Partizipation als Wettbewerbsvorteil

Rekommunalisierung Zurück zum Staat ist nicht alles. Viele Bürger fordern Mitsprache, sagt der Politologe Carsten Herzberg
Ausgabe 04/2017

der Freitag: Herr Herzberg, auf Bundesebene scheint der Privatisierungsdruck heute unverändert hoch zu sein. Wie sieht es in den Ländern und Kommunen aus?

Carsten Herzberg: Das ist von Sektor zu Sektor und von Land zu Land unterschiedlich. Aber meine Erfahrung ist, dass Kommunen skeptischer geworden sind, was Privatisierungen angeht. Wenn es Motivation zum Gegenentwurf, zur Rekommunalisierung, gibt, müssen damit aber auch immer wirtschaftliche Vorteile verbunden sein. Entweder für die Kommune, für die es sich rechnet, oder für die Bürger, denen man Dienstleistungen günstiger anbieten möchte.

Warum geht mit Privatisierungen oft ein Vertrauensverlust einher und welche Chancen bieten denn Rekommunalisierungen?

Wenn Dienstleistungen privatisiert werden und es dann zu Preissteigerungen kommt, hängt man diese leicht den Privaten an. Dann gibt es oft Bemühungen, das zurück in öffentliche Hand zu holen, auch mit der Hoffnung, dass es wieder transparenter wird. Der Punkt ist dabei aber: Das ist kein Automatismus.

Inwiefern?

Rekommunalisierung allein schafft nicht mehr Transparenz und Mitsprache. Eine öffentliche GmbH kann genauso intransparent sein wie ein privates Unternehmen. So hat man dann nichts gewonnen. Daher fordern soziale Bewegungen heute nicht nur eine Rückkehr zum Staat, sondern auch Mitsprache.

Wie kann die aussehen?

Sehr verschieden. Man kann da drei Bereiche unterscheiden: Das eine ist die politische Mitsprache, etwa mit einem politischen Beirat. Hamburg hat Letzteres für seine Energienetzgesellschaften eingeführt, da sind dann Leute von BUND, Kammern, Gewerkschaften, Landesparlamentarier und Verbraucherschützer vertreten. Oder Bürger sitzen direkt in Kontrollgremien wie dem Aufsichtsrat.

Das gibt es?

In Frankreich ist das weit verbreitet, in Deutschland relativ selten. Ein Beispiel sind die Stadtwerke Wolfhagen in Hessen. Da hält eine Bürgerenergiegenossenschaft Anteile an den Stadtwerken und ist im Aufsichtsrat vertreten. Die in Deutschland geläufigste ist die zweite der drei Formen: die so genannte partizipative Produktentwicklung, bei der es darum geht, das Wissen der Bürger zur Verbesserung von Dienstleistungen und Produkten zu nutzen. Gängiges Instrument ist ein Kundenbeirat. Die dritte Form sind bürgerschaftliche Partnerschaften, wenn Bürger Teilaufgaben des Unternehmens übernehmen.

Zur Person

Carsten Herzberg, 44, leitet am nexus Institut in Berlin ein Forschungsprojekt zu Rekommunalisierungen, das die Böckler-Stiftung finanziert. Sein Buch Legitimation durch Beteiligung (VSA 2015) stellt das Pariser Beispiel vor

Läuft das immer reibungslos ab?

Ein Problem tritt auf, wenn sich die Beteiligten nicht auf eine Form einigen können. Wenn zum Beispiel Bürgerinitiativen politische Mitsprache einfordern und dann Kundenbeteiligung bekommen. Dann gibt es oft einen Konflikt. Wenn es keinen Konsens über das Partizipationsverfahren gibt, kann Bürgerbeteiligung keine positive Wirkung entfalten.

Wir haben bisher über Bürger und Kunden gesprochen. Welche Rolle spielen die Mitarbeiter?

