Links vorbei an Notre-Dame. In einer kleinen Seitenstraße gelangt man durch ein schweres Eisentor auf einen begrünten Hinterhof. Hier leben Alessandro Stella, Jean-Claude Goldschmit und ihr Chihuahua Mario in einer gemütlich vollgestellten Atelierwohnung. An den Wänden hängen Collagen, Poster und Leinwände, ein bisschen Pop-Art, Pailletten, Scherenschnitte, knallig-grelle Selbstporträts. Das italienisch-französische Künstlerpaar nennt sich „Stella Goldschmit“. Bald wird der Doppelname auch in ihren Personalausweisen stehen. Im Herbst wollen sie sich das Ja-Wort geben. „Wir wären nie auf die Idee gekommen, zu heiraten, schließlich sind wir schon als zivilrechtliche Partnerschaft eingetragen. Das haben wir jetzt erst entschieden, als so viele Franzosen gegen das neue Gesetz auf die Straße gegangen sind“, sagt Goldschmit.
Es ist der vehemente Kampf der Homo-Ehe-Gegner, der Menschen wie Stella und Goldschmit politisiert. Obwohl das von François Hollande im Wahlkampf angekündigte Gesetz zur Gleichstellung homosexueller Paare vergangene Woche vom Verfassungsrat gebilligt wurde und so in Kraft getreten ist, wollen die Gegner nicht aufgeben. Auch an diesem Sonntag ist in Paris wieder eine Großdemo angesetzt, zu der mehrere hunderttausend Menschen aus ganz Frankreich anreisen werden. Sie werden blaue und rosafarbene Fahnen schwenken und Slogans brüllen wie „Wir wollen Arbeit, keine Homo-Ehe“ oder „François, nimm das Gesetz zurück!“ Und sie werden ihrer kuriosen Anführerin Frigide Barjot zujubeln. Die 50-jährige Komikerin und Initiatorin der „Demo für alle“ hat es geschafft, das konservative Frankreich zu mobilisieren. Dabei geht es vielen Demonstranten mittlerweile um mehr als nur die Homo-Ehe. Sie wollen eine andere Regierung, eine andere Politik, ein anderes Frankreich.
„Wir waren schon weiter“
„Die Homosexuellen sind zu einem Sündenbock geworden“, sagt Goldschmit. „In Wahrheit betrifft das neue Gesetz doch nur eine Minderheit der Bevölkerung. Ein paar hundert Hochzeiten wird es geben, und vom Adaptionsrecht werden noch weniger Paare Gebrauch machen, in erster Linie lesbische Eltern, die sowieso schon seit Langem Kinder haben und sie nun offiziell adoptieren dürfen.“ Für Goldschmit und Stella war ihre Homosexualität bis vor Kurzem nur ein Detail unter vielen. Die natürlichste Sache der Welt, die sie weder versteckten, noch bewusst in den Vordergrund stellten. Sie waren nie Anhänger einer Pro-Schwulenbewegung. Der Großteil ihrer Freunde sind Heteros, auch ihre Kunst verstanden sie nicht als Statement für gleichgeschlechtliche Liebe. Heute stellen sie bestürzt fest: „Durch die Ereignisse der vergangenen Monate ist Homosexualität in Frankreich wieder politisch geworden. Dabei waren wir schon einmal viel weiter.“
Vor 20 Jahren zog es den Italiener Stella nach Abschluss der Kunstakademie von Rom nach Paris. Seinen italienischen Akzent hat er bis heute behalten. Frankreich, das war für den 48-Jährigen damals der Inbegriff der Libertinage, der Emanzipation und vor allem des laizistischen Prinzips, wonach Religion als Privatangelegenheit zu gelten hat. Für Homosexuelle war zu dieser Zeit HIV das wichtigste Thema. Um ihren Platz in der Gesellschaft brauchten sie nicht mehr zu kämpfen, denn die 68er-Bewegung hatte Frankreich liberaler gemacht. Aber natürlich existierte Lesben- und Schwulenfeindlichkeit in konservativen Kreisen weiter.
Der Streit um die Homo-Ehe hat diese wieder sichtbar gemacht und gestärkt. Seit Jahresbeginn verzeichnete die Organisation „SOS Homophobie“ 30 Prozent mehr gewalttätige Übergriffe auf Homosexuelle. In Lille, Bordeaux und Paris wurden Schwule krankenhausreif geschlagen. „Das Klima hat sich radikalisiert. Einerseits gibt es diese Aggressivität. Andererseits trauen sich plötzlich auch arrivierte Kreise, überkommene Klischees und Ansichten über uns zu äußern. Homophobie ist wieder salonfähig geworden“, sagt Goldschmit.
