Der Boden unter unseren Füßen ist ein sehr kostbares Gut, eigentlich müssten wir ihn auf Händen tragen. Ohne die Haut unserer Erde, manchmal nur wenige Zentimeter dick, wäre menschliches Leben nicht möglich. Trotzdem wird allein in Deutschland jeden Tag eine Bodenfläche in der Größenordnung von 170 Fußballfeldern mit Siedlungen, Straßen und Gewerbegebieten bebaut. Dabei geht mehr als die Hälfte der Bodenfläche durch Bauwerke vollständig verloren. Oftmals werden die angrenzenden Flächen so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass die Böden ihre ursprünglichen Funktionen weitgehend verlieren. Durch land- und forstwirtschaftliche Nutzung sind die Bodenflächen weltweit immer stärker gefährdet.
Wiedernutzung von Altflächen
Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, nicht immer weitere "neue" Flächen zu verbrauchen; bis zum Jahr 2020 plant sie eine drastische Reduzierung des Flächenverbrauchs. Um dieses politische Ziel zu erreichen, müssen künftig vorhandene brachliegende "Alt-Flächen" verstärkt saniert und wiedergenutzt werden. Allerdings stehen unzählige ehemals gewerblich genutzte Flächen in Verdacht, unbekannte Altlasten in sich zu bergen. Das gilt besonders für ehemalige Bahnflächen oder Militärbrachen, wo beispielsweise während des Krieges umweltschädliche Flüssigkeiten, Altmunitionsbestände oder Treibstoff und Ölreste abgelassen wurden. Nicht nur die Art der Bodenbelastung, sondern auch deren Ausmaß kann sich je nach Nutzung stark unterscheiden. Manchmal gelangten die Schadstoffe durch Unfälle, mitunter durch Unwissen und Unachtsamkeit ins Erdreich, in anderen Fällen wurden Abfälle aber auch bewusst im Boden oder gar in Gewässern "entsorgt".
Die Verschmutzung des Bodens ist im wahrsten Sinne des Wortes ein tiefgreifendes Problem, denn gerade alte Industriestandorte sind bis in große Tiefen so mit Chemikalien belastet, dass die eine oder andere Tierart mit den Giften zu kämpfen hat. So erregte vor zwei Jahren der Fund goldgelber Regenwürmer unter Wissenschaftlern Aufsehen. Hatten sie eine neue Art entdeckt? Der Boden-Experte Trevor Piearce von der University of Lancaster lüftetet das Geheimnis: Die gelben Regenwürmer lebten im toxischen Boden rund um eine alte Arsen-Mine. Ihre gelbe Färbung hatte offenbar damit zu tun, dass die Tiere das Gift aus dem verschmutzten Boden aufnahmen.
Dennoch heißt das nicht zwangsläufig, dass jede ehemals genutzte Industriefläche umfassend belastet ist. In vielen Fällen zeigt sich nach genaueren Untersuchungen, dass sich der Chemiemüll auf Teilflächen beschränkt und in anderen Teilen bereits abgebaut ist. Weltweit forschen Wissenschaftler nun an verschiedenen Methoden zur Altlastenreduzierung von Flächen, die nutzbar gemacht werden sollen, und haben dabei die verschiedensten Sanierungsmethoden entwickelt. Das reicht vom elektrokinetischen Verfahren über chemische Methoden bis hin zur Förderung der natürlichen Selbstheilungskraft der Flächen. Unterstützt wird diese durch Mikroorganismen, die im Boden leben und die manchmal sogar in der Lage sind, Schwermetalle aus dem Boden zu entfernen.
