Wie eine Sekte

Politreligion Der Terror von Hanau entspringt einer Ideologie, die rechts floriert
Ausgabe 09/2020

Der Neuen Rechten ist es in den letzten Jahren gelungen, in Teilen eines sich als konservativ verstehenden Bürgertums anschlussfähig zu werden. Dafür gibt es inhaltliche, aber auch habituelle Gründe. In der Theorie ist der Unterschied zwischen dem konservativen Denken, wie es sich nach 1945 in Deutschland neu entwickelt hat, und rechten Ideenwelten groß: Während der bundesrepublikanische Konservatismus fest verankert in der westlich geprägten Gesellschaftsordnung ist, basiert das rechte Denken auf einer Trias aus Antipluralismus, Antiliberalismus und Ethnopluralismus.

In der Praxis gibt es jedoch unter vielen Konservativen schon länger eine gewisse Verwirrung und Offenheit gegenüber neurechten Vorstellungen. Inhaltlich liegt dies maßgeblich daran, dass die Neue Rechte sich selbst gerne als konservativ etikettiert, worauf nicht wenige Bürgerliche hereinfallen. Habituell spielen Radikalisierungsmechanismen in konservativen Milieus eine große, bisher unterschätzte Rolle.

Das Verständnis dieser Mechanismen ist grundlegend, da man in der Regel nur fassungslos vor den Resultaten steht. Etwa wenn man in den Kommentarspalten unter einem Artikel einer bürgerlichen Zeitung Bemerkungen von bürgerlich daherkommenden „Lügenpresse“-Rufern liest, oder, beklemmender noch, wenn Freunde und Familienmitglieder plötzlich anfangen, rechte Feindbilder kundzutun.

Wer versuchen will, solche Menschen wieder für einen demokratischen Konsens zu gewinnen, und das scheint dringend notwendig, der muss verstehen, wie die Radikalisierung vonstattengeht und wie sie wirkt. Mit bloßer Empörung wird man den Zuspruch zur AfD nicht verkleinern. Bei näherer Beschäftigung mit dem Phänomen zeigt sich, dass die Radikalisierung – oder genauer: Selbstradikalisierung – einst moderater Konservativer starke sektenähnliche Züge aufweist. Das ist nicht abstrakt dahergesagt. Vielmehr kenne ich das Milieu der nach rechts driftenden Konservativen auch von innen, da ich mich ab 2011 über meine damalige Freundschaft mit dem Journalisten Matthias Matussek selbst in solchen Zirkeln bewegt habe. Matussek war damals noch ein angesehener Spiegel-Autor. Heute ist er bekennender Fan der Identitären Bewegung. Überhaupt ist die Radikalisierung in dem von ihm repräsentierten Milieu inzwischen weit vorangeschritten. Persönlich wurde ich bereits ab dem Frühjahr 2012, vor allem aber ab dem Herbst 2013 skeptisch und bin so zu der Beschäftigung mit der Grenzziehung zwischen den konservativen und dem rechten Denken gekommen. Es war vor allem der schon damals in diesen Kreisen beliebte Vergleich unserer liberalen Demokratie mit einer Diktatur, sei es mit der DDR oder gar der NS-Herrschaft (übrigens von denselben Leuten, die ansonsten gerne eine „Nazikeule“ von links gegen sich selbst beklagen), der mich befremdete. Die sektenhaften Mechanismen, aufgrund derer ehemals konservative Menschen sich nach rechts radikalisieren, würde ich wie folgt charakterisieren:

1

Die Szene denkt politreligiös. Man glaubt, dass es so etwas wie den einen wahren Volkswillen gibt, den es unbedingt durchzusetzen gilt. Jedweder Einspruch ist unerwünscht. Es besteht kein Interesse an Kompromissen. Bei den konservativen Christen mit Rechtsdrall kommt hinzu, dass sie den Wahrheitsanspruch der Bibel gewissermaßen auf die Politik übertragen und dadurch erst recht glauben, dass es nur eine einzige, nämlich ihre, akzeptable politische Haltung gebe. Hier liegt der entscheidende Schnittpunkt zum rechten Antipluralismus.

2

Es herrscht eine apokalyptische Grundstimmung vor. Nicht viel anders als bei Endzeitsekten. Man fürchtet den „Volkstod“ bzw. „Ethnosuizid“ durch „Islamisierung“ sowie „Bevölkerungsaustausch“ und glaubt, zum „Widerstand“ verpflichtet zu sein.

