Protestsongs? Ja, Depression

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Die Spex sucht verzweifelt nach neuen Protestsongs. Dabei hat die Band Ja, Panik gerade eine ganze CD mit ihnen aufgenommen.

Das schöne an der Band Ja, Panik ist ja, dass man sie ernst nehmen kann. Zumindest seit sie nicht mehr ständig den Exzess als Ausweg aus der postmodernen Langeweile besingt: In dem verschwurbelten Prolog zu Alles hin, hin, hin, eine Art verspätete Begründung für den eigenen Bandnamen, hieß es vor zwei Jahren: "Den Prozess der Kybernetisierug aufzuhalten und das Empire zu stürzen, verläuft über eine Öffnung für die Panik." Die Panik hat etwas befreiendes. Ganz im Gegensatz zur Angst. Angst blockiert, sie ist handlungshemmend, sie verändert nichts, sie vermeidet. Wer aber der Panik des öfteren begegnet, der wird versuchen, sein Leben zu ändern. So die Theorie.

Jetzt ist das neue Album erschienen, es heißt DMD KIU LIDT. Darauf wird viel gesprochen, geflüstert und geschrien – ein permanenter Mix aus deutsch und englisch mit gelegentlichem wienerischen Einschlag. Ja, Panik sind ruhiger geworden, ihre Lieder heißen jetzt This Ship Ought to Sink oder Suicide. "I didn't burn my guitar, but yes I burnt the manifestos", singt Andreas Spechtl in The Horror – dabei schreibt er die ganze Zeit Manifeste, vor allem für den österreichischen Radiosender fm4: "Vom Überleben in der Metropole" heißt die Serie, in der er immer wieder Textpassagen des Albums aufgreift.

"Wie man uns kaputt macht, ist auch etwas, das uns eint"

Gebracht hat das nichts, wie er im 14-minütigen Schlusslied DMD KIU LIDT (hier der Text) des gleichnamigen Albums singt: "Ich hab versucht es aufzuschreiben und versucht es auszudrücken, aber es wollte sich nicht wirklich denken lassen." Wieso soll man die Menschen auch noch rational davon überzeugen, dass in der Welt einiges im Unargen liegt, wenn sie die Symptome dieser Ordnung längst am eigenen Körper spüren?

"Weißt du, ich bin mir langsam sicher und das ist gar nicht personal, die kommende Gemeinschaft liegt hinter unseren Depressionen, denn was und wie man uns kaputt macht, ist auch etwas, das uns eint, es sind die Ränder einer Zone, die wir im Stillen alle bewohnen."

Man muss sich das natürlich selbst anhören, wie in DMD KIU LIDT die Depression zum neuen Fluchtpunkt der Gruppe Ja, Panik wird. Nicht einmal die Liebe kommt in dieser totalen Verneinung ungeschoren davon. Sie ist neben dem Doktor und seinen Pillen längst die größte Überzeugungshilfe des Status Quo geworden und wird uns stets dazu ermuntern, die individuellen Probleme auch nur als solche zu begreifen, und nicht als Teil eines viel größeren Problems – "denn nicht du bist in der Krise, sondern die Form, die man dir aufzwingt". Erst nach dem kollektiven Zusammenbruch, hofft Spechtl, während er den letzten Satz des Albums ins Mikrofon flüstert, "kommen noch ein paar Strophen, an denen mir mehr als an allen anderen liegt".

"Über den Bierberg zur Apathie"

Wozu das alles? Die Idee eines erfrischenden Zusammenbruchs wurde mindestens schon von Tocotronic besungen, und Diedrich Diederichsen beschrieb jene Verneinung bereits vor zehn Jahren:

"Im Gegensatz zum Protest … erwartet diese Negation keine Antwort mehr. Sie hinterlässt keine Bekennerschreiben oder andere Andeutungen von Dialogbereitschaft. Sie bleibt anonym, maskiert und immer häufiger auch suizidal."

Mit diesem Zitat macht sich die Spex gerade verzweifelt auf die Suche nach neuen Protestsongs: Ein Protestsong müsse "die reichen Möglichkeiten des Popsongs für sich nutzen. Dann kann er sogar Nein! sagen. Aber er muss das tun, indem er Ja! sagt." Auch ein Nein! sollte also noch tanzbar sein. Im Anschluss an diesen Text verneinte die Süddeutsche Zeitung vergangenes Wochenende gänzlich die Möglichkeit neuer Protestsongs: "Die bittere Tocotronic-Lektion lautet: Wer über den Bierberg der Jugend ist, für den führt der Weg nach der Ironie von der Aporie direkt zur Apathie."

Dabei wäre ein Protestsong das Lied, das aus der individuellen Apathie eine kollektive Depression macht – der "Kybernetisierung des Empires" kann man nur seinen eigenen Körper entgegenwerfen. Und dann liegen bleiben. Ja, Panik spielen am 9.5. in einem Berliner TheaterNein! ist einfach nicht mehr tanzbar.

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Foto Startseite: Claus Rebler / Flickr

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