„Wir zuerst. SPD.“

Adbusting Mit veränderten Werbeplakaten übten AktivistInnen zuletzt Kritik an der Corona-Politik der SPD. Behörden gehen schon länger verstärkt gegen Kommunikationsguerillas vor

„Prioritäten jetzt: Spargel vor Menschenleben. Wir zuerst. SPD“, steht auf dem Plakat, hinter den roten Zeilen weilt Außenminister Heiko Maas, die Arme entschieden vor der Brust verschränkt, den Blick in die Ferne schweifend. Auf einem anderen ist zu lesen: „Bleib zuhause! Meide soziale Kontakte!“, dahinter ein Boot voller Geflüchteter auf dem Mittelmeer, und: „Wir zuerst. SPD.“

Die SPD hat diese Plakate nicht gedruckt – es waren Adbuster, Kommunikationsaktivisten, die öffentliche Werbeflächen nutzen, um ihre politische Botschaften in die Werbung von Parteien, Polizei oder Bundeswehr zu schleusen. In der Corona-Krise wurden die Adbuster überall aktiver: In Nordrhein-Westfalen haben sie die SPD ins Visier genommen, in Berlin änderten AktivistInnen eine 50 Meter lange Werbung der Verkehrsbetriebe und ließen einen Verkäufer der Straßenzeitung Motz in seiner Plakat-Sprechblase sagen: „Zu Hause bleiben kann nur, wer ein Zuhause hat.“

„Die Plakataktion in mehreren deutschen Städten zeugt von hoher krimineller Energie“, empörte sich die Essener SPD. Die Berliner Polizei hat bereits eine Sonderkomission für Adbusting eingerichtet, Nordrhein-Westfalen zieht nun nach. Das Problem der Beamten: Eigentlich ist Adbusting nicht so recht strafbar, wenn keine Sachbeschädigung vorliegt.

Im Bericht des Bundesverfassungsschutzes tauchen die politischen Kommunikationsguerillas 2018 auf. Demnach „versuchen Linksextremisten gezielt, die Polizeibehörden allgemein in der Öffentlichkeit zu diskreditieren“. Bundeswehr und Polizei waren in den vergangenen Jahren Hauptziel von Adbustern. Seit die Bundeswehr nach der Abschaffung der Wehrpflicht durch Werbung auf sich als Arbeitgeber aufmerksam machen muss, stehen ihre Kampagnen immer wieder in der Kritik. Auf Plakate schrieben die AktivistInnen: „Auch bei uns haben Frauen das letzte Wort. An den Gräbern ihrer Söhne“.

Zum Europäischen Polizeikongress 2018 tauchten ebenfalls Adbusting-Plakate auf: „Da für 32.300 Einzelfälle von nicht verfolgtem Racial Profiling. Da für Rassismus.“ Im Bericht des Verfassungsschutzes heißt es nun, im Vorfeld des Polizeikongresses seien Werbeplakate der Berliner Polizei so verfremdet worden, „dass damit der Polizei willkürliche Gewaltausübung, ‚institutioneller Rassismus‘ und die Absicherung bestehender ‚Ausbeutungsverhältnisse‘ unterstellt wurden.“

Und dann: Polizei vor der Tür

Den Hinweis darauf, dass die ausführende Gewalt Gewalt ausführt, empfinden die Sicherheitsbehörden offenbar als Bedrohung. Deswegen ermittelt die Polizei nun in manchen Fällen von Adbusting – obwohl die Taten eigentlich von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Das Entwenden der Originale stellt lediglich einen Diebstahl dar. In der Regel werden die Verfahren deshalb von den Staatsanwaltschaften eingestellt. So zum Beispiel 2016, als die KünstlerInnen-Gruppe „Dies Irae“ mit Adbusting-Aktionen eine AfD-Kundgebung in Thüringen begleitet hatte. Darauf war Björn Höcke als Rattenfänger dargestellt, auf Plakaten standen Sprüche wie: „Afghanistan ist gegen Frauenrechte. Wir auch!“ Die rechtsradikale Partei erstattete Anzeige, die Staatsanwaltschaft Erfurt stellte das Verfahren ein, „weil das nicht strafbar ist“, erklärte ein Sprecher. Kurioserweise ermittelte die Polizei weiter, bis das Verfahren 2019 erneut eingestellt wurde.

Auch andernorts ist die Polizei mitunter sehr eifrig im Kampf gegen die PlakatkünstlerInnen. Im Fall der Berliner Aktivistin Frieda (Name geändert) gehörte zu den Ermittlungen sogar eine Hausdurchsuchung. Im Mai vergangenen Jahres stand eines Morgens bei ihr, ihrer Mutter und ihrer Freundin die Polizei vor der Tür. „Ich war total überrascht, weil ich eigentlich nichts mache, was eine solche Maßnahme rechtfertigen würde“, sagt die Aktivistin. Besonders irritiert sie die Sinnlosigkeit der Durchsuchung. „Wir waren auf frischer Tat ertappt worden. Wenn es wirklich eine Straftat war, hatten sie alle Beweise, die sie brauchten. Sie hätten einfach ein Verfahren eröffnen können.“

Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm, beim Nazi ist es...