In einer Zimmerecke lehnt ein schwarz-blaues Schild. Die beiden tragen es auf den zahlreichen Demos für die Homo-Ehe, an denen sie teilnehmen. Es zeigt das Künstlerpaar wie auf einem klassischen Familienfoto. In ihren Armen halten sie ein Kind, über ihren Köpfen fliegen Raketen durchs Himmelblau, ihre Gesichter sind versteinert. Das Foto war 2011 Teil eines Performance-Projektes mit dem Titel „Glücklich sein“. Damals ahnten sie nicht, dass ihr Foto zwei Jahre später eine neue Bestimmung als politisches Kunstwerk bekommen würde. Ihre Arbeit war bis dahin vor allem eine Beschäftigung mit dem selbst kreierten Image der Kunstfigur Stella Goldschmit. Seit ihrer Begegnung vor fünf Jahren mischen Stella und Goldschmit ihre unterschiedlichen Talente: Malerei, Gesang, Schauspiel, Fotografie, Grafikdesign.
Klassisches Familienfoto
Ihre Kunst ist eine permanente Suche nach Objekten, nach Materialien, nach Wortspielen, die zu der imaginären Diva passen. Die künstlerische und private Symbiose erscheint beiden dabei heute wie eine schicksalhafte Fügung. „Ich glaube, es war an der Zeit für diese Begegnung. Es fühlt sich so an, als seien wir beide bei uns selbst angekommen“, sagt Goldschmit. Er muss lachen, als er sich an die Reaktion seiner eher konservativen Mutter erinnert, die sich mit den sexuellen Vorlieben des Sohnes nicht immer leicht getan hatte. „Sarkozy hatte damals gerade Carla Brunis Herz erobert. Für meine Mutter konnte es kein Zufall sein, dass auch ich jetzt meinen Italiener gefunden hatte. Und sie war der Meinung, wir bräuchten, genau wie die beiden, mit dem Zusammenziehen nicht zu warten.“
Stella serviert Kaffee in kleinen weißen Porzellantassen. Auf dem Tisch im Wohnzimmer liegen zwei Umschläge. Der erste ist adressiert an die Kirche Saint-Maximin in Metz, der zweite an den Erzbischof der lothringischen Stadt. Goldschmit zieht ein amtliches Formular hervor. Er und sein Partner haben sich wegen der schwulenfeindlichen Äußerungen der Kirche entschieden, ihre Taufe rückgängig zu machen. Der Erzbischof von Lyon hatte in einem Interview Bedenken geäußert, das Homo-Ehe-Gesetz werde Polygamie und Inzest Tür und Tor öffnen. Der frühere Papst Benedikt XVI. sprach von einem „Anschlag auf die Familie“. An den Bischof von Metz gerichtet, schreibt Goldschmit deshalb nun: „Ich möchte in keiner Verbindung mehr zu dieser Kirche stehen, für die ich mich schäme. Eine Kirche, die Menschen spaltet und die zutiefst homophob ist.“ Wieder so eine Entscheidung, an die sie früher nie gedacht hätten.
Wie aus dem Mittelalter
Mit dem Chihuahua geht es ein Stück am Ufer der Seine entlang. Goldschmit zeigt in Richtung des Quartier Latin und erzählt von einer Kirche, ein paar Meter weiter die Straße hinunter. Von der Kanzel des Gotteshauses Saint-Nicolas-du-Chardonnet predigen die ultra-traditionalistischen Piusbrüder und Anhänger der christlich-fundamentalistischen Bewegung Civitas gegen „anormale, perverse Neigungen gleichgeschlechtlicher Paare“. Diese Fundamentalisten seien Überbleibsel aus dem Mittelalter, sagt Stella. Es macht ihnen Angst, dass das Mittelalter ihnen hier so nahe kommt.
Es regnet, die Bücherstände an den Quais haben geschlossen. Der Chihuahua tippelt zwischen den Pfützen hindurch heimwärts. Eigentlich hatten Stella und Goldschmit daran gedacht, dem Pariser Zentrum den Rücken zu kehren, weiter raus in einen Vorort zu ziehen. Mittlerweile fühlten sie sich im touristischen Herzen von Paris, gleich neben dem Pariser Schwulenviertel Marais, aber sicherer. Dass in Frankreich zwei händchenhaltende Männer oder Frauen heute wieder Angst haben müssten, sei grauenvoll, sagt Goldschmit. Und dann kündigt er kämpferisch an: „Wenn Frankreich nicht zur Ruhe kommt, werden wir auch nach unserer Hochzeit weiter gegen Homophobie auf die Straße gehen.“
Romy Straßenburg berichtet für den Freitag aus Paris
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