„Smash“ ist Jugendwort des Jahres: Fick mich im Konjunktiv

Meinung Jugendliche haben abgestimmt: „Smash“ ist das Jugendwort des Jahres. Die Bedeutung ist sexuell, obwohl die Jugend immer weniger Sex hat. Ein Paradox, oder nicht?
Drückt sich im Jugendwort 2022 Sehnsucht nach Liebe aus?
Drückt sich im Jugendwort 2022 Sehnsucht nach Liebe aus?

Foto: Yay Images/Imago Images

Fast zwei Millionen Aufrufe allein auf YouTube hat das Video, in dem Tagesschau-Sprecherin Susanne Daubner vergangenes Jahr erklärte, was das damalige Jugendwort „cringe“ eigentlich bedeutet. Diesen Begriff für eine Art Fremdscham konnte sie problemlos performen, indem sie einen Satz voller Jugendwörter in perfektem Nachrichtensprecherinnen-Duktus formulierte. Man darf gespannt sein, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch dieses Jahr seinen Bildungsauftrag erfüllt. Es hätte jedenfalls noch mehr cringe-Potenzial, sollte Susanne Daubner versuchen, mit einer Erklärung des Wortes „smash“ zu flexen. Allerdings hat der Deutschlandfunk am Morgen in den Nachrichten schon deutlich gemacht, dass man sich etwas ziert, die Bedeutung von „smash“ klar zu benennen. Es hieße so viel wie „mit jemandem etwas anfangen“.

Anfangen? Was denn anfangen? Einen Lesekreis? Woher die Prüderie? Man kann es doch einfach sagen: smash heißt, mit jemandem schlafen, oder halt, nun ja, ficken. Seinen Ursprung hat das Wort, das deutlich vor „bodenlos“ und „Macher“ gewann, in einem Datingspiel fürs Smartphone, wo man Personen nach den Prinzipien „smash or pass“ als, ja, wie soll man es denn sonst sagen?, fickbar oder nicht fickbar bewertet.

Man muss das so obszön sagen, denn obszön ist es ja auch, so im Umgang mit Menschen zu verfahren. Allerdings ja auch eine allgemeine Tendenz: „smash“ bringt zum Ausdruck, was Dating-Apps als Prinzip längst etabliert haben: die fortschreitende Verdinglichung des Geschlechtlichen. Dabei erzählen Forschende seit Jahren, die Deutschen und gerade die jüngeren unter ihnen, hätten immer weniger Sex – und immer später. Nun muss es nichts Schlechtes sein, nicht schon mit 14 oder 15 erste, meist eher unangenehme Erfahrungen mit Sex zu machen. Doch auffällig bleibt das Paradox von immer mehr Sexualisierung in der Öffentlichkeit und immer weniger Sex im Privaten.

Vom „Knallen“ und „Zerbrechen“

Ein Widerspruch ist das nicht, denn betrachtet man die reale Verwendung von „smash“ auf TikTok oder anderen Plattformen, wird deutlich, dass dieser Sex immer nur hypothetisch ist. Alle so: den/die würde ich smashen. Niemand so: den/die werde ich smashen. Warum ist das so? Klar, wer gerade auf Instagram rumhängt, kann keinen Sex haben. Aber möglicherweise hängt es ja auch gerade mit der Omnipräsenz von Sex zusammen. Die baut eine Menge Druck auf.

Denn das Bild, das von Sex kolportiert wird, ist ja ein völlig unrealistisches. Darauf deutet auch die ursprüngliche Bedeutung von „smash“ hin: zerschlagen, zerbrechen. Für manche mögen mit diesen Begriffen erotische Vorstellungen verbunden sein, als generelle Beschreibungen für Geschlechtsverkehr taugen sie so wenig wie ältere, sehr männlich geprägte Begriffe wie „knallen“.

Es gibt längst Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass sich für junge Menschen, die im Alter der sexuellen Initiation sind, die Vorstellungen davon, was Sex ist, deutlich gewandelt haben. Gut zwanzig Jahre nach dem Beginn des Siegeszugs von Onlinepornografie kann das kaum verwundern. Denn obschon sich liberalfeministische Diskurse eifrig daran machen, Pornografie als halb so schlimm darzustellen, und sogar darüber diskutiert wird, der öffentlich-rechtliche Rundfunk solle doch Pornos drehen (die dann allerdings „Mit-jemandem-was-anfangen-Filme“ heißen müssten), ist mehr als offensichtlich, dass die real existierende Pornografie einen negativen Einfluss hat: „Choking“, also jemanden zu würgen, ist viel üblicher geworden, der „blowjob“ gilt manchen längst als Voraussetzung für normalen Sex. Dabei fällt jedoch auf: viele junge Menschen glauben zwar, „harter Sex“ sei normal, viel weniger geben aber an, „harten Sex“ auch zu mögen.

Aber vielleicht, ganz vielleicht, ist „smash“ ja deswegen immer im Konjunktiv: zerbrochen werden wollen die meisten eben nicht. Wie wär’s stattdessen mit Zärtlichkeit?

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Geschrieben von

Leander F. Badura

Redakteur Kultur (Freier Mitarbeiter)

Leander F. Badura kam 2017 als Praktikant im Rahmen seines Studiums der Angewandten Politikwissenschaft in Freiburg und Aix-en-Provence zum Freitag, wo er bis 2019 blieb. Nach einem Studium der Lateinamerikastudien in Berlin und in den letzten Zügen des Studiums der Europäischen Literaturen übernahm er 2022 im Kultur-Ressort die Verantwortung für alle Themen rund ums Theater. Des Weiteren beschäftigt er sich mit Literatur, Theorie, Antisemitismus und Lateinamerika. Er schreibt außerdem regelmäßig für die Jungle World.

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