Das Amtsgericht Berlin hatte im Oktober 2019 erstmals einen solchen Prozess geführt. Angeklagt war ein Mann, der Plakate mit Sprüchen wie „Nazis essen Falafel“ und „Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm, beim Nazi ist es andersrum“ angebracht haben soll. Das Verfahren wurde zwar gegen Zahlung einer Geldstrafe eingestellt, doch die Ermittlungen waren erstaunlich umfangreich. Eine Anfrage des Linkspartei-Abgeordneten Niklas Schrader an die Verwaltung des Landes Berlin hat ergeben, dass vier Jahre lang drei Mitarbeiter des Landeskriminalamts zu Adbusting ermittelt hatten. Drei Aktenordner übergaben sie der Staatsanwaltschaft, darunter auch Ergebnisse zweier Hausdurchsuchungen.

Frieda glaubt, die Hausdurchsuchung sei in ihrem Fall reine Einschüchterung gewesen. „Das war an sich schon die Strafe“, sagt sie, gerade weil es für die Polizei keine andere Möglichkeit der Repression gegeben habe. Dafür spreche, dass die Polizei den Antrag auf Durchsuchung zweimal stellen musste, wie aus den Akten ersichtlich sei. Den ersten hatte der Richter abgelehnt. „Ich hätte nie gedacht, dass man in Berlin für sowas eine solche Maßnahme verpasst bekommt. Mit all dem Stress, den es bedeutet, wenn jemand in die eigene Wohnung eindringt, alles durchsucht und Fotos macht.“

Wie nervös die Behörden angesichts von Adbusting sind, geht auch aus einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor. Erstaunt von der Erwähnung dieser Aktionsform im Bericht des Verfassungsschutzes wollten die Abgeordneten von der Bundesregierung wissen, inwiefern dieser Adbusting als linksextremes Gewaltdelikt einordnet.

Aus der Antwort der Bundesregierung geht nicht nur hervor, dass bei keiner der bekannten Aktionen irgendwer zu Schaden kam. Es zeigt sich auch, dass nicht nur Polizei und Verfassungsschutz der Kommunikationsguerilla auf der Spur sind. Auch der Militärische Abschirmdienst (MAD), verantwortlich für die Sicherheit der Bundeswehr und die Aufdeckung extremistischer Umtriebe in den Streitkräften selbst, führt eine Liste mit Adbustings gegen die Werbung der Bundeswehr. 2018 und 2019 hat sich sogar das Gemeinsame Extremismus- und Terrorabwehr Zentrum (GETZ) von Bund und Ländern insgesamt viermal mit Vorfällen des Adbustings befasst.

Extremistische Kunst

Das GETZ war 2012 als Reaktion auf die Selbstenttarnung des sogenannten NSU gegründet worden. Nach dem Vorbild des GATZ, das der Abwehr islamistischen Terrors dient, soll das GETZ als Kommunikationsplattform zwischen den verschiedenen Behörden auf Bundes- und Länderebene dienen, um „Rechts-, Links- und Ausländerextremismus/-terrorismus“ zu bekämpfen, wie es offiziell heißt. Dass in diesem Rahmen Adbusting-Aktionen zur Sprache gebracht wurden, findet die Linkspartei-Abgeordnete Ulla Jelpke „völlig überzogen“: „Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Sicherheitsbehörden womöglich deswegen gleich ‚Gewalt‘ und ‚Extremismus‘ rufen, weil die Plakatkünstler mit ihrer Kritik an Gewalt durch Polizei und Militär durchaus ins Schwarze getroffen haben. Getroffene Hunde bellen.“

Auch aus der Adbusting-Szene kam es zu Reaktionen angesichts der irritierend eifrigen Verfolgung. Am 10. März erschien auf de.indymedia.org ein Schreiben, wonach eine Gruppe namens „Besonderes Amt für Veralberung (BfV)“ dem Bundesinnenministerium zwei Plakate vor der Haustür verschönert haben will. Auf einer Plakatwand, auf der eine Krankenversicherung geworben hatte, steht laut Fotos nun: „Für unsere Gesundheit und die aller anderen: Grenzen öffnen. Abschiebungen stoppen. Polizeigewalt ächten“ und „Adbustings statt Innenpolitik!“

In Essen erstattete die SPD unterdessen Anzeige gegen die Adbuster. Die Polizei ließ die entfremdeten Plakate durch den für die Werbekästen zuständigen Dienstleister entfernen. Sie erneut aufzuhängen, bedeutet für die die AktivistInnen jedoch keinen großen Aufwand: benötigt wird lediglich ein Rohrsteckschlüssel aus dem Baumarkt. Und die hatten auch während Corona ja durchgehend geöffnet.

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