Bürgerbeteiligung kann nur gewinnen, wenn sie nicht auf Kosten der Mitarbeiter geht. Die große Befürchtung könnte ja sein: Bürger im Aufsichtsrat, die wollen doch vor allem günstige Preise. Das würde einen Rationalisierungsdruck auslösen, den Mitarbeiter zu tragen hätten. Bei Fallbeispielen, die ich mit einem Kollegen untersucht habe, konnten wir das aber nicht beobachten. Stattdessen setzten sich die Bürger sehr ernst mit den Folgen auseinander, waren sehr empathisch, was die Bedürfnisse der Mitarbeiter angeht. Oft haben wir bei Arbeitnehmerinterviews die Aussage gehört, die Beteiligung der Bürger sei eine Bereicherung. In jedem Fall aber müssen die Mitarbeiter auf die Partizipation vorbereitet werden, sich darin wiederfinden. Eigentlich muss man dann auch den nächsten Schritt wagen und sagen: Wie die der Bürger wollen wir jetzt auch die Partizipation der Mitarbeiter im Sinne einer Stärkung von Arbeitnehmerrechten fördern.

Schwächen all diese Spielarten der Beteiligung nicht die repräsentative Demokratie?

Nein, das sehe ich so nicht. Es gibt verschiedene Arten, Bürgerbeteiligung und repräsentative Demokratie zu verbinden, und es ist möglich, das so zu gestalten, dass es sich gegenseitig stärkt.

Welchen Vorteil sehen Sie?

Bürgerbeteiligung schafft nicht nur Transparenz, sondern kann auch zu Identifikation führen. Damit verfügen öffentliche Firmen über einen Wettbewerbsvorteil gegenüber privaten. Dieser kann insofern zum Tragen kommen, als Bürger in liberalisierten Märkten öffentlichen Unternehmen auch dann treu bleiben, wenn diese nicht mit Dumpingpreisen privater Anbieter konkurrieren können.

Bürgerbeteiligung kann also Solidarität stiften. Ist das schon eine Art der Emanzipation?

Emanzipation ist ein großes Wort. Man darf es auch nicht überschätzen. Man öffnet neue Kanäle, und es kann sein, dass etwa eine Beteiligung im Kontrollgremium von außen nicht als partizipativ wahrgenommen wird. Deswegen finde ich Wasserbetriebe in Paris spannend, wo es eine Kopplung von Kontrollgremium und Beirat gibt.

Wie genau sieht das in Paris aus?

Im Kontrollgremium gibt es 18 Stimmberechtigte, drei davon kommen aus der Bürgerschaft: Ein Sitz wird an einen Umweltverband vergeben, einer an eine Verbraucherschutzinitiative; der dritte Sitz ist für den Vorsitzenden eines Beirates. Das Kontrollgremium trifft sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit, deswegen gibt es eben andererseits den Beirat, Observatoire genannt, der öffentlich tagt und wo verschiedene Gruppen vertreten sind. Die haben dadurch ein Forum, wo sie über strategische Fragen diskutieren und Arbeitsgruppen gründen können und das jedem Interessierten zugänglich ist. Durchaus bemerkenswert: Die Empfehlungen des Beirates sind auf Beschlussvorlagen des Pariser Stadtparlaments aufgeführt, wenn dieses Entscheidungen zur Wasserpolitik fällt. Dann muss jeder Repräsentant selbst entscheiden, inwieweit er das berücksichtigt.

Wie kam es zu alldem in Paris?

So etwas kann man nicht ohne den politischen Willen der bisherigen Entscheidungsträger einführen. In Paris hatte sich die Beigeordnete Anne Le Strat sehr für die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe eingesetzt. Sie war verantwortlich für den Betrieb, der von 2010 an dann wieder für die Wasserversorgung der Stadt zuständig war. Und sie hat dafür gesorgt, dass Bürgerinitiativen im Kontrollgremium vertreten sind, hat diese auch mit ausgesucht. Da fragt man sich natürlich: Ist das jetzt Kooptation? Aber in Paris gibt es keine große Konkurrenz um diese Aufsichtsratsplätze, das wäre in Berlin vielleicht anders.

In Berlin sitzen nun ja Mieter mit in den Aufsichtsräten der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften. Kommt da von Rot-Rot-Grün noch mehr?

Rekommunalisierung und Partizipation strebt die Koalition jedenfalls an. In welche Richtung, das weiß ich noch nicht. Wir dürfen gespannt sein.

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