Kommunismus-Kongress Tag 1: Denken vor Handeln

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Seit heute Mittag findet in der Volksbühne Berlin ein Kongress zur „Idee des Komunismus statt“ (Programm), der den „Begriff des Kommunismus neu und in seiner ganzen Bedeutungsvielfalt“ denken will. Alain Badiou, Slavoj Zizek und Antonio Negri sind mit dabei. Volksbühnen-Intendant Frank Castorf zeigt Brechts Lehrstück. Performance-Künstler, Installationen, Filme „beleuchten das Thema ästhetisch“, wie es heißt. Manche fragen sich schon jetzt, was das bringt. Sie attestieren Geschichtsvergessenheit und meinen, dass ein ordentliches Arbeitsrecht der Kapitalismuskritik mehr dienen würde als jede Konferenz.

Ich schau mir das ganze an und gebe hier ein paar Eindrücke von wieder. Tagsüber per Twitter und abends im Blog. Unvollständig, natürlich. Heute fand ich zum Beispiel den Vortrag von Cecile Winter etwas daneben. Weil er eigentlich nur eine Hommage an Mao war. Oder ich habe ihn nicht verstanden. Ebenso Hening Teschke. Der sollte eigentlich über den Begriff der „Gleichheit“ im Kommunismus reden, hat das Wort selbst aber kein einziges Mal verwendet. Ich weiß nicht, ob irgendjemand mitbekommen hat, worum es ging. Ich leider nicht. Alles in allem ein knapper Zeitplan heute und sehr Badiou-lastige Vorträge (er und Zizek haben den Kongress initiiert).

Nur Antonio Negri ging ein bisschen auf Konfrontation. Zu einer Diskussion unter den „roten Brandstiftern“, wie die drei Philosophen im Vorfeld bezeichnet wurden, kam es aber leider am ersten Tag nicht. Zwischen den Vorträgen gab es ein 10-minütiges Zeitfesnter für Fragen. Zizek, der Popstar unter den dreien, mischte sich nach dem 1. Panel unter das junge Publikum. Wild gestikulierend und stets so, dass kein anderer mehr zu Wort kam (hier das heutige Interview mit ihm in der TAZ).

Zeiten der Desorientierung

Um halb drei ging es los und Alain Badiou sprach eine kurze Einleitung. Der Begriff „Kommunismus“ sei vor geraumer Zeit aus der Debatte verbannt worden, unser Heilversprechen heiße nun „Demokratie“. Demokratie, die auch durch Kriege in die Welt gebracht werden soll. Die Geschichte einzelner Staaten habe die gesamte Idee des Kommunismus diskreditiert. Doch „Kommunismus“ sei mehr als nur die Geschichte einiger Staaten. „Wir ignorieren die Vergangenheit nicht“, so Badiou, „aber wir müssen über die Idee des Kommunismus wieder reden und uns darüber klar werden, was damit verknüpft ist.“ Das soll die nächsten zwei Tage hier geschehen.

Frank Ruda und Jan Völker eröffneten das Panel mit acht Thesen zu einer „Kommunistischen Morale Provisoire“. Entscheidendes Merkmal der Demokratie sei das Paradigma der „freien Wahl“. Diese freie Wahl ist jedoch durch Äußerlichkeit bestimmt, denn aus welchen Objekten man wählt ist immer schon vorgegeben. Demokratie ist demnach die „Objektifizierung der Freiheit“ und damit ein „Signifikant der Desorientierung“. Desorientierung deshalb, weil sich die Wahl nur auf das Bestehende konzentriert, und alles andere „unmöglich“ erscheinen muss. Auch der linke Rebell, der sich dadurch definiert, dass er das bestehende Gesetz negiert, verfällt demnach der Desorientierung. Denn er macht das bestehende Gesetz zum Bezugspunkt und zur Grundlage seiner Identität.

Innerhalb dieser Wahl beherrsche der Imperativ des „Genießens“ jedes Subjekt. Die Objekte des Genusses sind beliebig und austauschbar. Eine „Morale Provisoire“ müsste sich deshalb zunächst einmal eingestehen: „Ja, ich bin ein Materialist“. Eine Orientierung aus der Desorientierung heraus könne in Anlehnung an Descartes nur aus den Tugenden „Vertrauen“ und „Mut“ entstehen. Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und den eigenen subjektiven Standpunkt und darauf, neue Standpunkte zu erfinden. Dazu benötige man ein umfangreiches Wissen über die eigene Geschichte: Man bräuchte eine Geschichte der revolutionären Situationen, eine „Enzyklopädie der Ausnahmen“, aus der man lernen könne.

Kommunismus oder Barbarei?

Wie ist nun der Weg zur Praxis? Die Politik der Furch lasse die Subjekte mittlerweile in einer reaktiven Angst erstarren. In dieser Angst „lebt das Leben nicht“ (Adorno). Auf dem Weg zu einer Praxis müsse zuerst diese Angst konfrontiert werden und durch philosophische Selbstkritik in Mut verwandelt werden. Diese Selbstkritik sei wichtiger als das reflexive Handeln, das „Pseudo-Handeln“, das nur das Bestehende bestätigen würde. Denken kommt so vor dem Handeln. Erst wenn wir uns selbst „entängstigt“ hätten – erst dann kann der Kommunismus anderen wieder Angst machen. Das sei ein notwendiges Ziel.

