Warum sind die digitalen Monopole so stabil?

Big Tech Die Hoffnungen auf ein freies Internet waren groß, doch nun dominieren Google, Amazon, Facebook, Twitter und Co. Dafür gibt es strukturelle Gründe

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Konkurrenten haben kaum eine Chance die Monopole von Big Tech aufzubrechen
Konkurrenten haben kaum eine Chance die Monopole von Big Tech aufzubrechen

Foto: Elijah Nouvelage/Getty Images

Als ein großer Schritt in eine freie und offene Gesellschaft erschien das Internet zu Beginn dieses Jahrtausends. Statt über undurchschaubare Algorithmen und Filterblasen wurde darüber diskutiert, ob der freie Meinungsaustausch auf Plattformen wie Twitter, YouTube oder Facebook gar autokratische Regime stürzen könnte. Die Hoffnung lag auf der Dezentralität und dem freien Fluss von Informationen im Internet. Sie würden Macht verteilen, politisch und ökonomisch. Plötzlich konnten Start-Ups in einer kleinen Garage ohne große Fixkosten ein neues Produkt entwickeln und auf der ganzen Welt vermarkten. Es schien so, als ob sich in der digitalen Welt Innovation und Kreativität immer durchsetzen würden und große, behäbige, übermächtige Unternehmen keinen Platz mehr hätten.

Das kurzlebige Auf- und Ab von vielversprechenden Internetunternehmen in den 1990ern und 2000ern schien die ersten Hoffnungen zu bestätigen. Unternehmen wie AOL, Altavista, Friendster, MySpace, Netscape, oder Yahoo kamen und gingen. Das nährte den Mythos, Erfolg sei in der Online-Welt nur von kurzer Dauer. Die Chefs großer Digitalunternehmen erzählen ihn heute immer noch. Amazon-Gründer Jeff Bezos beispielsweise ermahnt seine Mitarbeiter, wie in einem Start-Up zu arbeiten, da jeder Tag „Day 1“ sei und Amazon wie jedes Unternehmen nur eine kurze Lebensdauer haben könne, weil es jederzeit von einem neuen Unternehmen überrumpelt werden könnte.

Inzwischen ist die Realität aber eine andere: Einige wenige Unternehmen dominieren das kommerzielle Internet und haben Strukturen geschaffen, durch die das so bleibt. Es sind die „Big-Tech“-Unternehmen. Gemeint sind damit die Unternehmen, die sich hinter dem Akronym GAFAM verbergen: Google, Amazon, Facebook, Apple, und Microsoft. Sie sind nach dem Ölfonds Saudi Aramco die wertvollsten Unternehmen der Welt. Wegen seiner einflussreichen meinungsbildenden Rolle wird teilweise auch Twitter zu Big Tech gezählt.

„Wer hat, dem wird gegeben“

Die Big-Tech-Unternehmen haben bis auf Microsoft gemeinsam, dass sie in erster Linie Plattformen betreiben. Plattformen verbinden Anbieter und Nutzer von digitalen Dienstleistungen miteinander. Google und Facebook verbinden beispielsweise mit ihren Diensten (etwa die Google-Suche, Google Maps, Gmail, YouTube, Facebook, Instagram) Unternehmen mit Nutzern, denen sie zielgerichtete Werbung zeigen können. Amazon kontrolliert mit dem Marketplace eine Plattform, die Online-Händler mit Kunden verbindet. Apple und Google betreiben App-Stores, die die Entwickler von Apps mit Smartphone-Nutzern verbinden.

Bei vielen dieser Plattformen handelt es sich um Monopole oder Duopole, digitale Märkte werden also oft von nur einem oder zwei Unternehmen dominiert. Der Soziologe Phillip Staab zeigt, dass Big Tech „proprietäre Märkte“ schafft, auf denen einzelne Plattformen identisch mit Märkten werden. Die Kontrolle dieser Märkte kapitalisieren sie, indem sie beispielsweise Transaktionsgebühren verlangen.

Nutzer konzentrieren sich immer wieder auf wenigen Plattformen. Der Grund dafür ist der Netzwerkeffekt: Bei Plattformen handelt es sich um Angebote, die umso attraktiver werden, desto mehr Nutzer sie bereits haben. In einem sozialen Netzwerk wie Facebook aktiv zu werden macht beispielsweise nur dann Sinn, wenn dort bereits viele andere Nutzer sind, mit denen man interagieren kann. Der Netzwerkeffekt gilt für beide Seiten der Plattformen: Umso mehr Händler auf Amazon verkaufen, desto mehr Kunden kommen für das größere Angebot – und umso mehr Kunden da sind, desto unverzichtbarer wird es für Händler, auf Amazon vertreten zu sein.