Stärkung der Selbstreinigungskräfte
Bakterien zum Beispiel sind wahre Meister, wenn es darum geht, sich toxischen Umgebungen anzupassen. Fast jeden Lebensraum können sie besiedeln - sogar solche, die durch Umweltgifte massiv verschmutzt sind. Um in schadstoffbelasteter Umgebung überleben zu können, bilden sie spezielle Eiweißstoffe. Mit Hilfe dieser Protein-Biomoleküle bauen die Bakterien Gifte in der Umgebung ab. In einem jetzt gestarteten EU-Projekt "Biotool" werden Bakterien-Moleküle untersucht, um Erkenntnisse über die natürliche Selbstreinigungskraft von schadstoffbelasteten Arealen zu gewinnen. In neun Laboren aus Deutschland, Spanien, Tschechien, Dänemark und der Schweiz testen die Wissenschaftler verschmutzte Böden. Für die Untersuchungen nehmen die Wissenschaftler Proben von unterschiedlichen Flächen: einem brachliegenden Areal in Dänemark etwa oder von einem früheren Flughafen in Tschechien. "Die Zahl der Standorte, auf denen Boden oder Wasser mit Umweltgiften kontaminiert sind, wird europaweit auf mehrere Hunderttausend geschätzt", erklärt Dietmar Pieper von der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (GBF) und Koordinator von Biotool. "Zunächst einmal ist es wichtig, dass die vorkommendenden Mikroorganismen kartiert und untersucht werden."
So hat auch eine Sanierungsfirma in Tschechien Interesse daran, erst einmal die Biologie des verschmutzten Areals zu ergründen, bevor sie sich zu Maßnahmen entschließt. Die am Projekt beteiligten Arbeitsgruppen werden zunächst die Reaktion der Bakterien auf chlorierte Lösungsmittel und aromatische Kohlenwasserstoffe untersuchen. "Diese Substanzklassen verursachen in Europa die häufigsten Grundwasser-Verschmutzungen", sagt Pieper.
Selbst die Gene der Bakterien werden unter die Lupe genommen, denn dort sind die Baupläne der Schadstoff abbauenden Proteine gespeichert. Sind genügend Informationen gesammelt, soll ein DNA-Chip entwickelt werden. "Mit dessen Hilfe können bestimmte Bakterienstämme schnell erkannt werden. Nur so können wir sicher sein, ob ein bestimmter Schadstoffabbau gewährleistet ist", erklärt Pieper. Die dabei entwickelten Schnelldiagnose-Verfahren werden, das erhoffen sich die Projektpartner, in einigen Jahren zu einem besseren Verständnis der Aktivität und Anpassungsfähigkeit bakterieller Lebensgemeinschaften führen und Sanierungsvorhaben beschleunigen.
Präzise Gefahrenbewertung
Um so viele Aspekte wie möglich bei einer bevorstehenden Flächensanierung zu berücksichtigen, unterstützt das BMBF im Rahmen seines Förderschwerpunkts "Kontrollierter natürlicher Rückhalt und Abbau von Schadstoffen bei der Sanierung kontaminierter Grundwässer und Böden" (KORA) die Suche nach neuen kostengünstigen und nachhaltig wirksamen Möglichkeiten bei der Sanierung von Altlasten. In den vergangenen Jahren haben sich zwar verschiedene Sanierungsverfahren am Markt etabliert, dennoch haben die bisherigen nationalen und internationalen Erfahrungen gezeigt, dass auf verschiedenen Standorten einerseits die üblichen Sanierungsverfahren an technische und auch ökonomische Grenzen stoßen, andererseits Restschadstoffbelastungen nicht immer vermieden werden können. Außerdem werden in der Regel die unter Tage ablaufenden natürlichen Rückhalte- und Abbauprozesse nicht in ausreichendem Umfang berücksichtigt, da noch zu wenig darüber bekannt ist.
An dieser Wissenslücke setzen die Wissenschaftler des BMBF-Projekts an: An über 30 verschiedenen, branchentypisch belasteten Standorten wie etwa Raffinerien, Chemiewerken und Deponien werden die Untersuchungen durchgeführt. Erst hieraus lassen sich eine präzise Gefahrenbewertung und entsprechende Handlungsempfehlungen ableiten. Werden die Sanierungsverfahren sinnvoll und zielgerecht eingesetzt, ergeben sich sogar wirtschaftliche Perspektiven. "Aus dem Flächenrecycling könnten große wirtschaftliche Chancen für Ingenieurbüros und Unternehmen in der Umweltbranche erwachsen", erläutert Deliane Träber, Bereichsleiterin der gerade zu Ende gegangenen Leipziger Umweltfachmesse Terratec. Am meisten jedoch profitiert der Boden, von dem wir buchstäblich leben.
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