Schlussendlich lasse sich alles auf eine entscheidende Frage reduzieren: „Kommunismus oder Barbarei“. Diese Frage müsse heute jeder beantworten. Für den Kapitalismus sei der Mensch nur ein Tier, von dem permanent alles menschliche abgezogen wird. Menschen seien nur auf Begehren und Interessen ausgerichtet, ohne Platz für Ideen. Diese Reduzierung auf das tierische kann man Barbarei nennen. „Jeder Anti-Kommunist ist ein Hund“, wie Sartre bereits gesagt habe. „Menschlich“ sei es dagegen, sich selbst für die Geschichte und das Tier in einem zu kritisieren.

Zizek entgegnete in der Diskussion zwei Dinge: Für ihn ist der Anti-Kommunist kein Hund, sondern eine Ratte. Ratten fressen sich selbst. Wie der Anti-Kommunist, der bei Starbucks einen extra teuren Kaffee kauft, weil Starbucks sagt, sie würden einen Teil des Preises in wohltätige Dinge investieren. Außerdem sei die Unterscheidung Mensch – Tier falsch. Denn sie lasse kein Raum für Freuds Todestrieb. Den fasst Zizek als ein eine Art unstillbares Verlangen. Der Mensch sei also keineswegs ein Tier mit einer Idee.

Die Gemeinschaft, das "Unmögliche der Welt"

Der Literaturwissenschaftler Gernot Kamecke sprach daraufhin über den Begriff der Gemeinschaft im Kommunismus. Die Idee des Kommunismus sei mit Badiou die „Hypothese über die Möglichkeitsbedingung einer politischen Wahrheit“. Badiou unterscheidet in seinem Werk vier Wahrheiten: Liebe, Kunst, Mathematik und Politik. Während die Wahrheit der Liebe nur für zwei Menschen gilt, die der Kunst auch für andere Künstler, muss die politische Wahrheit für alle gleichermaßen gültig sein. Der real-existierende Kommunismus sei demnach nicht mit der Idee des Kommunismus gleichzusetzen, sondern stellte lediglich den Ausbau von Kadermacht dar.

Kommunismus sei mit Marx die „freie Assoziation von Schöpfern und Produzenten“. Ursprung ist eben das Wort „communitas“, die Gemeinschaft. Der Begriff der Gemeinschaft schließe stets eine „strukturelle Negativität“ ein, denn sie definiert sich stets durch das, was sie von dieser Gemeinschaft ausgeschlossen ist. Der Kommunismus weist dieses Ausschlusskriterium nicht auf, er sei die Gemeinschaft der Gemeinschaftslosen, oder mit Badiou „das Unmögliche der Welt“. Dann kam Antonio Negri an die Reihe (vor einem halben Jahr bereits zu Gast in der Volksbühne). Er fragte, ob es möglich ist, ohne Marx Kommunist zu sein.

In uns bestehe nach wie vor der „Materialismus des Wunsches“ nach einem Kommunismus im Sinne Marx, der Wunsch die Welt zu formen und zu bilden. Unf zwar kollektiv, als Multitude, denn der Mensch leide an der Einsamkeit. „Multitude“, das ist die Gemeinsamkeit von Singularitäten. „Universell“ sei dagegen das, was jeder Mensch in seiner Einsamkeit zu denken vermag. Die Französischen Poststrukturalisten (Deleuze und Guattari) hätten es zwar geschafft, Kommunisten zu sein, ohne dabei Marxisten zu sein. Denn sie traten für dieselbe Praxis ein.

Doch Badious Ereignisphilosophie fege nun die ganze marxistische Ontologie hinweg. Badiou denke das Ereignis nur a posteriori und negiere damit die Geschichte des Klassenkampfes. Er werte die Rolle der kollektiven Intelligenz der Arbeiter ab. Für Negri geht es heute nicht mehr darum, die Gesetze des Kapitals zu studieren, sondern die Aktivität des Klassenkampfes: „Es war immer nötig, sich die Hände schmutzig zu machen.“ Man müsse die Arbeiterklasse wieder zum politischen Subjekt machen, nicht nur zum soziologischen. Negri will in diesem Punkt die Debatte mit Badiou. Statt vom Kommunismus zu reden, sollte man lieber über den Klassenkampf reden.

Keine Zeit für die Revolution

Badiou saß die ganze Zeit in der ersten Reihe. Und es sah so aus, als wollte auch Zizek gerne eine Erwiderung seinerseits und eine richtige Diskussion hören. Doch nach einer kurzen Fragerunde war die Zeit bereits überschritten und das Podium musste für das restliche Abendprogramm geräumt werden. Eine sehr engagierter Redner hatte sich noch zu Wort gemeldet und verlangte die sofortige proletarische Revolution, man müsse sich hier mal die Frage stellen, ob man die überhaupt wolle. Nein, entgegnete Teschke daraufhin. Jetzt sei die Zeit des Denkens, man könne doch realistisch eh nichts erreichen. „Keine Zeit für die Revolution“ scherzt ein Moderator später.

Um halb neun fand eine weitere Diskussionsrunde zur Verbindung von Kunst und Kommunismus statt. Die Philosophin und Dramaturgin Bojana Kunst aus Ljubljana erkennt im heutigen Künstler die letzte Verkörperung des Kommunisten. Er führt ein Nomadeneben und sucht permanent nach einer Welt, die es noch nicht gibt. Und zwar durch permanente Überproduktion. Der französische Intendant Jan Ritsema plädierte daraufhin für eine Revolution in den Köpfen. Millionen Revolutionen werden eines Tages den Unterschied machen. Dabei spiele die Kunst und die Bildung eine entscheidende Rolle. Mehr als die Philosophie, denn die streiten sich eh nur um die großen Wahrheiten.

Hoffentlich streiten sie sich morgen ab zehn Uhr ein bisschen mehr.

Tag 2: Was kommt nach der Ewigkeit?
Tag 3: "We are the ones, we've been waiting for"

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