Die Power des Podcasts

„Serial“ Während Sarah Koenigs Audio-Serie in den USA große Erfolge feiert, halten die Manager des öffentlich-rechtlichen Rundfunks lieber an starren Denkmustern fest
Ausgabe 27/2016
„Serial“-Macherin Sarah Koenig unter Freunden und Peabody Award
„Serial“-Macherin Sarah Koenig unter Freunden und Peabody Award

Foto: Mike Coppola/Getty Images

„Wer soll sich für diese alte Highschool-Geschichte interessieren?“ Vor zwei Jahren wusste die US-Journalistin Sarah Koenig auf diese Frage noch keine Antwort. Die erste Episode ihres Podcasts Serial hatte sich noch wie von selbst geschrieben, der Stoff war einfach zu packend, die Zweifel an dem Fall schienen zu groß: Hatte der Student Adnan Syed wirklich im Jahr 1999 seine Exfreundin Hae Min Lee umgebracht? Oder sitzt er fälschlicherweise wegen Mord im Gefängnis? Die junge Frau war erdrosselt aufgefunden worden, als Motiv vermutete die Staatsanwalt Eifersucht.

20 Monate nach dem Start der Serial-Reihe und mehr als 100 Millionen Downloads später interessiert sich die Justiz im Bundesstaat Maryland wieder für den Fall. Das zuständige Gericht in Baltimore hat nach 16 Jahren eine Neuverhandlung angekündigt. Serial-Fans feiern die Entscheidung als Beleg für die power of podcasts. Und es lohnt sich, noch einmal anzuschauen, was das für eine power ist – und wie Sarah Koenig es geschafft hat, den Charme des Serien-Binge-Watchings, des unbedingten, exzessiven Dran-bleibens an einem Erzählformat, journalistisch zu nutzen.

Im US-amerikanischen National Public Radio läuft seit Jahren eine Debatte zwischen denjenigen, die auf klassische Newsformate mit drei- oder vierminütigen Beiträgen setzen, und denjenigen, die lieber Geschichten erzählen wollen, die dann als Podcasts heruntergeladen und gehört werden können, wann immer die Nutzerin oder der Nutzer bereit dafür ist. Dieser Richtungsstreit hat mit der Sendung This American Life vielleicht die schönsten Mischformen hervorgebracht – und Sarah Koenig dazu bewegt, das Zeitungsschreiben ganz aufzugeben und stattdessen zusammen mit Julie Snyder den besagten Gerichtsfall als Podcast-Serie aufzuarbeiten. Der Markt des sogenannten Audio-Storytellings ist in den USA mittlerweile stark umkämpft, auch Amazon mischt mit seiner Hörbuchsparte Audible kräftig mit. Viele in den USA sind überzeugt: Am elaborierten Erzählen führt für das Radio der Zukunft kein Weg vorbei.

In Deutschland ist das anders. Gutes Radio, sagen die Manager der öffentlich-rechtlichen Sender, ist das, was möglichst viele Leute erreicht. Also keine Experimente! In Programmreformen wurde zuletzt alles, was etwas anecken könnte, in eine „Wellen“-Form gegossen, mit klar getakteten Sendeslots und einer zentral gesteuerten Musikauswahl. Die Leute wollen hören, was sie schon kennen, glaubt man, oder: Radio ist, was niemanden stört. In diesem Korsett existieren nur kleine Oasen, etwa Jenni Roths Serie Mehr als ein Mord bei Deutschlandradio Kultur, die über die Hintergründe des in Dresden ermordeten Asylbewerbers Khaled Idris Bahray erzählt.

Die hiesige, bislang nur sehr kleine Podcast-Szene bedient meist Nischenthemen, und oft wird dabei so viel geredet, dass es kaum zum echtem Erzählen kommt. Damit gelingt nicht das, was Koenig in Serial schafft – Menschen für etwas zu interessieren, wovon dem sie keine Ahnung hatten. Und wie sie das macht: Während man hierzulande beinahe jede Atempause aus dem Gespräch schneidet, räuspert sich Koenig oft, sagt „Hm, right“, „Really? Wow!“. Dennoch steht ihr Ego dem Plot nicht im Weg. Man kann ihr bei der Suche nach der Wahrheit zuhören, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dass der Fall jetzt neu verhandelt wird, ist im Serial-Strang das, was man eine „überraschende Wendung“ nennt.

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