RRRRammstein, die Deutschen und der Holocaust

Gesellschaft Im neuen Musikvideo der Gruppe Rammstein offenbart sich eine große deutsche Sehnsucht – und eine Lüge
Ausgabe 14/2019
Es ist hinlänglich auserklärt, dass der große internationale Erfolg von Rammstein auf der Zurschaustellung ihres Deutschtums beruht
Es ist hinlänglich auserklärt, dass der große internationale Erfolg von Rammstein auf der Zurschaustellung ihres Deutschtums beruht

Foto: Imago/Future Image

Seit 25 Jahren verstehen sie das Geschäft der Provokation, das muss man Rammstein lassen. Ein 30 Sekunden langes Werbevideo zur Ankündigung der neuen Single „Deutschland“ hatte die Rockband umgehend ins Gerede gebracht. Darin zu sehen: einige der Mitglieder in KZ-Häftlingskleidung am Galgen. Der Holocaust als Werbegag. Die mit deutsch-faschistoider Ästhetik kokettierenden Rammsteins inszenieren sich als Opfer des NS. Der Clou: das Lied und Video haben eine ganz andere Botschaft. In dem Filmchen begleitet eine von der schwarzen Schauspielerin Ruby Commey gespielte Germania die Band durch 2000 Jahre deutsche Geschichte – Gewaltgeschichte. Im Text heißt es zu guter Letzt: Deutschland / meine Liebe / kann ich dir nicht geben. Im Land der aufgeklärten Patrioten, der Anti-Nationalisten und Aufarbeitungsweltmeister sorgen nun ein paar alternde Rocker für eine Klimaerwärmung des Denkens, die sonst Gendersternchen oder Gedichten an Hauswänden vorbehalten ist.

Es ist hinlänglich auserklärt, dass der große internationale Erfolg von Rammstein auf der Zurschaustellung ihres Deutschtums beruht. Martialisch, mit massivem Sound und gerolltem R passt Rammstein so gar nicht in das Selbstbild der bundesrepublikanischen Deutschen. Friedfertig, mit der Vergangenheit im Reinen, weil sie aufgearbeitet ist, weltoffen und mit den Nachbarn auf Augenhöhe, so will das neue Deutschland sein. Da wirken Till Lindemann und Co. wie schlecht erzogene Jungs, die aus dem deutschen Konsens ausscheren – aus kommerziellem Interesse! Andererseits: Ein entspanntes Deutschland könnte doch einfach mit den Achseln zucken, weil man es besser weiß. Oder?

Ein Deutscher ist, nach einem Diktum Theodor W. Adornos, ein Mensch, der keine Lüge aussprechen kann, ohne sie selbst zu glauben. Dass aggressiv reagiert, wer auf Lebenslügen angesprochen wird, weiß jeder Küchenpsychologe. Die im kulturhistorischen Sinne romantisch geprägten Texte und Videos, kombiniert mit faschistoider Monumentalikonografie berühren etwas, das in dieser Gesellschaft nach wie vor tief verankert ist: eine Sehnsucht nach dem großen deutschen Zusammenhang. In diesem Sinne ist die 1994 gegründete Rockgruppe im wahrsten Sinne des Wortes Kind ihrer Zeit: des vereinigten Deutschlands, das deutsch spricht, deutsch denkt und deutsch fühlt – und sich dabei von niemandem mehr vorschreiben lassen will, was das heißt. Schon gar nicht von den ehemaligen Alliierten, bei denen sich ausgerechnet diese aggressiven Teutonen großer Beliebtheit erfreuen.

Zur Wahrheit über die deutsche Lüge gehört auch, dass Auschwitz längst als Rechtfertigung für neue deutsche Macht dient. Es ist das alles erdrückende Argument, mit dem die Bundesrepublik ihren Anspruch auf Weltgeltung durchsetzt; Moral statt Stahl. Heiko Maas, der zu Protokoll gibt, „wegen Auschwitz“ in die Politik gegangen zu sein, ist zugleich der Außenminister, der Israel (der wirklichen Konsequenz aus dem Holocaust) den Platz im UN-Sicherheitsrat wegschnappte. Auschwitz ist nicht zuletzt der auf groteske Weise positiv umgedeutete Gründungsmythos der Nation der Täter. Als Nestbeschmutzer gilt dabei, wer den Holocaust nicht (identitäts-)politisch nutzt, sondern die letzte Konsequenz zieht und Kasse macht. Die aufgescheuchte Stimmung der aufgeklärten deutschen Gesellschaft sagt mehr über deren schlechtes Gewissen als über die Kunst der Rockband.

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Geschrieben von

Leander F. Badura

Redakteur Kultur (Freier Mitarbeiter)

Leander F. Badura kam 2017 als Praktikant im Rahmen seines Studiums der Angewandten Politikwissenschaft in Freiburg und Aix-en-Provence zum Freitag, wo er bis 2019 blieb. Nach einem Studium der Lateinamerikastudien in Berlin und in den letzten Zügen des Studiums der Europäischen Literaturen übernahm er 2022 im Kultur-Ressort die Verantwortung für alle Themen rund ums Theater. Des Weiteren beschäftigt er sich mit Literatur, Theorie, Antisemitismus und Lateinamerika. Er schreibt außerdem regelmäßig für die Jungle World.

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