Kommunismus-Kongress Tag 3: "We are the ones, we've been waiting for"

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Tag 1: Denken vor Handeln
Tag 2: Was kommt nach der Ewigkeit?

Am letzten Tag der Konferenz "Idee des Kommunismus" (Programm) war der „letzte Meisterdenker“ (FAS) mit seinem Vortrag an der Reihe, Alain Badiou. Bisher hatte er Zizek das Reden überlassen. Ich weiß nicht, warum er erst zum Schluss präsentierte, was er unter Kommunismus versteht. Da er die ganze Zeit zitiert wurde, hätte es durchaus Sinn gemacht, die Konferenz mit seinem Vortrag zu beginnen. Aber gut. Für eine kritische Auseinandersetzung und Einordnung der ganzen Konferenz schwirrt mir jetzt der Kopf zu sehr. Ich hoffe, das hier Geschriebene hat ein Bild vom Geschehen vermittelt.

Zur Abwechslung wurde es im letzten Panel erst einmal konkret und historisch. Das Golden Poldex Collective aus Krakau präsentierte ein Beispiel für ein politisches Ereignis: Die polnische Bewegung Solidarnosc. Die Bewegung hätte im August 1980 die Möglichkeit einer anderen Möglichkeit eröffnet und so eine „kommunistische Hypothese“ dargestellt. 10 Millionen Mitglieder hatte die Gewerkschaft in ihrer Hochzeit. Durch Generalstreiks habe sie das ganze Land erfasst und ein revolutionäres Subjekt geschaffen, das schließlich von der SU niedergeschlagen wurde. Solidarnosc fordertet zu Beginn das ganze System heraus. Haupt-Programmpunkte seien die Selbstbestimmung der Menschen und die soziale Kontrolle über die Produktionsverhältnisse gewesen. Die Bewegung habe so eine Alternative jenseits des Staates präsentiert.

Ein neues Symbol

Das vortragende Trio selbst präsentierte daraufhin ein neues Symbol für eine kommende Bewegung. Einen Stern mit verschiedenen Farben – eine „Gemeinschaft der Singularitäten“. Dazu eine offene Stelle, den „leeren Signifikanten“ für das kommende Projekt. Die Poster könne man sich in der Lobby abholen. Alle freuten sich. Außer Zizek. Ihm zufolge stelle die Solidarnosz-Bewegung nicht etwas „Neues“ dar, sondern sei nur in einem zerfallenden kommunistischen Staat denkbar gewesen. Ihre Ideen knüpften an die kommunistische Tradition an. Und dieser Stern sei nur ein Symbol für die Demokratie, die genau auf diesem leeren Signifikanten beruhe. Alle können sich auf so einen Stern einigen, sogar der Papst. Natürlich sei ein enthusiastischer Moment schön, aber es komme darauf an, wie die Solidarität ihren konkreten Weg in die Welt finde, und dort bleiben könne. So schön es auch sei, den leeren Signifikanten zu preisen.

http://liebernichts.de/wp-content/uploads/2010/06/stern_2501.jpgG.M. Tamas bezeichnete sich im folgenden Vortrag als „traditionellen Marxisten“. Die Aufgabe heute sei aus seiner Sicht die gleiche wie immer: Klassenbewusstsein schaffen. Das sei die Aufgabe der Philosophie. In der Diskussionsrunde kam die Frag auf, warum nur eine Frau zur Konferenz eingeladen sei – was sei das für eine Art Kommunismus? Zizek antwortete, dass Frauen angefragt waren. Sie hätten jedoch abgesagt, wegen Krankheit. Auch Judith Butler sei eingeladen worden, sie wollte jedoch nicht mit dem Label „Kommunismus“ verbunden werden.

Zum Schluss stellte Alain Badiou seinen Kommunismus-Begriff vor. Im Vortrags-Stil ein Gegenpart zu Zizek, ruhig, aber bestimmt. Ihm sei seit der letzten Konferenz in London zu Unrecht vorgeworfen worden, dass er den historischen Materialismus aufgeben wolle. Für ihn sei „Kommunismus“ keine utopische Idee, sondern der Versuch, das animalisch-interessengesteuerte Handeln des Menschen zu transzendieren. Kommunismus sei kein Endziel, keine Idee, sondern eine Praxis, die dem lokal Handelnden das Gefühl gibt, die Bühne der Geschichte zu betreten. Eine Handlung, die nicht nur auf die jeweiligen Interessen der handelnden Gruppe beschränkt ist, sondern die das Universelle adressiert. Ein solches Handeln gibt sich nicht mit der Perspektive der Opfer zufrieden, sondern muss für die Emanzipation der gesamten Menschheit stehen.

