Auflösung der Kampfzone

Frankreich In Notre-Dame-des-Landes kämpfen Polizei und Linksaktivisten um ein Stück besetztes Land. Für Macrons Regierung geht es um mehr als ein paar Ziegen und Holzhütten

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2500 Einsatzkräfte gegen 250 Aktivisten auf Feldern, Äckern und Waldstücken in der bretonischen Provinz
2500 Einsatzkräfte gegen 250 Aktivisten auf Feldern, Äckern und Waldstücken in der bretonischen Provinz

Foto: Loic Venance/AFP/Getty Images

„Du wirst schnell erraten, wo ich bin. Kann mich in den nächsten Tagen nicht melden. Ausführliches in Paris.“ Es fällt mir nicht schwer, die Nachricht eines Freundes zu deuten, auch wenn er wie immer konkrete Details vermeidet. Die Vorsicht – oder Paranoia – linker Politikaktivisten ist groß in diesen Tagen. Zu Recht. Über viele gibt es ein „fichier S“, eine Gefährderakte. Sie stehen im Fokus des französischen Geheimdienstes – in illustrer Gesellschaft islamistischer Terrorverdächtiger. Der Aktenbestand der Sicherheitsbehörden hat dank des monatelangen Ausnahmezustandes nach den Terroranschlägen erheblich zugenommen, auch auf der linken Regalseite.

Ich versuche, den Freund zumindest auf den Fernsehbildern auszumachen, die den andauernden „Stellungskrieg“ mit den Polizisten zeigen. 2500 Einsatzkräfte gegen 250 Aktivisten auf Feldern, Äckern und Waldstücken in der bretonischen Provinz. Die einen in schwerer Montur: mit Schutzschildern, Knüppeln und Helmen feuern sie Projektile ab. Die anderen vermummt, mit Stiefeln, Gasmasken und Kapuzen. Sie setzen Reifen in Brand, Steine und Äste fliegen durch die Luft. Mir bleibt zu hoffen, dass der Freund bei dem „Stellungskrieg“ nicht unter den Verletzten ist, aber das werde ich erst in einigen Tagen wissen.

Eingebetteter Medieninhalt

Die Umgebung von Notre-Dame-des-Landes ist seit Montagmorgen zum Schlachtfeld geworden. Die kleine Kommune mit 2000 Einwohnern liegt 25 Kilometer nordwestlich von Nantes, aber sie ist landesweit bekannt, weil es seit Mitte der 60er Jahre Pläne für den Bau eines Flughafens in der Region gab. Pläne, die jahrzehntelang in den unterschiedlichsten Regierungen evaluiert, vorangetrieben oder verworfen wurden. Zu Beginn dieses Jahres verkündete schließlich Premierminister Édouard Philippe, dass nach Abwägung aller Pro und Contra, das Projekt endgültig fallen gelassen wird. Die Umweltaktivisten, die vor den Folgen einer Bebauung für die gesamte Region gewarnt hatten, atmeten auf. Vorerst.

Kein Platz für Experimente

Doch schon damals stellte sich die Frage: Was wird aus den Anwohnern, die sich auf dem Terrain, das für den Bau des Flughafens vorgesehenen war, niedergelassen haben. Jene Menschen, die seit langem Hütten, Häuser, Werkstätten und Felder bewohnen und bewirtschaften. Und welche Zukunft haben die Experimente, kultureller, landwirtschaftlicher oder sozialer Natur, insbesondere von jungen Leuten aus der alternativen, linken Umweltszene initiiert. Die Antwort hat die Staatsmacht nun in Form von Abrissfahrzeugen und dem massiven Polizeiaufgebot geliefert. Man wolle das 16 Quadratkilometer große Areal, das über die Jahre zu einer „rechtsfreien Zone“ geworden sei, wieder unter die administrative Kontrolle der Behörden bringen.

