Angefangen hat alles bereits vor 20 Jahren. »Ein Computer zum Anziehen«, das war die Zukunftsvision von Steve Mann, Professor an der Universität Toronto. Das von ihm entwickelte Datenköfferchen, vollgestopft mit Kabeln und elektronischem Zubehör, war zwar ziemlich unhandlich, dafür aber internetfähig und mit einer Webcam ausgestattet. »Meine Erfindung vereint Handy, Kamera, Computer und Internetzugang - alles in einem«, erläuterte Mann. Das alles sei so ungemein praktisch, die Uhrzeit einem Monitor zu entnehmen und sogar das Fotografieren und Filmen ganz leicht: »Mein Auge ist meine Kamera.«
Das war vor vielen Jahren, heute gilt Steve Mann als Pionier in Sachen »wearable computing«. Der Wissenschaftler ist schon seit einigen Jahren mit seinem Computer dauervernetzt. Ausgestattet mit einer Datenbrille, mit der er stets Zugang zum Internet hat, testet er ein total vernetztes Leben im Eigenversuch. Seine Herzfrequenz wird überwacht, seine »Vibraweste« ist mit Radarsende- und -empfangsgeräten sowie mit vibrierenden Elementen ausgerüstet. Dieses Kleidungsstück vermittelt ihm das Gefühl, »als drückten Objekte, die sich in einiger Entfernung befinden, unmittelbar gegen den Körper.« Auf diese Weise könne er sich auch im Dunkeln fortbewegen und Hindernisse erspüren. Seine »zweite Haut« legt Mann nur noch zum Schlafen ab. Er selbst bezeichnet sich als den ersten Cyborg.
Einfallstor Kleidung
Der Arbeitsplatz des Steve Mann ist am Massachussetts Institute of Technology (MIT). Das MIT zählt zu den bekanntesten Erfinderwerkstätten in den Vereinigten Staaten, hier entwickeln Professoren und Studenten die Visionen für das nächste Jahrtausend und schaffen das Wissen, mit dem US-Unternehmen die Märkte von morgen in aller Welt erstürmen. Möglich ist dies durch ein gewaltiges, vom Militär bereitgestelltes Forschungsbudget. Die Bausteine der künstlichen Intelligenz, die hier unter anderem erforscht werden, kommen vor allem auch in militärischen Zusammenhängen zum Einsatz.
Wo der Mensch aufhört und der Computer anfängt, wissen die Forscher bei der Entwicklung der »Kleidung« von morgen manchmal selbst nicht mehr. Der »mitdenkende« Schuh weist den Weg, das »cyber-safety suit« - ein T-Shirt, in das eine Kamera integriert ist - verrät besorgten Eltern den Aufenthaltsort ihres Nachwuchses; für die meisten Kinder wahrscheinlich ein Alptraum. Der Computer als Wäschestück oder das Wäschestück als Computer - der Übergang ist fließend und die Teile so intelligent, dass sie die Schwächen des Benutzers erkennen und diese ausgleichen.
Der Mensch der Zukunft läuft verkabelt und vernetzt durch die Welt; damit stünde er allerdings vor neuen Problemen: Er müsste sich nicht mehr nur um die eigene Gesundheit kümmern, sondern seine »intelligente Kleidung« Reparaturen und Updates unterziehen. Körper und Kleidung gleichermaßen wären vor Viren und mutwilligen Übergriffen Fremder zu schützen und Sicherheitslücken zu schließen. Denn die elektronische Kleidung ist, vergleichbar mit dem Internet, ein offenes System, in das eingebrochen werden kann. Den computervernetzten Körper gegen gefährliche Überfälle zu schützen, hat sich Steve Mann zur Aufgabe gesetzt. In seiner Zukunftsvision lebt der Mensch in einer computervermittelten Realität, in der zwischen Cyberraum und realer Welt nicht mehr zu unterscheiden ist.
Vernetzte Partnerschaft
Steve Mann ist nicht der Einzige, der mehr sein möchte als ein Mensch und seine begrenzte Existenz mit Hilfe der Technik aufheben möchte. Auch Kevin Warwick, Englands bekanntester Roboter-Forscher, antizipiert sich als neuer Mensch. Bereits 1998 ließ sich der Kybernetikprofessor der Universität Reading einen Transponder im linken Oberarm implantieren, der, mit dem Zentralrechner verbunden, jede Bewegung Warwicks im Universitätsgebäude aufzeichnete. Der Computer wusste immer genau, wo sich Warwick aufhielt, betrat er einen Raum, öffnete sich die Tür und eine Stimme begrüßte ihn mit einem »Hallo«. Die wissenschaftliche Ausbeute dieses Selbstversuchs war gleich Null, der Publicity-Effekt enorm. Kritiker wie auch einige Kollegen halten den experimentierfreudigen Professor für verrückt, insbesondere wenn er über die gesellschaftlichen Auswirkungen seiner Experimente philosophiert. Da gibt es keinen Platz mehr für Ethik und Moral.
