Elle est mignonne! Süß sei sie, ganz, ganz niedlich, die junge Ministerin mit dem unaussprechlichen Namen. Das sagen hier alle, die man fragt. An diesem strahlenden Novembertag herrscht Anspannung im Gymnasium Robespierre in der Kleinstadt Lens. Premierminister Manuel Valls und Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem sind gekommen, um ihren Aktionsplan gegen Schulabbruch vorzustellen – in einer Region mit düsteren Zukunftsaussichten für Jugendliche, einer Arbeitslosenquote von 17 Prozent und einem niedrigen Bildungsniveau.
„Sympathisch kommt sie rüber, immer ein Lächeln im Gesicht“, sagt auch Putzfrau Martine, die heute ein kleines Schwarzes trägt und Häppchen für die angereisten Gäste aus Paris vorbereitet hat. Jung und schön. Auf diese Formel wird Najat Vallaud-Belkacem häufig reduziert. Und die Zuschreibung wird oft gegen sie in Stellung gebracht. Ein rechtskonservativer Politiker twitterte unter einem Foto, das sie in träumerischer Pose und Minirock zeigte: „Welche Trümpfe hat Vallaud-Belkacem wohl eingesetzt, damit ihr François Hollande das Ministerium anvertraute?“ Selbst in der eigenen Partei wird angeblich gespottet, dass der Präsident die optischen Vorzüge seines jüngsten Kabinettsmitglieds zu schätzen wisse, er habe ja einen Sinn für schöne Frauen.
ABC der Gleichheit
„NVB“ haben die Medien die 37-Jährige getauft, Namen von öffentlichen Personen werden in Frankreich gern zu Buchstabenfolgen verkürzt. Seit knapp drei Monaten ist sie Frankreichs Bildungsministerin. Als erste Frau in einem Amt mit hoher Symbolkraft für das republikanische Frankreich. Schulen und Universitäten sollen traditionell den Geist der Revolution mit liberté, égalité und fraternité weitertragen. In den Schulen, betont auch Premierminister Valls mit einer Portion Pathos in Lens, entscheide sich die Zukunft Frankreichs. Auf ihnen ruhe die Hoffnung auf bessere Zeiten in einem durch die Krise zutiefst verunsicherten Land.
NVB ist ebenfalls Hoffnungsträgerin – für die Sozialisten und zurzeit vor allem für die nunmehr dritte Regierung unter dem gebeutelten, unbeliebten Präsidenten François Hollande. Sie ist eine Repräsentantin einer neuen Generation der weiblichen politischen Elite. 2007 betrat sie als Sprecherin von Ségolène Royal im Präsidentschaftswahlkampf die ganz große Bühne, nach ersten Ämtern auf kommunaler und regionaler Ebene. Später kämpfte die gelernte Juristin an der Seite Hollandes um den Einzug in den Élysée und wurde dafür nach dem Sieg belohnt. Mit 34 wurde sie zur Ministerin für Frauenrechte ernannt.
Heute gelten sie und ihr Mann Boris Vallaud, stellvertretender Generalsekretär des Élysée-Palasts, als das faszinierendste Paar der französischen Politik. Die beiden sind Eltern sechsjähriger Zwillinge und verkörpern nahezu alle zivilisatorischen Errungenschaften, auf die die Republik stolz ist: gelungene Integration, denn Belkacem stammt ursprünglich aus Marokko, kam mit vier Jahren nach Frankreich und steht zu ihren muslimischen Wurzeln. Dazu Kinder und Karriere zugleich sowie ein Auftreten, das ganz bewusst etwas Glamour in die Politik bringt. Erst im Oktober ließ sich Vallaud-Belkacem vom Starfotografen Jean-François Robert für das Frauenmagazin Elle im Jeanskleid ablichten.
Sie sagt aber auch: „Ich habe nie mein persönliches Leben zur Schau gestellt, und ich erwarte, dass man das respektiert.“ Trotzdem ist sie zur Zielscheibe des konservativen Frankreichs geworden. Nicht nur wegen ihrer Biografie, sondern auch wegen ihrer Politik.
Mit dem Projekt „ABC der Gleichheit“ zog sie den Hass traditioneller katholischer, aber auch muslimischer Eltern auf sich, für die das Thema sexuelle Identität im Schulunterricht ein Tabu darstellt. Die Kritiker haben Angst vor einer Indoktrination ihrer Kinder durch die théorie du genre, also den Einzug von Genderstudies an den Schulen. Damit würden die natürlichen, gottgewollten Unterschiede zwischen Frau und Mann geleugnet, stattdessen wolle man alles gleichmachen.
