die Auflage bei knapp unter 25.000, was einem Rückgang von über 60 Prozent seit 1998 entspricht. Zum Vergleich: Die ebenfalls linke Tageszeitung taz verkauft 50.000 Exemplare – und schwimmt beileibe nicht im Geld.

Das ND, das sich als „sozialistische Tageszeitung“ versteht, wird vor allem im Osten der Bundesrepublik gelesen. Das ist gewiss kein Zufall: Von 1946 bis 1989 war sie das Zentralorgan der SED. Diese prominente Stellung im politischen System der DDR hatte eigentlich für keine schlechte Ausgangslage gesorgt: Die Auflage, die als Basis für die Überführung eines Propagandablatts in eine freiheitliche Presselandschaft diente, betrug 1990 angeblich eine Million. Doch Neuausrichtung, Verjüngung, Design-Relaunch – was die Zeitung auch unternahm, die „Abokalypse“ fand trotzdem statt. Auch die moderne Webseite bringt kaum Geld ein. Es heißt, jeden Monat stürben Dutzende Abonnenten. Das Problem des ND heißt Überalterung.

Chef in Teilzeit

Die Zeitung gehört zu etwa gleichen Teilen der Beteiligungsgenossenschaft communio eG und der „Föderative Verlags-, Consulting-, und Handelsgesellschaft“ (Fevac), der Vermögensgesellschaft der Linkspartei. Seit vergangenem Herbst ist die Nervosität im Unternehmen gestiegen. Warum, das beschreiben Mitarbeiter der Zeitung in einem Brief an den Parteivorstand der Linken, der dem Freitag vorliegt. Darin sprechen sie von einer damals „angeblich“ drohenden Insolvenz.

Der seit 2012 amtierende Chefredakteur Tom Strohschneider, ehemaliger Freitag-Redakteur, hatte überraschend auf eigenen Wunsch den Dienst quittiert. Obendrein wurde der Geschäftsführer Olaf Koppe zunächst beurlaubt und dann zum Verlagsleiter degradiert. Seitdem führt der Gesellschafter der communio eG und einstige Offizier der DDR-Staatssicherheit Matthias Schindler das Unternehmen – in Teilzeit. Die Chefredaktion übernahm kommissarisch Wolfgang Hübner. Ein inakzeptabler Zustand, wie die Belegschaft in dem Brief moniert.

Schindler schlug einen Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld vor, als Sanierungsbeitrag der Belegschaft. Die wehrte sich heftig dagegen: Schlechte Löhne und ausbleibende Erhöhungen seit über sieben Jahren seien „unser Beitrag zur Stabilität der Personalkosten – unser Sanierungsbeitrag“. Ein voll ausgebildeter Redakteur verdient beim ND netto 1.400 pro Monat – nach zehn Jahren Betriebszugehörigkeit ganze 1.700. Das liegt weit unter dem Tariflohn für Tageszeitungen. „Die meisten Verlagsangestellten und RedakteurInnen werden in der Rente mit Altersarmut konfrontiert sein“, beschreiben sie ihre Lage. Ein 13. und 14. Monatsgehalt seien daher „wesentlicher Bestandteil“ des Verdienstes. Es kam nicht zur Streichung. Doch ruhig wird es nicht. „Wie seitdem mit uns umgegangen wird, schafft kein Vertrauen“, schrieben die Beschäftigten in dem Brief.

Im April, heißt es weiter, sei Parteichef Bernd Riexinger zu Besuch gekommen. Doch anstatt die Wogen zu glätten und Zuversicht zu stiften, erklärte er, die Gesellschafter würden planen, dem ND das Grundstück zu entziehen, auf dem das Redaktionsgebäude steht. Es solle dann direkt Fevac und communio gehören. Der Franz-Mehring-Platz 1 liegt in unmittelbarer Nähe zum Berliner Ostbahnhof – und somit in Friedrichshain, einem Stadtteil, in dem die Preise für Grund in den letzten Jahren rasant und drastisch gestiegen sind. Für die Gesellschafter ist es ein Filetstück – für die Mitarbeiter des ND der Vermögenswert, der im Falle einer Insolvenz finanzielle Sicherheit schafft. Daher kündigten sie an, „im Falle einer tatsächlichen Insolvenz“ diesen Schachzug rechtlich prüfen zu lassen.

Außerdem habe Riexinger auf der Versammlung gesagt, man gebe der Zeitung zwei Jahre, um in sichereres Fahrwasser zu gelangen. Völlig unzureichend, moniert man in der Redaktion. Mindestens fünf bis sieben Jahre brauche die Zeitung, um eine strategische und redaktionelle Neuausrichtung gewinnbringend umzusetzen.

2019 droht die Insolvenz

Anfang Mai schließlich sprach eine Delegation der Zeitung mit dem Parteivorstand. Laut Protokoll nahmen vier Mitarbeiter, Geschäftsführer Schindler und ein Sekretär der Gewerkschaft Verdi teil. Der Vorstand bekräftigte seinen Willen, die Zeitung zu erhalten, und betonte, dafür schon „erhebliche Mittel“ zugeführt zu haben. Aus der Belegschaft ist indes zu vernehmen, dass es auch „massive Vorbehalte“ gegen die Gespräche mit dem Parteivorstand gebe. Manche fürchteten eine zu große Einflussnahme. Andere betonten die Verantwortung der Partei als Gesellschafter. Ein Gremium, das die Partei einzusetzen plant, um darin die Zukunft des ND zu diskutieren, sehen einige ebenso mit Skepsis. Denn an der vollen redaktionellen Unabhängigkeit der Zeitung, die im Redaktionsstatut festgeschrieben ist, wolle man festhalten. Klar machte die Parteispitze bei dem Gespräch auch: Sechs bis sieben Jahre werde man der Zeitung nicht geben. Bleibt es bei der Zusicherung von zwei Jahren und geht man vom Datum der ersten Nennung dieser Frist aus, könnte dem ND Ende 2019 die Zahlungsunfähigkeit drohen.

Der Krise liegt letztlich eine Frage der Marktlogik zugrunde: Gibt es im (doch recht kleinen) linken Sektor der deutschen Medienlandschaft Platz für eine Zeitung zwischen taz, Freitag, Junge Welt und Jungle World – Monatspublikationen wie Le monde diplomatique und analyse & kritik ausgenommen? Wenn erstere bereits die Funktion einer strömungsübergreifenden, informierenden Tageszeitung erfüllt, der Freitag das Segment Wochenzeitung belegt und sich an ein linksliberales Publikum wendet, die Jungle World ein radikaleres, eher antideutsches und junges Publikum anspricht, und die Junge Welt die letzten Kommunisten mit Affinität zur DDR einsammelt – an wen soll sich das ND dann richten? Außenpolitik, Staatsverständnis, Nahostkonflikt, Revolution oder Reform, mit Rechten reden oder nicht – für beinahe jedes große linke Streitthema gibt es Publikationen, die jede erdenkliche Seite abdecken – oder zumindest zu Wort kommen lassen. „Wir wollen das ND und wir wollen es besser machen“, heißt es aus der Belegschaft. Teilweise handle es sich jedoch auch um ein Marketingproblem. Die Belegschaft gründete deshalb den „AK Future“, der Konzepte entwickelt, die der Zeitung die Existenz sichern sollen. An Engagement mangelt es nicht. Tatsächlich haben in den letzten Jahren die kritische Distanz zur Linkspartei und die Nähe zu sozialen Bewegungen und Kämpfen wie Streiks und Besetzungen einen Eindruck davon entstehen lassen, welche wichtige Rolle diese Zeitung auch in Zukunft spielen könnte.

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