Inzwischen begab sich Warwick ein zweites Mal unter das Messer. Diesmal hat er sich einen Chip im linken Handgelenk drei Millimeter unter die Haut pflanzen und 100 Elektroden mit Nervenfasern verbinden lassen, die durch seinen Arm verlaufen. Warwick hofft herauszufinden, ob sich auch Schmerzimpulse und Schmerzempfinden auf elektronischem Weg beeinflussen lassen. Gelingt sein Experiment, beabsichtigt auch Warwicks Ehefrau Irena sich kurzzuschließen, um einen wechselseitigen Austausch von Daten und Reizen zwischen sich und ihrem Gatten herzustellen.
Der Professor will sogar noch weiter gehen und hofft, dass die technische Aufrüstung des menschlichen Körpers inklusive des menschlichen Nervensystems schon bald zur Normalität werden wird: das »Upgraden« des Körpers für Jedermann. »Die Menschen werden in Zukunft nicht nur ihre Körper an einen Computer anschließen, sondern sich auch miteinander vernetzen und Mensch-Maschinen-Netzwerke bilden«, so Warwick. In seinem Buch Der Marsch der Maschinen verkündet er, dass die menschliche Gattung vor ihrem Ende stehe. Ab etwa 2050 sieht er die Evolution fortgesetzt von Maschinen. Der menschliche Körper als Maschine aus Fleisch und Blut, die Geist und Seele am Leben hält.
Die Entwicklung zum Zwitterwesen Menschmaschine kann den so genannten Transhumanisten oder Extropianern nicht schnell genug gehen. Die in den USA gegründete Gesellschaft hat ihren Weg mittlerweile auch nach Europa gefunden. Ihre Anhänger sehen aufgrund von Krankheiten und Leistungsschwächen noch viel Spielraum, die menschliche Spezies zu verbessern.
Auch in der Medizin kommen elektronische Chips immer stärker zum Einsatz. An der Universität von Montpellier wird gehbehinderten Patienten ein mit einem Computer verbundener Chip unter die Bauchdecke eingesetzt. Die Beine des Patienten sind mit Elektroden besetzt, die elektrische Impulse abgeben und auf diese Weise die gelähmten Beine stimulieren. Über den Chip wird der Befehl »Aufstehen« und »Gehen« weitergegeben. Bislang muss der Patient sich allerdings in der Nähe des steuernden Großrechners aufhalten. Eines Tages, so hoffen Forscher, sollen kleine Schaltkästen den Patienten die Bewegungssteuerung direkt ermöglichen.
Der Chip im Hirn
Ein neuer Therapieansatz für Parkinsonkranke ist mittlerweile auch der Einsatz von Elektroden im Gehirn. Damit soll die physiognomische Erstarrung der Patienten - ein typisches Merkmal der Parkinson-Erkrankung - gemildert werden. Durch das Implantat empfängt das Gehirn Impulse, durch die sich das Zittern und die Starre des Körpers lösen.
Mit der Entwicklung der weltweit ersten Gehirnprothese ist dem Team um Theodore Berger vom Center for Neural Engineering an der University of Southern California eine weitere Besetzung des menschlichen Gehirns gelungen. Diese erste Neuroprothese soll den Hippocampus ersetzen, jenes Gehirnareal also, das unter anderem an der Regelung von Gefühlen und der Gedächtnisbildung beteiligt ist. Geklärt werden soll, ob man auf diese Weise Menschen, die etwa durch Epilepsie, Alzheimer oder einen Schlaganfall Hirnschäden im Bereich des Hippocampus erlitten haben, geholfen werden kann.
Völlig offen ist dabei die Frage, ob sich die implantierte Neuroprothese langfristig auf die Persönlichkeit des Prothesenträgers auswirkt oder die Prothese Einfluss auf die Gedächtnisfunktion hat. Unklar ist bislang auch, ob sich die menschliche Gedächtnisleistung regulieren lässt, denn durch das Implantat könnten Betroffene unter Umständen nicht mehr in der Lage sein, Dinge zu vergessen.
Der Ethiker Joel Anderson von der Washington University sieht bereits ein Problem darin, dass ein betroffener Patient einer Operation zustimmen muss. »Wenn aber jemand keine Gedächtnisinhalte bilden kann, wie soll er dann sein Einverständnis geben, um dieses Implantat zu erhalten?«
Kritiker sehen die letzte Grenze der Technisierung - der menschlichen Körper - bereits als überschritten. Viele Entwicklungen deuten darauf hin, dass eine neue Art technischer Umwelt entsteht, die das Individuum umgibt und möglicherweise rekonstruiert. Doch welche Konsequenzen ergeben sich aus der Überschreitung der natürlichen Grenzen des menschlichen Körpers? Wo beginnt die technische Manipulation und wann mutiert der Mensch tatsächlich zum Cyborg? Der Weg ist frei, sagen die Transhumanisten, die Evolution selbst in die Hand zu nehmen. Der genetische Code des Menschen ist entschlüsselt, und - so ihre Utopie - wir könnten uns selbst optimieren bis wir die Überwindung des Todes erreichen.
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