Viele Aktivisten sowie „traditionelle“ Landwirte, die sich ihnen angeschlossen hatten, hofften nach dem Kippen der Bebauungspläne, ihre Höfe behalten zu können, viele zeigten sich sogar bereit, ihre besetzten Parzellen und ihr Gewerbe offiziell anzumelden. Doch schon damals prophezeite mein Freund, dass die zur Schau gestellte Gesprächsbereitschaft seitens der Behörden nur ein Vorwand sei. Die Räumung werde aber schon allein deshalb stattfinden, weil sie für die Staatsmacht einen symbolischen Wert habe. Mehr noch, die Zukunft des Areals sei ein willkommener Anlass, um linke Gruppierungen gegeneinander aufzuwiegeln und zu zerschlagen. Es ginge darum, einen Keil zwischen jene zu treiben, die mit den Behörden kooperieren, die also auf offiziellem Wege versuchen, ihren Besitz zu legalisieren (manchmal mit Erfolg) und jenen, die den Dialog verweigern und so riskieren, von „ihrem“ Land vertrieben zu werden.

Die süßen Ziegen!

ZADistes nennt man die Aktivisten, denn sie haben das Gebiet zu einer „zone à défendre“ erklärt, ein Gebiet, das es zu verteidigen gilt. Ursprünglich stand ZAD für „zone d’aménagement différé“, ein Gebiet, in dem besondere Auflagen gelten, um eine Nutzung für öffentliche Bebauungspläne nicht zu behindern. Die ZAD in Notre-Dame-des-Landes wurde zur wohl bekanntesten – im ursprünglichen und neuem Sinn. Später brachte es der Staudamm Sivens in Okzitanien zu trauriger Berühmtheit. In dieser „Verteidigungszone“ kam am 26. Oktober 2014 der 21-Jährige Umweltaktivist Rémi Fraisse durch eine Handgranate der Polizei ums Leben. Damit entbrannte eine Debatte über den Einsatz von Polizeigewalt. Derlei Geschosse sind zwar mittlerweile verboten, dennoch geht die Ordnungsmacht auch in Notre-Dame-des-Landes nicht gerade zimperlich mit den Demonstranten um.

Bei einem Spaziergang im Nordosten von Paris ereignet sich zur gleichen Zeit folgende Szene: „Mann, hast Du auch die Bilder gesehen? Ist ja traurig. Ich habe die Ziegenfarm wiedererkannt, weißt Du, die wir mal besucht haben, bei unserem Ausflug mit X, und wo wir noch den leckeren Käse gekauft haben. Da sind die einfach mit dem Bagger rüber.“ Paris liegt über vier Stunden entfernt von Nantes. Im Nordosten der Stadt leben viele Bourgeois- Bohème, ohne besonderes politisches Engagement, aber mit gewissen Sympathien für die Ziele von Ökoaktivisten in der Provinz.

Damit unterscheiden sie sich von der Mehrheit der Franzosen, die laut Meinungsumfragen mit der unnachgiebigen Haltung der Regierung d'accord ist. Es geht eben nicht nur um ein paar liebe Ziegen und Käsebauern. Es geht darum, ob Macron ein Jahr nach seiner Wahl noch immer den durchgreifenden Präsidenten geben kann, einen, der sich nicht zu schade ist, sich die Finger schmutzig zu machen und seine Ankündigungen umsetzt, auch um den Preis unschöner Fernsehbilder (nebenbei: Journalisten vor Ort berichten von massiven Behinderungen ihrer Arbeit, Filmaufnahmen von „friedlichen“ Räumungen werden den Medien von der Polizeipräfektur selbstredend gerne zur Verfügung gestellt“). Sollte die Gewalt weiter eskalieren, ist fraglich, ob sich ein Szenario wie im Falle von Rémi Fraisse nicht am Ende negativ auf den Supersauber-Präsidenten auswirkt.

Solange wird in Notre-Dame-des-Landes fleißig und „friedlich“ weiter geräumt, auf dass die letzten Tiere den Wald verlassen. In ein paar Tagen werde ich die Erzählungen aus dem Inneren der Kampfzone bekommen. Vorausgesetzt, der Freund schafft es unverletzt da raus. Wir werden uns wie immer Mühe geben, damit der Geheimdienst auch richtig was zu belauschen bekommt ...

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Romy Straßenburg

Lebt als freie Journalistin in Paris. Ihr Buch "Adieu Liberté - Wie mein Frankreich verschwand" ist im Ullstein-Verlag erschienen.

Romy Straßenburg

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