Die aufgeregte Debatte führte zu den absurdesten Behauptungen, etwa jener, es werde nun in Zukunft Masturbation an Frankreichs Schulen gelehrt. Für konservative Kreise war die Ernennung NVBs zur Bildungsministerin deshalb ein Schlag ins Gesicht. Schnell wurde die energische Fürsprecherin der Homoehe und Unterstützerin der LGBT-Bewegung zum Objekt teils rassistischer Angriffe. In rechtspopulistischen Publikationen wurde sie als Ayatollah verhöhnt, in sozialen Netzwerken wegen ihrer marokkanischen Wurzeln wüst beschimpft. Bislang reagierte sie gelassen und humorvoll. Den Traditionalisten diene wohl sogar ihr burschikoser Haarschnitt als Beweis, dass sie Mädchen zu Jungen umerziehen wolle, konterte sie.
Ihr Gesetz zur Erweiterung des Abtreibungsrechts, das sie als Frauenministerin auf den Weg brachte und das seit August in Kraft ist, sieht unter anderem die Übernahme der Kosten für diesen Eingriff durch die Krankenkassen vor. Abtreibung sei nun ein Grundrecht, nicht mehr nur eine unter bestimmten Umständen tolerierte Maßnahme, erklärte sie.
Nicht kämpfen – siegen
Zudem wurde sie mit ihrem Kampf gegen Prostitution bekannt. Energisch warb sie als Frauenministerin für ein Gesetz, das es erlaubt, Freier strafrechtlich zu verfolgen. 1.500 Euro sollen diese zahlen, wenn sie die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen. Ein Vorschlag, der von Prostituiertenverbänden scharf kritisiert wurde. Es gehe ihr um jene Frauen, die in die Prostitution geprügelt würden und sich nicht trauten, offen zu sprechen, antwortete Vallaud-Belkacem. „Ich war enorm bewegt von den Frauen, die diesem Geschäft entkommen sind und die mir ihre Geschichten erzählt haben.“
Nachdem die Nationalversammlung im Dezember 2013 dem Gesetz zugestimmt hatte, lehnte eine Kommission des Senats es im Juli dieses Jahres ab. Seitdem wird weiter um den genauen Gesetzestext gerungen. Vallaud-Belkacem sieht aber auch jetzt im Bildungsministerium Platz für ihr Engagement um Geschlechtergerechtigkeit: „Stereotypen setzen sich sehr, sehr früh fest, und die Schule kann entweder dazu beitragen, dass sie abnehmen oder aber, wenn man nicht aufpasst, sich weiter ausprägen.“ Wie ihr Kampf gegen Geschlechterstereotype mit ihrer gezielten Selbstinszenierung und den klassischen Fotoshoots für Modemagazine vereinbar ist, erklärt Najat Vallaud-Belkacem allerdings nicht.
Einigkeit herrscht aber am Runden Tisch in Lens, aufgebaut in der Schulbibliothek. Hier nehmen mittags die Delegation und die Journalisten Platz. Alle sind sich einig, dass den 140.000 Schulabbrechern pro Jahr eine zweite Chance eingeräumt werden soll, dass sie Bezugspersonen an den Schulen brauchen, dass die Eltern stärker mit einbezogen werden müssen. „Zur Erziehung eines Kinds braucht man ein ganzes Dorf“, laute ihr liebstes afrikanisches Sprichwort, sagt NVB lächelnd bei der Pressekonferenz. Während der Ansprache von Valls kontrolliert sie ein paarmal in Sekundenschnelle die Falten ihrer Bluse. Sie ist sichtlich bemüht, aufmerksam zuzuhören und nicht abwesend zu wirken.
Nur die Journalisten wollen einfach keine Fragen zum Thema Schulabbrecher stellen. Stattdessen geht es wieder um die neuesten Paparazzifotos des Präsidenten und seiner Geliebten. „Kein Kommentar, kein Kommentar.“ Die Delegation verabschiedet sich. Einem bekehrten Schulschwänzer wird noch ein Selfie neben Valls und NVB gewährt. Putzfrau Martine hat aber umsonst gewartet. Für Häppchen bleibt den Gästen aus Paris keine Zeit.
Die Techniker vom Regionalfernsehen rollen ihre Kabel zusammen und freuen sich über die schönen Bilder vom Besuch. Die lächelnde Perfektionistin hat keinen Fehler gemacht bei diesem Termin. Nur ein einziges Mal hat sie sich doch verbessert. Auf der Pressemappe ihres Ministeriums zum Plan gegen Schulabbrecher müsse das korrekte Verb vaincre lauten. Jemand hätte da fälschlicherweise lutter geschrieben. Es müsse aber „besiegen“ heißen, nicht „bekämpfen“, betont Najat Vallaud-Belkacem. Die Möglichkeit des Scheiterns kommt bei ihr nicht vor.
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