Unterirdisch

Architekturerbe Mit dem Ku’damm-Karree verramscht Berlin sein bauliches Erbe weiter. Ein Armutszeugnis
Ausgabe 21/2018
Das Theater und die Komödie am Kurfürstendamm müssen einem Einkaufszentrum weichen
Das Theater und die Komödie am Kurfürstendamm müssen einem Einkaufszentrum weichen

Foto: Raimund Müller/Imago

Falls jemand glaubte, Verdrängung im Zuge von Gentrifizierung betreffe nur günstige Quartiere, und in Lagen wie dem Kurfürstendamm in Berlin sei nichts mehr zu holen, so sei dieser nun belehrt: Im Ku’damm-Karree, einem Filetgrundstück zwischen Uhland- und Knesebeckstraße, steht eine grundlegende Veränderung an. Das Theater am Kurfürstendamm und die Komödie am Kurfürstendamm werden abgerissen. Stattdessen entsteht ein Einkaufszentrum. Dem Betreiber der Boulevardtheater wird ein neuer Saal gebaut – unterirdisch. Das ist Resultat einer Abmachung zwischen Immobilieneigentümer, Theaterbetreiber und Berliner Senat. Der Senat schießt 800.000 Euro pro Jahr zu, um die Miete für das neue Theater zu stemmen. Traurig genug, dass Theater einer Mall weichen müssen. Doch Recherchen der Berliner Zeitung zufolge birgt diese Geschichte noch ganz andere Skandale.

Sie beginnt 1990 mit dem Verkauf des Karrees durch die Senatsverwaltung. Die Klausel, die den Theatern Bestandsgarantien gibt, wird 1998 verscherbelt. Ende 2002 kauft eine Tochterfirma der Deutschen Bank das Theater; drei Jahre später flattert dem Betreiber Martin Woelffer die Kündigung ins Haus. 2014 wechselt das Areal erneut den Besitzer. Inzwischen hat die Deutsche Bank es in ein Unternehmen gepackt. Durch „Share Deals“, bei denen nicht Grundstücke, sondern nur Unternehmensanteile verkauft werden, entgehen dem Land jährlich Milliarden Steuereinnahmen. Ein Skandal für sich.

Die neuen Eigentümer machen nun Ernst, der Abriss steht bevor. Warum aber blieb eine Prüfung der Schutzwürdigkeit der Gebäude im Sinne des Denkmalschutzes auf der Strecke? Und warum wird es vom rot-rot-grünen Senat mit nicht viel mehr als bedauerndem Achselzucken quittiert, dass Berliner Architekturerbe zerstört wird – und erneut Kultureinrichtungen Opfer von Verdrängung werden?

Doch das ist noch nicht alles. Die Recherchen der Berliner Zeitung zu den derzeitigen Besitzern führen in ein Dickicht aus Briefkastenfirmen in der Karibik und letztlich nah an den Kreml – zu einem Vertrauten Wladimir Putins, einem russischen Oligarchen. Der deutsche Immobilienmarkt ist ein Paradies für Geldwäscher, denn die Gesetzeslage ist löchrig, die Behörden für Kontrolle und Strafverfolgung unterbesetzt. Und wer auf Sanktionslisten der EU steht, muss sein Geld gut verstecken, will er hier noch Geschäfte machen. Beweise sind kaum zu erbringen, doch die Indizien nähren einen Verdacht: Sollte das Ku’damm-Karree einem Fall dreister Geldwäsche zum Opfer fallen? Und hat der Senat dabei zugesehen?

Die Geschichte der Theater beginnt 1924, als Max Reinhardt, seinerzeit einer der berühmtesten Regisseure Deutschlands, den Architekten und Theaterbauer Oskar Kaufmann, der unter anderem auch die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz und die Kroll-Oper baute, mit dem Entwurf der Theater beauftragt. Seit den 30ern prägt die Familie Woelffer (unterbrochen von Berufsverbot zur NS-Zeit) die Theater. Sowohl Reinhardt als auch Kaufmann entstammten jüdischen Familien und mussten Deutschland verlassen. Mit dem Abriss der Bühnen entledigt sich die Stadt en passant auch eines weiteren Teils ihrer jüdischen Geschichte – ein Armutszeugnis.

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Geschrieben von

Leander F. Badura

Redakteur Kultur (Freier Mitarbeiter)

Leander F. Badura kam 2017 als Praktikant im Rahmen seines Studiums der Angewandten Politikwissenschaft in Freiburg und Aix-en-Provence zum Freitag, wo er bis 2019 blieb. Nach einem Studium der Lateinamerikastudien in Berlin und in den letzten Zügen des Studiums der Europäischen Literaturen übernahm er 2022 im Kultur-Ressort die Verantwortung für alle Themen rund ums Theater. Des Weiteren beschäftigt er sich mit Literatur, Theorie, Antisemitismus und Lateinamerika. Er schreibt außerdem regelmäßig für die Jungle World.

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