Der Netzwerkeffekt gepaart mit der Vormachtstellung der großen Plattformen kann zum „Lock-in“-Effekt führen. Dann sind Nutzer auf einer Plattform „eingeschlossen“, weil ihnen die Wechselbarrieren zu hoch sind, um zu einer anderen zu wechseln. Ein Online-Händler, der nur über Amazon Kontakt zu seinen Kunden hat, kann trotz Bedenken über Machtmissbrauch kaum die Plattform wechseln. Genauso fällt es privaten Nutzern trotz Datenschutzbedenken schwer, von WhatsApp zu einem anderen Messenger zu wechseln, wenn all ihre Kontakte nur bei WhatsApp sind.

Die digitalen Monopolisten profitieren auch vom Skaleneffekt: Umso öfter ihre Produkte benutzt werden, desto billiger sind sie pro Einheit. Ein Beispiel dafür ist die Online-Suche. Dafür wird erstens ein „Crawler“ benötigt, der mit einem Bot alle bestehenden Websites durchforstet und Kopien von ihnen sammelt. Zweitens muss dieses Material mit einem Index so zusammengetragen und organisiert werden, dass es in Echtzeit durchsucht und nach Relevanz geordnet werden kann. Sowohl der Crawler als auch der Index sind enorm kostenintensiv zu betreiben, weil zur Verarbeitung derartiger Datenmengen viel Speicherplatz und Rechenleistung gebraucht werden. Es gibt also hohe Hürden dafür, eine eigene Online-Suchmaschine einzurichten. Aktuell betreiben für englischsprachige Webseiten deshalb nur Google und Microsoft Bing eigene Suchmaschinen (die auch von anderen Suchanbietern wie Yahoo oder DuckDuckGo benutzt werden). Wenn die Suchmaschine jedoch einmal eingerichtet ist, kostet es Google aber praktisch nichts mehr, Nutzern eine weitere Online-Suche anzubieten. Im Gegenteil gewinnt es mit jeder getätigten Suche zusätzliche Daten darüber, wonach Nutzer suchen und wie sie mit den Ergebnissen interagieren – und kann mit der angezeigten Werbung gleichzeitig Geld verdienen.

Netzwerk, Lock-in-, und Skaleneffekte verstärken also die Vormachtstellung von bestehenden Plattformen. Wer es zuerst geschafft hat, eine beliebte Plattform zu einer nachgefragten Dienstleistung aufzubauen, ist nur noch schwer angreifbar. Auf der Hoffnung, selbst einmal zur dominanten Plattform zu werden, basiert die Strategie vieler Tech-Unternehmen. Die Fahrdienst-App Uber beispielsweise war noch nie profitabel – bekommt auf den Finanzmärkten aber weiter Investitionen, weil es einmal eine Monopolstellung erreichen und dann die Preise erhöhen könnte. Die Soziologie nennt diese Logik „Matthäus-Effekt“, angelehnt an das Evangelium: „Denn wer hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat“ (Mt 25:29).

„Kill-Zone“ für die Konkurrenz – Die Übernahmestrategie von Big Tech

Obwohl die Big-Tech-Unternehmen ihre jeweiligen Märkte dominieren, könnten ihnen neue Start-Ups mit innovativen Ideen gefährlich werden. Theoretisch. Denn die finanzielle Stärke und die aggressive Übernahmepolitik der großen Digitalunternehmen sorgen dafür, dass sie die Konkurrenz im Keim ersticken. Das anschaulichste Beispiel dafür liefert Facebook. Als das aufsteigende soziale Netzwerk Instagram mit seinem Fokus auf Bilder und Videos viele Nutzer an sich zog, wurde es 2012 kurzerhand von Facebook für eine Milliarde Dollar aufgekauft. Genauso erging es dem Kurznachrichtendienst WhatsApp. Diesen kaufte Facebook 2014 für 19 Milliarden Dollar, bevor er zur ernsthaften Konkurrenz werden konnte.

Wie wenig Wahl aufsteigende Unternehmen haben, sich gegen solche Übernahmen zu wehren, zeigt Amazons Akquisition von Quidsi im Jahr 2008. Quidsi betrieb Webseiten wie Diapers.com, wo Windeln und Babypflegeprodukte verkauft wurden. Amazon identifizierte das Unternehmen als am stärksten wachsende Konkurrenz im Online-Handel und wollte es deshalb aufkaufen. Ein erstes Übernahme-Angebot lehnte Quidsi ab, also ging Amazon in den Preiskampf. Es reduzierte die Preise etwa für Windeln und Babypflegeprodukte um bis zu 30 %, und verfolgte mit Bots die Preise auf Diapers.com, um automatisiert jegliche Preissenkung sofort auf der eigenen Website zu unterbieten. Nach Schätzungen des US-Kongresses ließ sich Amazon diesen Preiskampf allein bei Windeln bis zu 200 Millionen Dollar Verlust pro Monat kosten. Mit einer solchen Finanzkraft konnte Quidsi nur wenige Monate mithalten – und beugte sich schließlich einem Übernahmeangebot von 540 Millionen Dollar.