3

Das Phantasma des deutschen „Ethnosuizids“ korreliert mit der Panik vor dem Aussterben des Christentums. Grob gesagt wird geglaubt, Jesus retten zu müssen, indem man das Aussterben des deutschen, ethnisch verstandenen Volkes verhindert. Aus dem universalistischen Christentum der Nächstenliebe wird, so nannte es der katholische Publizist Rolf Seiterich bereits 2016 treffend, auf diese Weise „eine Art anti-islamische, weiße Stammesreligion“. Es waren dementsprechend rechtschristliche Zirkel auf Facebook, in denen ich zum ersten Mal auf den Begriff des muslimischen „Geburtendschihad“ stieß. Für den gedanklichen Überbau eines völkischen Christentums sorgt die Neue Rechte. So sagte der Verleger Götz Kubitschek 2016 gegenüber 3sat-Kulturzeit: „Wenn Sie das jetzt von einem gläubigen Christen hören wollen: Das deutsche Volk ist eben ein Entwurf Gottes, und es ist eine besondere Art, durch die Geschichte zu gehen, mit allen Höhen und Tiefen.“

4

Man sieht sich also in den nach rechts gedrifteten Milieus vielfach in einer Art finalem Endzeitkampf. Und das mobilisiert, gibt manchem sonst so eintönigen Leben vielleicht Sinn.

5

Zugleich wird den Leuten von der Neuen Rechten eingeredet, die Welt da draußen sei dekadent und verkommen. Die Moderne und erst recht die „Spätmoderne“ (auch sie ist inzwischen ein Kampfbegriff) stelle eine Abkehr von der „natürlichen göttlichen Ordnung“ dar. An dieser Stelle kommen dann die Feindbilder „Genderwahn“ und „Homosexualisierung“ ins Spiel, die als Paradebeispiel der „Dekadenz“ angesehen werden. Auch säkulare völkische Rechtsradikale wie der thüringische AfD-Vorsitzende Björn Höcke, die sich ausdrücklich als Nicht-Christen sehen, bedienen manche dieser Vorstellungen. Namentlich Höcke prangert in seinen Reden immer wieder die „Dekadenz“ an und spricht überdies in seinem 2018 erschienenen Buch Nie zweimal in denselben Fluss von den „Schutthalden der Moderne“ und dem westlichen „Werteschaum“.

6

Des Weiteren lassen sich die nach rechts offenen Konservativen einreden, keine säkularen Medien aka „Lügenpresse“ mehr zu konsumieren. Stattdessen werden rechte „Alternativmedien“ propagiert, die ständig das, was mittlerweile geglaubt wird, bestätigen. Auch das kennt man von Sekten, die ihre Anhänger dazu auffordern, nur noch Literatur der jeweiligen Organisation zu konsumieren und die Finger von säkularen Medien zu lassen. Psychologisch ist dieser Ansatz äußerst effizient, denn die Suche nach Bestätigung der eigenen Ansichten ist zutiefst menschlich. Der Fachbegriff lautet „confirmation bias“. Rechte Bewegungen operieren damit, indem sie vor allem über ihre Medien beständig die immer gleichen Feindbilder bedienen.

7

So hat sich inzwischen ein regelrechtes wöchentliches „Feindbildkarussell“ herausgebildet, das sich vor allem in den sozialen Medien dreht und dreht und indoktriniert. Überspitzt formuliert lädt es montags ein, auf dem Sitz mit dem Warnschild „Islamisierung“ Platz zu nehmen und gegen diese mobil zu machen. Dienstags folgt dann der „Genderwahn“, mittwochs die „Lügenpresse“, donnerstags die „Kanzlerdiktatorin Merkel“ bzw. „Merkel muss weg“, freitags der „Staatsfunk“ aka die „GEZ-Medien“, samstags der „Bevölkerungsaustausch“ und sonntags die „Klimalüge“. Dann fängt die neue Woche an und es geht vorne los.

8

So entsteht auf Dauer bei den Karussellfahrern eine Art Gehirnwäsche, auch das ähnlich zu religiösen Sekten.

9

Irgendwann werden die so Verführten zu Verführern und fangen an, selbst aktiv die genannten Feindbilder zu verbreiten, nicht zuletzt, um auf diese Weise Bestätigung von ihren neuen Freunden in den sozialen Medien und viele, viele Likes zu erhalten. Wie gesagt, der Mensch sucht nach Bestätigung.

10

Gleichzeitig wenden sich alte Freunde ab oder werden von den Verführten verstoßen, so dass sich Letztere irgendwann nur noch in rechten Zirkeln bewegen.

Liane Bednarz ist Publizistin und Juristin. Sie veröffentlicht in diversen Medien und versteht sich als liberal-konservativ

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