Spurensuche in Hellersdorf

Berlin Art Week Die Ausstellung „Salud – Picasso Speaking“ der nGbK wollte sich der politischen Geschichte von Picasso-Ausstellungen widmen – und wurde vom Krieg in der Ukraine eingeholt
Ausgabe 36/2022

Im Dezember 1937 griff Pablo Picasso zum Telefon und ließ sich mit einem Anschluss in den Vereinigten Staaten verbinden. Der Anruf galt dem Zweiten Amerikanischen Künstlerkongress, einer Vereinigung kommunistischer Künstler, die sich unter anderem für Solidarität mit der Spanischen Republik im Kampf gegen die faschistischen Putschisten unter Franco einsetzten – was auch der Anlass für Picassos Anruf war.

Picasso, der seit 1904 in Paris lebte, unterstützte die Spanische Republik seit Beginn des Bürgerkriegs 1936. Die Regierung ernannte ihn zum Direktor des Museo del Prado – ein eher symbolisches Amt, denn das Museum war bereits im November 1936 bombardiert worden.

Dem kommunistischen Funktionär des Kulturministeriums Josep (oder José) Renau war es zuvor gelungen, die Bilder nach Valencia zu evakuieren. Bereits im September 1936 hatte er zudem Picasso gebeten, ein Bild für die Weltausstellung in Barcelona im darauffolgenden Jahr beizusteuern. Was dazu gedacht war, den heldenhaften Kampf zu unterstützen, wurde zu einer der berühmtesten Darstellungen unermesslichen Leids: Picassos Gemälde Guernica, das den Bombenangriff der deutschen Legion Condor auf die gleichnamige baskische Stadt künstlerisch verarbeitete, war von Sommer 1937 an auf der Weltausstellung in Barcelona zu sehen. Ein Bild über den Krieg, mitten im Krieg.

Der Krieg ging verloren, Picasso wurde staatenlos und blieb in Frankreich, Guernica wurde in die USA gebracht – und Josep Renau? Der ging nach einiger Zeit in Mexiko in die DDR. Dort leitete er ein Atelier in Berlin-Hellersdorf, das Wandbilder fertigte, die erstaunlich wenig nach sozialistischem Realismus aussehen – wie das jüngst restaurierte Großmosaik Die Beziehung des Menschen zu Natur und Technik in Erfurt.

In Hellersdorf liegt auch die Station Urbaner Kulturen, ein Standort der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK). Eben jene Geschichte, oder besser gesagt, jene Schneise durch die Geschichte, bildet einen der Fäden, die sich durch eine neue dortige Ausstellung ziehen. Benannt ist sie nach dem Gruß, mit dem Picasso sich am Telefon meldete, als er seine Kollegen in den USA anrief: Salud – Picasso Speaking will eine „Ausstellung über eine Ausstellung über Ausstellungen und Bücher“ sein, wie es im Ankündigungstext heißt.

Ausgangspunkt ist dabei die Ausstellung Der geteilte Picasso, die vergangenes Jahr im Museum Ludwig in Köln zu sehen war und sich der Rezeption Picassos in beiden deutschen Staaten widmete (der Freitag 39/2021). Die nGbK blickt aber auch auf ihre eigene Geschichte. So war es die nGbK-Ausstellung Kunst und Politik am Beispiel Guernica. Picasso und der Spanische Bürgerkrieg, die 1975 dazu beitrug, dass das Bewusstsein für den Hintergrund des Bildes in der Bundesrepublik – also die deutsche Täterschaft – geschärft wurde.

Die Dias jener didaktisch konzipierten Schau gingen verloren, wohl nachdem sie 1976 zur Biennale in Venedig geschickt worden waren. An der nahm auch Renau teil, der im Zuge der Demokratisierung Spaniens dorthin zurückkehrte, um „der Sache der Moderne in den postfranquistischen Museen zu dienen“, wie es Kurator Jochen Becker ausdrückt.

Becker verantwortet die Ausstellung gemeinsam mit Kuratorin Constanze Musterer und der Gestalterin Madeleine Störer. Er spricht am Telefon voller Begeisterung über die zahlreichen Spuren, auf die sie bei der Recherche gestoßen seien. So sei beispielsweise kaum bekannt, dass die Legion Condor auf einem Flugplatz im mecklenburgischen Rechlin die Bombenangriffe übte. Das ehemalige Erprobungs- und Übungsgelände der Luftwaffe ist heute Teil des Ortes, an dem das sehr beliebte linke Fusion-Festival stattfindet, das mit dem Begriff „Ferienkommunismus“ wirbt.

Auf Stalins Gesundheit

Alles andere als ein Ferienkommunist war Picasso, der 1944 in die Kommunistische Partei Frankreichs (PCF) eintrat und in den 1950ern immer wieder Arbeiten für kommunistische Zeitungen oder Friedenskongresse bereitstellte. So fertigte er für die KPF 1950 eine Zeichnung mit dem sprechenden Titel Staline. À ta santé (Auf deine Gesundheit, Stalin). Drei Jahre später gestattete er Bertolt Brecht die Verwendung seiner Friedenstaube für den Vorhang am Berliner Ensemble. Dieser war dort bis 1993 im Einsatz – und wurde nach Russlands Überfall auf die Ukraine im Februar wieder hervorgeholt.

Bezeichnend, denn es ist keine reine Nabelschau, die hier stattfinden soll. Wie so viele künstlerische Projekte wurde die Ausstellung von der Realität eingeholt. Vom Ansatz, eine Ausstellung über Ausstellungen zu machen, habe man sich immer weiter entfernt, erzählt Becker, „weil ein Krieg dazwischengekommen ist“. Wer 2022 über Guernica sprechen will, darf von Mariupol nicht schweigen. Da die Sowjetunion im Spanischen Bürgerkrieg eine zentrale und ambivalente Rolle als Unterstützerin der Republik spielte, ergibt sich ein komplexes historisches Beziehungsgeflecht.

Die hauptsächlich aus collagierten Materialien über die vorangegangenen Ausstellungen bestehende Schau wird durch zwei neue künstlerische Beiträge ergänzt. Der Ausflug ins postsozialistische Hellersdorf wird sich lohnen.

Salud – Picasso Speaking. Guernica und der Krieg in den Städten neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) 15. September 2022 bis 14. Januar 2023

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Geschrieben von

Leander F. Badura

Redakteur Kultur (Freier Mitarbeiter)

Leander F. Badura kam 2017 als Praktikant im Rahmen seines Studiums der Angewandten Politikwissenschaft in Freiburg und Aix-en-Provence zum Freitag, wo er bis 2019 blieb. Nach einem Studium der Lateinamerikastudien in Berlin und in den letzten Zügen des Studiums der Europäischen Literaturen übernahm er 2022 im Kultur-Ressort die Verantwortung für alle Themen rund ums Theater. Des Weiteren beschäftigt er sich mit Literatur, Theorie, Antisemitismus und Lateinamerika. Er schreibt außerdem regelmäßig für die Jungle World.

Leander F. Badura

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