Der Untersuchungsbericht, den ein Ausschuss des US-Kongress im Oktober 2020 zu Wettbewerb in digitalen Märkten vorlegt hat, zeigt: Die Übernahmen von potenziellen Konkurrenten haben System. Seit 1998 haben Google, Apple, Facebook und Amazon über 500 Unternehmen übernommen. Keine davon wurde von Wettbewerbsbehörden verhindert.

Zeugen aus der Wagniskapitalbranche erklärten gegenüber dem Ausschuss, dass kaum ein Kapitalgeber noch dazu gewillt sei, in Unternehmen zu investieren, die in Konkurrenz zu Big Tech stehen. Hier habe sich, so der Untersuchungsbericht, eine „Kill-Zone“ entwickelt. Ein Zeuge aus der Cloud-Computing-Branche erklärte am Beispiel von Amazon, wie Investoren die Big-Tech-Unternehmen sehen: „Ich betrachte Amazon wie die Sonne. Sie ist nützlich, aber auch gefährlich. Wer weit genug weg ist, kann sich darin sonnen. Wer zu nahe kommt, verbrennt sich. Man muss von Amazon also weit genug weg sein und etwas tun, woran sie nicht selbst interessiert sind. Wer Amazons Infrastruktur nur als Kunde nutzt, wie etwa Uber, für den ist das okay. Solange Amazon selbst nicht ins Ridesharing-Geschäft einsteigen will. Aber es ist schwer vorherzusagen, wo Amazon aktiv werden könnte. Wenn sie beim Einzelhandel und beim Cloud-Computing bleiben würden, wäre man sicher. Aber man kann es nie wissen [eigene Übersetzung].“

Die Monopole werden sich nicht von selbst auflösen

Durch Matthäuseffekt und aggressive Übernahmestrategie haben Konkurrenten kaum eine Chance, die Monopole von Big Tech aufzubrechen. Politische Eingriffe wären notwendig, wenn Wettbewerb in digitalen Märkten möglich sein soll. Das wissen auch die amerikanischen, europäischen und deutschen Behörden. Beim Bundewirtschaftsministerium heißt es im ordoliberalen Jargon: „Europa steht vor der Herausforderung, sein liberales und soziales Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell gegen zunehmende Abhängigkeiten von Digitaltechnologien und Oligopoltendenzen in der Plattformökonomie zu behaupten“. Spätestens seit der Coronakrise stehen die digitalen Riesen im kritischen Fokus der Öffentlichkeit und der Politik. Der amerikanische Kongress hat mit seinem Untersuchungsbericht und regelmäßigen Anhörungen der Big-Tech-CEOs gezeigt, in welcher Richtung er Regulierungsbedarf sieht. Die Europäische Kommission legte mit dem „Digital Markets Act“ und dem „Digital Services Act“ im Dezember 2020 Gesetzgebungsvorschläge vor, mit denen die digitalen Monopole reguliert werden sollen.

Dabei ist aber nicht zu vergessen: Faktisch wächst Big Tech bislang ungebremst weiter und erzielt Rekordumsatz nach Rekordumsatz. Auch die Übernahmen gehen unter dem vermeintlich geschärften Blick der Wettbewerbsbehörden weiter. Google konnte im Januar dieses Jahres das Fitness-Wearable-Unternehmen Fitbit für 2,1 Milliarden Dollar aufkaufen. Dafür haben die Wettbewerbshüter der EU-Kommission ihre Zustimmung gegeben – und verlangten von Google lediglich eine Selbstverpflichtungserklärung darüber, dass es die mit der Übernahme gewonnenen Daten nicht wettbewerbsverzerrend benutzen solle. Auch Microsoft gilt aktuell als in Kauflaune, es hat im April das auf Sprachsoftware spezialisierte Unternehmen Nuance Communications für 20 Milliarden Dollar übernommen. Dass Politik und Behörden das Problem mit den digitalen Monopolen grundsätzlich verstanden haben, reicht nicht, um sie effektiv zu bändigen. Es braucht auch den klaren politischen Willen, derartige Machtkonzentration nicht mehr zu tolerieren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lion Hubrich

Big Tech erklärt

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