Psychiater auf den Barrikaden

Bayern Die CSU wollte psychisch Kranke wie Schwerverbrecher behandeln. Das ist ein Zeugnis für den Sicherheitswahn, der die Partei ergriffen hat
Ausgabe 17/2018

Selten stieß ein Gesetzesvorhaben auf so massiven, einhelligen und empörten Widerspruch wie das von der bayrischen Landesregierung geplante „Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz“ (BayPsychKHG). Ärzte und Therapeuten waren entsetzt, die Opposition empört, die Presse schlug Alarm. Bevor Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach einer Expertenanhörung im Landtag am Dienstag eine Entschärfung des Gesetzentwurfes bekannt gab, übertrafen sich die Kritiker mit der Klassifikation des Entwurfes als „erschreckend“ und „extrem gefährlich“, als „Katastrophe“ gar. Andreas Heinz, Psychiater und Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité Berlin, sprach dem Gesetz im Interview mit Zeit Online jede „psychiatrische, also wissenschaftliche Grundlage“ ab. Heribert Prantl, das Sturmgeschütz für Bürgerrechte der Süddeutschen Zeitung, beklagte die „Brutalitas bavarica“ angesichts eines Gesetzes, das „Angst und Schrecken“ verbreite. Was war geschehen?

Das bayrische Kabinett wollte das seit 1992 geltende Unterbringungsgesetz ablösen und die Verfahren modernisieren. In der Gesetzesbegründung hieß es, es gehe darum, „Unterbringungen und Zwangsmaßnahmen so weit irgend möglich zu vermeiden“ und einen „Beitrag zur Entstigmatisierung“ zu leisten. Unter jenen, die sich mit der Materie auskennen, war indes Konsens, dass das Gegenteil bewirkt würde.

Krankheit als Verbrechen

Der erste Teil des Entwurfs regelt die Einrichtung eines landesweiten, rund um die Uhr erreichbaren Krisendiensts – eine Maßnahme, die auf breite Zustimmung stößt und sich an dem orientiert, was in anderen Bundesländern längst Usus ist. Doch im zweiten, ungleich umfassenderen Teil, lag der Hund begraben. Denn dort ging es um die „öffentlich-rechtliche Unterbringung“, also um die nicht allzu häufigen Fälle, in denen Menschen mit psychischen Problemen per gerichtlicher Anordnung in eine psychiatrische Klinik gebracht werden. Die Geschichte der Psychiatrie ist von menschenunwürdigen Praktiken geprägt, weshalb dies aus guten Gründen nur in Ausnahmefällen passieren soll. Es betrifft vor allem Menschen mit starken Psychosen, die nicht mehr in der Lage sind, einen Beschluss zur Behandlung selbst zu fassen und dabei für ihre Mitmenschen nicht mehr handhabbar sind oder eine Gefahr darstellen. Außerdem betrifft es immer wieder Menschen mit Depressionen, die sich das Leben nehmen wollen und deshalb von der Polizei „eingeliefert“ werden, wie der Volksmund sagt.

Problematisch war, was geschehen sollte, sobald sie über die Schwelle der Klinik treten. Denn die Novelle sah umfassende Grundrechtsverletzungen vor. So sollten „Einschränkung, Untersagung, Überwachung oder das Anhalten von Schrift- und Paketverkehr, von Bild-, Ton- oder Datenträgern und von ähnlichen Formen der Nachrichtenübermittlung“ erlaubt sein, außerdem massive Einschränkungen des Besuchsrechts und „ständige Überwachung“ – auch des Telefons. Obendrein sollten für alle Formen der Kommunikation nach außen die entsprechenden Regelungen aus dem Bayerischen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzes (BaySvVollzG) gelten. Das heißt, Menschen, die Hilfe brauchen, sollten behandelt werden wie verurteilte Schwerverbrecher. Die dagegen Sturm laufenden Psychiater wurden nicht müde zu betonen, dass es einen himmelweiten Unterschied zwischen der Regelung der forensischen Psychiatrie und der allgemeinen gebe. Denn Erstere betrifft Straftäter, die gerichtlich aufgrund einer psychischen Störung für schuldunfähig befunden werden und, quasi als Strafersatz, in die Psychiatrie kommen. Letztere die Heilung kranker, aber unbescholtener Menschen.

Doch das war nicht alles. Die Regierung plante zudem die Einrichtung einer zentralen Datei, in der fünf Jahre lang nicht nur die Eckdaten der Unterbringung, sondern auch personenbezogene Daten sowie die Diagnose gespeichert werden sollten. Die dafür zuständige Behörde sollte diese Informationen auch zum Zwecke der Strafverfolgung an die Polizei weitergeben können. Außerdem – und diese Passage hat auch das Zurückrudern überstanden – sollen die Polizei und der zuständige Bezirk informiert werden, sobald ein untergebrachter Patient wieder entlassen wird.

Wie kann es sein, dass eine deutsche Landesregierung psychisch Kranke wie Verbrecher behandeln will? Dass jemand, der in einer schweren Psychose seine Mitmenschen bedroht, fünf Jahre lang aktenkundig sein soll? Dass ein Depressiver, der drauf und dran ist, sich umzubringen, bei seiner Entlassung der Polizei gemeldet werden soll? Und wie kann es sein, dass die Staatsregierung das als Fortschritt verkaufen wollte?

Gefühle statt Fakten

Die Antwort findet sich beispielsweise in Artikel 6 des Entwurfs. Absatz 1, Satz 1 lautet da: „Ziel der Unterbringung ist die Gefahrenabwehr“. Ja, es geht bei der Unterbringung um Situationen, in denen die Patienten sich und andere gefährden. Doch dass es erst im zweiten Satz heißt, dass es auch darum gehe, den Zustand der Person zu bessern, zeigt, unter welchem Blickwinkel dieser Teil des Gesetzes entstand. Es ging nicht um die Verbesserung der psychiatrischen und psychosozialen Versorgung – sondern um Sicherheitspolitik. Denn Bayern – so prangt es auf der Homepage der regierenden CSU – ist „Sicherheitsland Nr. 1“ und soll das bleiben. Wer abweicht und in irgendeiner Weise eine Gefahr darstellt, wird zum Ziel engmaschiger Überwachung. Es ist Spekulation, ob die Regierung an Fälle wie den des Piloten Andreas Lubitz, der im Frühjahr 2015 mit einem Flugzeug 149 Menschen mit in den Suizid riss, gedacht hat. Aber solche Extremfälle sind es, die als Regel suggeriert werden. Es geht also auch hier, wie so oft in der Sicherheitspolitik, mehr um Gefühl als um Fakten.

Insofern kann das BayPsychKHG nicht losgelöst vom neuen Polizeiaufgabengesetz verstanden werden, dass das Kabinett in München wenige Zeit vorher auf den Weg gebracht hatte. Die CSU hat in ihrem Wahn der inneren Sicherheit den Rechtsstaat, die Bürgerrechte und wohl auch die grundlegenden Menschenrechte längst aus den Augen verloren. Nicht auszumalen, was eine potenzielle AfD-Regierung anrichten könnte, wenn ihr das Instrumentarium, das die CSU bereit ist zu schaffen, in die Hände fallen sollte. Und das ist kein bayrisches Problem. Der für beide Gesetze verantwortliche Ministerpräsident ist inzwischen Bundesinnenminister – Horst Seehofer.

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