Drei Farben: Marine-blau

Frankreich Bei der ersten Runde der Kommunalwahlen feiert der rechtsextreme Front National landesweit Erfolge. Die Regierung ruft dazu auf, Frankreichs Rathäuser zu verteidigen

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Hat gut lachen: Marine Le Pen
Hat gut lachen: Marine Le Pen

Foto: VALERY HACHE/AFP/Getty Images

Schön, was die Technik heute möglich macht. Den ganzen Wahlsonntag lang warben französische Medien mit "interaktiven Karten" um Leser im Netz: "Verfolgen sie ab 20h live die Ergebnisse in ihrer Kommune!" Das erinnerte ein bisschen an ein Commodore 64-Spiel. Anklicken von zunächst weißen, schwarzumrandeten Feldchen auf der Landkarte, bis nach und nach Farben und Buchstaben und viele viele Zahlen auftauchten. Wobei man schon ein ziemlicher Nerd sein musste, um sich stundenlang durch die Ergebnisse von 36 700 Städten und Gemeinden zu klicken und außerdem fehlte der Joystick. Auf den Wahllisten standen landesweit nicht weniger als 926 068 Kandidaten, im Kampf um die Hohheit über die "Hôtels de ville", die französischen Rathäuser.

Anschaulicher wäre es wohl gewesen, wenn kleine rote Kandidaten-Lemminge in einen (marine-)blauen Abgrund gefallen wären. Aber so wurde es eine "nuit blanche", französisch für eine schlaflose Nacht, mit unfreiwilligem Matheunterricht. Und die gestrige geriet zu einem traurigen Farbenspiel.

Beginnen wir mit der Farbe "weiß". Wer einen "vote blanc", eine "weiße Stimme" abgibt, schmeißt einfach einen leeren Stimmzettel in die Urne. So was kommt bei Kommunalwahlen recht häufig vor. Schließlich kennt hier jeder jeden und so schaut man beim sonntäglichen Spaziergang dann doch mal beim Wahlbüro vorbei und sagt "Bonjour, ça va?", auch wenn man auf Wählen gar keine Lust hat. An diesem 23. März mochten viele Franzosen aber einfach überhaupt nicht in die Wahlkabine: Fast 40% der Stimmberechtigten enthielten sich und so verzeichnete Frankreich die geringste Beteiligung an Kommunalwahlen seit 1959. 40% der Franzosen, gänzlich farblos.

Das Prinzip Hoffnung

Einen Prototyp dieses Urnengangs hätte man im Vorfeld wohl so beschrieben: Politikverdrossenheit ergo geringe Wahlbeteiligung. Hohe Arbeitslosigkeit und Pessimismus ergo Abstrafung für die regierenden Sozialisten und Zuwachs für die konservative Opposition plus deutlicher Rechtsruck.

Zugegeben, jeder Prototyp hat seinen technischen Tücken und Widersprüche. So hatte eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos ergeben, dass nur ein Drittel der Befragten mit ihrer Stimme am Sonntag die rote Regierung Hollande abstrafen wolle. An diesen vagen Hoffnungsschimmer klammerten sich die Sozialisten und fielen doch am Ende mit 38% hinter der Oppositionspartei UMP zurück (47%).

Ihres Zeichens stapften die konservativen UMPler bis zuletzt im Affären-Morast, nachdem bekannt wurde, dass ihr ehemaliger Vorsitzender, Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, monatelang von der französischen Justiz abgehört worden war. Am letzten Freitag, zwei Tage vor dem ersten Wahlgang, wendete sich der Belauschte in der konservativen Tageszeitung "Le Figaro" an die Franzosen und verglich derartige Untersuchungsmethoden mit der Stasi. Doch auch die Regierung, insbesondere Justizministerin Taubira, hatte zuvor große Mühe, ihre eigene zweifelhafte Rolle in der Abhöraffäre glaubwürdig zu erklären.

Blondes Donnergrollen

Im Schatten solcher Scharmützel der etablierten Parteien hatte Marine Le Pen in den letzten Monaten (vielerorts jungen) FN-Nachwuchs aus dem Hut gezaubert. Bislang war ihre Partei auf lokaler Ebene in den meisten französischen Gemeinden aus Mangel an Mitgliedern gar nicht vertreten. Doch dieses Mal stellten sich in rund einem Drittel des Landes FN-Kandidaten zur Wahl. Einer von ihnen, Steeve Briois, ist schon heute neuer Bürgermeister von Hénin-Beaumont (Nord-Pas-de-Calais). In Perpignan, Avignon, Forbach, Mante-la-Ville und einigen anderen Städten landeten die extrem Rechten an der Spitze und damit in der zweiten Wahlrunde.

Für Marine Le Pen ist an diesem 23. März eine neue Ära angebrochen. Sie feiert das Ende der politischen Zweiteilung des Landes und das Erstarken des "Marine-blauen Frankreichs". Ihre Botschaft lautet: der FN wird sich als drittgrößte Volkspartei dauerhaft etablieren, nicht nur auf nationaler Ebene, auch auf lokaler Ebene. Die Partei wird über die Geschicke des Landes ganz handfest mitbestimmen können. Le Pen weiß, der Imagewandel des Front ist ihr ganz persönlicher "Verdienst". Seit sie 2011 die Nachfolge ihres Vater Jean-Marie Le Pen angetreten hat, ist die Partei für viele Franzosen "wählbarer" geworden. Nun wird ihr das historische Abschneiden weiteren Auftrieb geben. Nicht nur in 7 Tagen, sondern auch bei den Europawahlen im Mai.

Kurz nach den ersten Hochrechnungen appellierte Regierungschef Jean-Marc Ayrault bereits an die Verantwortung "aller demokratischen und republikanischen Kräfte", um die Eroberung der Rathäuser durch die Ultrarechten zu verhindern. Ob der Sinneswandel wirkt? Am nächsten Sonntag geht die Neuordnung der politischen Landkarte weiter. Schade, dass es nicht nur ein Computerspiel ist.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Romy Straßenburg

Lebt als freie Journalistin in Paris. Ihr Buch "Adieu Liberté - Wie mein Frankreich verschwand" ist im Ullstein-Verlag erschienen.

Romy Straßenburg

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