Die Triade Lacans

Badiou skizzierte kurz die Terminologie Jacques Lacans. Unter dem „Realen“ verstehe er das, was die Menschen tun. Das Handeln von Bewegungen, Streiks etc. Das „Imaginäre“ sei die historische Totalität – das nicht „reale“ Bild, das die Menschheit von sich und ihrer Geschichte hat. Das „Symbolische“ sei das „Universelle des Realen“ – also die Frage, wie Aktionen in die imaginäre Geschichtserzählung eindringen können. Das Symbolische betreffe die Idee des Kommunismus, es mache die Handlung eines partikularen Subjekts zum universellen Subjekt. Jedes Subjekt könne potentiell zum „Helden der Emanzipation“ werden.

Bis dahin sprach Badiou auf Französisch. Negris Kritik (Negri war bereits abgereist) wollte er jedoch auf Englisch antworten. Seine Erwiderung falle dann nicht so harsch aus. Er habe nie behauptet, so Badiou, dass das Ereignis eine Art mystisches Wunder sei, dass ohne Beziehung zur konkreten Situation geschehe. Er habe in seinen Büchern die ontologischen und strukturellen Bedingungen für ein Ereignis aufgezeigt. Negri habe diese wohl nicht gelesen. Von einem solchen Ereignis seien wir noch weit entfernt. Wir befänden uns nicht in einer „Postmoderne“, sondern eher in einer Wiederholung der Moderne, Mitte des 19. Jahrhunderts. Die ganze Arbeit von Marx und Hegel sei erneut zu leisten. Postmodernes Differenzdenken sei nichts weiter als ein Freundschaftsangebot an den Kapitalismus. Wir bräuchten eine neue Theorie des Subjekts und der Wahrheit. Trotzdem müsse Veränderung auch über den politischen Prozess vorangetrieben werden und nicht nur auf ein mystisches Ereignis verlegt werden.

Dann ging es weiter auf Französisch, zuzrück zum Vortrag. Kommunismus sei die symbolische Verbindung des Subjekts mit der Geschichte. Diese Verbindung sei bisher immer ein revolutionärer Gründungsakt gewesen, eine gewaltige kollektive Anstrengung, die eine alte Ordnung zerstört hat, um eine neue zu errichten. Diese Revolutionen seien immer in der Folge von Kriegen entstanden. In der Folge hätte sich die kommunistische Bewegung militarisiert und wurde siegesbesessen, sie bekam einen eigenen militärischen Apparat – ein Verrat an der kommunistischen Idee. Heute müsse man den Kommunismus von dieser militärischen Besessenheit befreien.

"International oder gar nicht"

Zum Abschluss machte Badiou diesbezüglich einige Vorschläge. Die kommunistische Idee bestehe aus lokalen Erfahrungen und sei in ihrer Praxis bisher immer der Faszination von Macht und Staat erlegen. Sie müsse heute so formuliert werden, dass sie von sich aus nicht gewalttätig ist. Sie könne sich jedoch verteidigen, wenn die restaurativen Kräfte zurückschlagen. Im Vergleich zu den letzten Erfahrungen muss der Kommunismus international sein. Das Bewusstsein, dass wir in einer Welt leben sei notwendige Grundbedingung jeder Handlung. Die Hinweise, es gebe überall unterschiedliche Verhältnisse, seinen ideologische, die uns von dem Bild einer gemeinsamen Welt abringen würden. Dagegen müsse man die Kämpfe an entfernten Orten zu seinen eigenen machen. Internationalität sei der Imperativ, das lokale Handeln mit globalen Ideen zu verbinden. Der Kommunismus werde international sein oder gar nicht. In diesem Handeln gehe es jedoch nicht darum, anderen das Universelle aufzuzwingen. In der partikularen Handlung stecke jedoch ein universelles Potential.

In der Fragerunde ging Badiou noch auf die Rolle der Kunst ein: In Krisenzeiten käme ihr die wichtige Rolle zu, nicht nur negativ das Bestehende zu kritisieren, sondern auch neue Fiktionen aufzuzeigen. Das könne die Politik nicht. Im Schlusswort unterstrich Zizek noch einmal das Primat des Denkens – die 11. Feuerbachthese von Marx müsse heute umgedreht und die Welt noch viel radikaler interpretiert werden. Das hier sei ein Anfang gewesen. Er schloss mit dem Zitat: „We are the ones, we've been waiting for.“

Oben: Alain Badiou (Foto: Thomas Aurin)

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