Bluse und Bleistift

Sexismus Französische Journalistinnen fordern von Politikern "Pfoten weg". Der #aufschrei bleibt aus. Privat- und Berufsleben sind für Frankreichs Eliten nur schwer zu trennen

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Bluse und Bleistift

Foto: Romy Straßenburg

Mikro unterm Minirock. Kamera im Kleiderschrank. Bleistift am BH. Haben Sie bis hierhin gelesen? Gut! Denn häufig kommt einem der Leser ja schon nach zwei Sätzen abhanden. Aber Sie gehören nicht dazu! Nein, Sie lassen sich nicht von billigen journalistischen Tricks locken, von catchy Reizwörtern zu Artikelbeginn. Nein, Sie horchen auf! Sie wittern schon: Gleich wird es hier um wichtige Fragen gehen. Fragen, die im Debatten-Meer ab und zu an die Oberfläche gespült werden, bevor sie wieder an den Grund des gesellschaftlichen Ozeans verschwinden.

Wer erinnert sich noch an Monsieur Dirndl aka Rainer Brüderle? Ihm ist es zu verdanken, dass Deutschland Anfang 2013 einen #aufschrei erlebte. Dass eine Debatte über Sexismus angestoßen wurde, die manchen als Anachronismus erschien, aber in den Augen anderer längst überfällig war. Egal wie man am Ende zu dem Thema stand: Das gesellschaftliche und mediale Echo über die Grenzen von Flirt, Anzüglichkeiten, Belästigung und Übergriffen machte Männer & Frauen (hoffentlich) nachdenklich.

Besser nichts drunter

Auch in Frankreich gibt es sie, regelmäßig wiederkehrende Gender-Debatten. Es geht um Prostitution, (Raben-) Mutterschaft, Homosexualität oder um Mager-Models. Kürzlich ein Mal mehr um das Thema « Sexismus im Arbeitsalltag », dem die linksliberale Tageszeitung Libération in der letzten Woche eine Titelseite widmete. « Pfoten weg! » so der Titel eines offenen Briefes, unterschrieben von teils namentlich genannten, teils anonymen französischen Journalistinnen. Sie brachten darin ihren Unmut über das anzügliche Verhalten, über die täglichen Belästigungen französischer Politiker zum Ausdruck. Ihren zweideutigen Bemerkungen bis hin zu unverblümten Offerten seien sie im täglichen Medienkarussell ausgeliefert.

Sie zitieren einen Abgeordneten der Nationalversammlung, der wartenden Reporterinnen zuruft: « Na ! Ihr geht wohl auf den Strich… ihr wartet auf Kunden! » Einen Minister, der bei einem Fabrikbesuch scherzt: « Besser wär’s, ihr hättet unter dem Blaumann gar nichts an! » An der latenten Zweideutigkeit habe selbst die öffentliche Empörung über die Eskapaden von Dominique Strauss-Kahn nichts geändert. « So lange die Politik überwiegend in den Händen heterosexueller Männer um die sechzig liegt, wird sich an der Situation nichts ändern », lautet das Fazit der Unterzeichnerinnen.

Erotik-Gen regiert

Lange Zeit wurde eine gewisse Freizügigkeit im Umgang zwischen Mann und Frau nicht nur in Politikerkreisen durchaus akzeptiert, mitunter kultiviert. Man(n)cheiner scheint bis heute sogar stolz auf ein imaginäres französisches « Erotik-Gen ». Und schnell fällt dabei die Bemerkung: Wenn beim Job geflirtet und gebaggert wird, geschieht das nicht immer zum Leidwesen der Frauen. Es sind die gleichen Argumentationsmuster wie in der Brüderle-Affäre, nur ist der große #aufschrei westlich des Rheins ausgeblieben. Stattdessen hält sich das Mitleid mit der weiblichen schreibenden Zunft in Grenzen.

Der Journalist Pascal Bories antwortete seinen Kolleginnen im Magazin Causeur mit dem Beitrag « Wir, belästigte männliche Journalisten », Untertitel « Hoffentlich dauert das an ! ». Er beklagt, die Unterzeichnerinnen hätten die Hälfte ihrer Kollegenschaft vergessen, die ebenso unter täglich erfahrenen Sexismus « leide ». Wenn eine Praktikantin um ein Mittagessen mit einem Redakteur buhlt. Wenn sie im Anschluss eine SMS schreibt, in der sie lolitahaft beklagt « Du bist nicht ja besonders flirty… » Wenn eine Schriftstellerin eindeutige Angebote macht und man zufällig in der Jury eines Literaturpreises sitzt, für den sie nominiert ist. Oder wenn eine Schauspielerin im Interview gesteht, sie trage keine Unterwäsche. Nicht zu vergessen, das Empfangen aufreizender Selfies zu jeder Tages- und Nachtzeit... Mann hat's nicht leicht.

