Konvertieren

Bildergalerie Häufig wird der Islam als das Andere betrachtet. Für manche Deutsche ist er jedoch eine neue Heimat geworden. Warum wechseln Menschen ihren Glauben?

Einmal blickte ich auf der Straße im Vorübergehen in ein Paar helle blaue Augen unter einem Kopftuch. Da kam mir die Frage: Warum konvertieren Deutsche zum Islam? Wie kommt es, dass sich Nicht-Gläubige oder Christen für eine Religion begeistern, deren Sprache und Semantik sie oftmals nicht verstehen und deren traditionelle Riten auf den ersten Blick nichts mit unserer kulturgeschichtlichen Herkunft gemein haben?

Ich lernte Andrea Iman in einer kleinen Hinterhofmoschee in Berlin kennen. Als ich zum ersten Mal dort war, um Kontakte für meine Abschlussarbeit herzustellen, konnte ich mich kaum von den Mediengebilden des verkappten Terroristen oder der verängstigten, zur Konversion gezwungenen Frauen trennen.

Andrea erzählte mir vom Tod ihres Großvaters. Sie war Anfang 20, als er starb. Der Tod und die Fragen, was mit den Menschen geschieht, wenn sie sterben, trafen sie unvorbereitet. Sie war praktizierende Christin, doch in ihrer Religion konnte sie keine Antworten finden. Durch Zufall geriet ihr das Totenbuch des Islam in die Hände. Hier fand sie die Antworten, die sie als Christin gesucht hatte. Wie deutlich und konkret alles erklärt wurde, faszinierte sie. Da sie an ein Leben nach dem Tod glaubte und sich im Klaren darüber war, dass Muslime und Christen denselben Gott anbeten, fühlte sie, dass sie im Islam eher „bestehen“ würde.

Siebzehn Jahre später und nach einem komplizierten Prozess nennt sie sich Andrea Iman. Sie geht ganz in ihrer Religion auf, führt ein aktives kommunikatives Leben, ihr Beruf erfüllt sie. In ihrer Gemeinde wird sie wegen ihres großen theologischen Wissens geschätzt. So vielschichtig und individuell sind die Gründe der anderen Konvertiten, die ich fotografiert habe. Manche habe ich auf der Straße kennengelernt, andere im Sufi-Kloster. Die meisten spürten eine Unerfülltheit in ihrem Leben, suchten einen neuen Weg, bevor sie den Glauben wechselten.

Eine Frau stammt beispielsweise aus der DDR, sie war aktive Kommunistin und nach der Wende geschockt. Sie hat nie an Gott geglaubt. Nun hat sie auf einmal einen neuen Platz in ihrem Leben gefunden.


Anfangs begegneten mir manche der Konvertiten mit großen Vorurteilen, mit Misstrauen und Unbehagen. Viele von ihnen hatten schon einmal negative Erfahrungen mit Journalisten und Fotografen gemacht, von denen sie sich verzerrt dargestellt fühlten. Dennoch wurde ich zu Gemeindeaktivitäten eingeladen, beispielsweise zum Fastenbrechen im Ramadan. Ich habe viele Stunden ohne meine Kamera verbracht, konnte mein Projekt erklären und Ängste ausräumen. Ich spürte auch, wie haltlos meine Vorurteile waren. In den langen Gesprächen, die ich für diese Bilder geführt habe, hat niemand terroristische Gewalt verharmlost oder gerechtfertigt. Natürlich hatte ich manchmal mit Befremden zu kämpfen, doch das wäre mir wohl auch in einer christlichen Gemeinde so gegangen.

Die öffentliche Wahrnehmung von Konvertiten entspricht in erhöhter Form auch dem allgemeinen Islambild. Der Islam wird häufig als „das Andere“ betrachtet. Daher verwundert es kaum, dass die vermeintlich zunehmenden Übertritte zum Islam irritieren und verunsichern. Es gibt aber kaum verlässliche Zahlen über Konversionen in Deutschland, da dies ein sehr privater Schritt sein kann.

Ich spürte schnell, dass es schwierig sein würde, dafür Bilder zu finden. Es gibt schon so viele. Diese Bilder sind verbraucht. Auf meinen Bildern blickt uns nun das, was wir als fremd betrachten, aus vertrauter westlicher Physiognomie an. Der Betrachter kann in einen visuellen Dialog treten.

Lia Darjes, 27, hat mit diesen Porträts ihr Studium an der HAW Hamburg beendet. Im Februar und März wird ihre Arbeit in Paris gezeigt. Mehr Infos unter: liadarjes.com

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