Wie Tropfen im Ozean

Krim-Krise In Berlin demonstrieren Leute für und gegen Putin. Und Wladimir Kaminer will alle mit Musik zusammenbringen
Ausgabe 11/2014

Knapp 20 Menschen stehen vor der russischen Botschaft, um Putins Regierung zu verteidigen. Eine kleine Gruppe vor einem riesigen Gebäude. Und nur ein paar Meter Asphalt trennen sie von 500 Demonstranten, die an diesem Sonntag in Berlin-Mitte gegen Putins Vorgehen auf der Krim protestieren. „Obama-Faschisten“, schreien die Russland-Verteidiger ihren Gegnern zu. Diese skandieren „Freiheit der Ukraine“, eine Frau winkt mit Blumen und ruft „Frieden“.

Menschen aus allen Schichten sind gekommen, Junge und Alte, Eltern und Kinder, Ukrainer, Polen, Deutsche und auch Russen. Blaugelbe Fahnen werden durch die Luft geschwenkt – die der Ukraine, aber auch die der EU. Viele Frauen tragen Blumenkränze, andere haben ihr Haar geflochten wie Julija Tymoschenko. „Putin, siehst du nicht die Grenzen?“, fragt ein Plakat. Ein anderes zeigt den russischen Präsidenten mit Hitlerfrisur, darunter steht „Putler“.

Trotzdem gehe es nicht nur um Putinkritik, betonen die Veranstalter. „Es geht nicht um die Frage: Russland oder der Westen. Wir stehen auf der Seite der Zivilgesellschaft“, sagt Oleksandra Bienert vor Beginn der Demo. Die gebürtige Ukrainerin hat den Protest angemeldet und ist Teil der Euromaidan Wache Berlin. Mit der Aktion wolle man ein Zeichen für die ukrainische Unabhängigkeit setzen, aber auch für Demokratie und Gewaltfreiheit.

Flugblätter für Touristen

Ursprünglich wollten Bienert und ihre Mitstreiter eine geschlossene Menschenkette von der Vertretung der EU-Kommission bis zur ukrainischen Botschaft bilden. Etwa 1.000 Meter sind das – unmöglich, mit nur 500 Demonstranten statt der erhofften 1.000. Deswegen ziehen sie nun zeitweise als Miniatur-Menschenkette, zeitweise als geschlossener Trupp Richtung ukrainische Botschaft. Unterwegs verteilen sie Flugblätter. Nicht alle interessieren diese. Zwei Touristen werfen ihr Blatt gleich in den Müll. Was denken Sie über die Ukraine? „No comment.“ Lieber in Ruhe sonnen.

Die Aufmerksamkeit der Medien schmälert das nicht: Diverse Fernsehteams laufen mit, auch der größte TV-Sender der Ukraine hat Journalisten geschickt. Sie filmen bis zum Schluss: Das kleine Mädchen, das ein gelb-blaues Herz malt; die Bilder der Maidan-Toten, die an der ukrainischen Botschaft aufgestellt sind; die Schweigeminute zu Ehren der Toten; das Singen der ukrainische Nationalhymne. Auch die Schriftstellerin Katja Petrowskaja bleibt bis zum Ende der Veranstaltung. „Was in der Ukraine passiert, ist ein Angriff Putins. Deswegen ist es ganz wichtig, zu zeigen, dass wir gegen den Krieg sind. Hier geht es nicht nur um die Ukraine. Hier geht es um Frieden auf diesem Kontinent“, sagt die in Kiew geborene Literatin, die sich in ihrem aktuellen Roman auch mit ukrainischer Geschichte beschäftigt.

Selbst wenn diese Demo – genauso wie die meisten anderen – nicht die Welt verändern und den Fortgang der Ereignisse entscheidend beeinflussen wird, scheinen hier doch alle mit ihrem Verlauf zufrieden. So auch Michael Reining: Er ist Deutscher, aber in der Ukraine geboren und hat dort studiert. Er fühle sich beiden Ländern verbunden, sagt er und erinnert an die Losung des Maidan: Ein Tropfen im Ozean sein. „Auch wenn man nur ein kleiner Teil des Ozeans ist, kann man Wellen machen und neue Ufer erreichen.“

Ukrainische Russendisko

Am Abend zuvor hat Reining im Namen der Ukraine gefeiert – in der Russendisko. „Man findet kaum zwei Völker, die einander näher stehen, als Russen und Ukrainer“, schreibt deren Gründer, der Teilzeit-DJ und Schriftsteller Wladimir Kaminer, auf seinem Facebook-Profil. Er schäme sich, weil seine Heimat die Welt an den Rand des Krieges bringe. Ganz am Ende seines Monologs kündigt Kaminer an, bei seiner Russendisko dieses Mal nur ukrainische Musik zu spielen. Ukrainische Nacht. Eine Party als Protest? Nicht unbedingt, findet Reining, ihm geht es um etwas anderes: „Auf dem Maidan steht gleich neben den martialischen Barrikaden auch ein Klavier. Die Leute sagen damit: Schaut mal, wer wir auch noch sind.“

1999 haben Kaminer und ein Freund die Russendisko im Kaffee Burger an der Torstraße ins Leben gerufen. Seitdem ist sie zu einer Berliner Institution geworden, auf die heute auch in vielen Reiseführern hingewiesen wird: Gäste aus der ganzen Welt tanzen hier zu russischer Musik, hüpfen über die Tanzfläche, das Publikum klatscht, der Wodka fließt in rauen Mengen. Mehr als zehn verschiedene Sorten werden angeboten.

Vor der Garderobe hängt ein Soldatenkopf aus Holz, vor den Fenstern Häkelgardinen, dazu traditionell gemusterte Tapeten – ein bizarrer Retro-Mix. Dass an diesem Abend ukrainische statt russische Musik gespielt wird, haben viele Gäste allerdings gar nicht bemerkt. „Russischer Rock ist super“, kommentiert eine Amerikanerin, die die Veranstaltung „ganz toll“ findet. Auch, wenn sie hierher nur gekommen ist, weil der erste Club, in den sie wollte, voll war. Eine andere Besucherin weiß immerhin, dass heute „ukrainische Nacht“ ist – steht ja vorn an der Kasse. Was sie zu dem Konflikt um die Krim sagt? „Das ist für mich echt weit weg.“

Über Politik unterhält sich hier auf der Tanzfläche niemand. Dafür singen einige umso lauter mit. Es können also nicht nur unbedarfte Touris gekommen sein. Tatsächlich unterhalten sich ein paar Russen an der Bar: „Die Situation in der Ukraine ist katastrophal“, sagt Andrej. Er glaubt, Janukowytsch habe die Demonstrationen bewusst zur Eskalation getrieben. Die Zukunft des Landes unter der neuen Regierung sieht er trotzdem pessimistisch: „Die Ukraine war immer korrupt, daran wird sich auch in Zukunft wenig ändern.“

Die Party findet Andrej „authentisch“. Und es sei ein guter Anlass, um abseits der Politik ins Gespräch zu kommen. So sieht es auch Kaminer: „Der Sinn einer Disko ist, dass die Menschen einander kennenlernen. Dass sie sich verbrüdern.“ Kein kleiner Anspruch in diesen Tagen.

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Geschrieben von

Lina Verschwele

Praktikantin des Freitag

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