Bagger-Strolche und George Clooney

Bories findet: Die Belästigung am Arbeitsplatz sei nun mal ein endloses Spiel « Für wenige von diesen heterosexuellen, aufreizenden Frauen unter sechzig können wir beruflich wirklich etwas tun, aber trotzdem geht uns ihr Spiel nicht auf die Nerven. Einige rückständige Frömmlerinnen heulen jetzt rum, aber trauen sich nicht die alten Säcke namentlich anzuprangern oder einfach zu ohrfeigen? Von unserer Seite wird uns nicht einfallen, ein Kollektiv von « Opfern belästigter männlicher Journalisten zu gründen. Im Gegenteil, hoffentlich dauert das an! »

Ob sich derlei Machismus als Antwort auf das täglich empfundene Unbehagen der Unterzeichnerinnen eignet? Es klingt wie aus besten Zeiten der Brüderle-Debatte: wäre der Bagger-Strolch George Clooney, würde sich keine Frau über die Anzüglichkeiten beschweren. Stimmt. Nur sind die George Clooneys im Arbeitsumfeld von Journalistinnen eher selten. Über die Anmache gut aussehender, ambitionierter Mädchen und junger Frauen freut man sich da schon eher. Der kleine Prinz und seine Freunde befinden sich eben auf einen ganz anderen Stern, für sie bedeutet die Situation das ganze Gegenteil. Sie meinen einvernehmlichen Flirt und keine einseitige Belästigung. Deswegen ist es im wahrsten Sinne des Wortes ein Bubenstück, den Unterzeichnerinnen Heuchelei vorzuwerfen.

Elite-Reproduktionsmachine

Nun kann man das Phänomen aber nicht nur durch die feministische Brille betrachten. Denn die vorhandene Intimität, ob als unangenehm oder schmeichelnd empfunden, erzählt von einem hausgemachten Problem der französischen Eliten, das die Journalistinnen auch indirekt ansprechen: « Wir sind uns bewusst, dass wir unter extrem privilegierte Bedingungen arbeiten, verglichen mit dem Großteil der Franzosen, die um ihren Job oder ihre Gesundheit fürchten müssen, weil sie belästigt werden. Auch gegenüber unseren Kollegen bei regionalen Medien, die weitaus abgeschiedener arbeiten. »

Das Verhältnis zwischen Journalisten/innen und Politikern/innen bleibt im zentralistischen Frankreich, also genau genommen in Paris, bis heute unzweideutig zweideutig. Folglich auch die « Verhältnisse », die daraus erwachsen. Dass es überdurchschnittlich viele Liebesbeziehungen untereinander gibt, gehört auch zur Wahrheit des Politikbetriebs. Die Elite-Reproduktionsmachine der französischen Republik gehorcht ganz eigenen Regeln. Oberste Pflicht: die Pflege des « carnet d’adresses », des Netzwerks. Das beginnt auf dem renommierten, gut bürgerlichen Lycée, setzt sich fort an den Eliteschulen und zahlt sich im besten Fall aus, wenn man in Medien, Politik, Kultur oder Wirtschaft gelandet ist. Die Autorin Flore Vasseur beschreibt das Phänomen treffend in ihrem politischen Krimi « Kriminelle Bande ».

Wenn enge private Beziehungen im Politikbetrieb, bis hin zur offensichtlichen Einflussnahme und Korruption an der Tagesordnung sind, ist es zur Grenzüberschreitung der Intimsphäre nicht weit. Die Unterzeichnerinnen von « Pfoten weg » legen ihren Finger also in eine Wunde, die viel tiefer ist als der beklagenswerte, schmierige Umgang mit Frauen.

Wer ein Ende des Macho-Gehabes fordert, wird zuallererst einige (möglicherweise hilfreiche) Kontakte aus seinem Adressbuch streichen müssen. Und er und sie wird sich die Frage stellen müssen, wie journalistisches Arbeiten im Land von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit transparenter und losgelöst von persönlichen Beziehungen funktionieren sollte und könnte. Das Ausbleiben anzüglicher Sprüche wäre ein wünschenswerter, aber nur ein erster Erfolg. Wahrscheinlicher aber wird auch diese Frage schon bald wieder an den Grund des Debatten-Meeres hinabsinken.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Romy Straßenburg

Lebt als freie Journalistin in Paris. Ihr Buch "Adieu Liberté - Wie mein Frankreich verschwand" ist im Ullstein-Verlag erschienen.

Romy Straßenburg

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