Ein anderer Schliff

Wende Diam’s war Frankreichs größter Hip-Hop-Star. Als sie zum Islam konvertierte, griffen sie viele Frauen an. In ihrer Autobiografie verteidigt sie sich
Seit Diam's Kopftuch trägt, können sich Fans nicht mehr mit ihr identifizieren
Seit Diam's Kopftuch trägt, können sich Fans nicht mehr mit ihr identifizieren

Foto: Fayez Nureldine/AFP/Getty Images

Ein Rückblick auf das eigene Leben mit 32? Das spricht entweder für eine sehr exzentrische Persönlichkeit oder ein rastloses Dasein. Bei Diam’s, mit bürgerlichem Namen Mélanie Georgiades, trifft wohl beides zu. Aus der Pariser Banlieue rappte sie sich 2002 mit ihrem Album Brut de femme an die Spitze der französischen Charts.

Sie wurde zur Identifikationsfigur junger Franzosen und zur Stimme der frustrierten Jugend in den grauen Vorstädten. 2006 war ihr Album Dans ma bulle das meistverkaufte Frankreichs, MTV ehrte sie als beste französische Künstlerin. Doch dann folgte der Absturz. Von Depressionen geplagt landete sie nach einem Selbstmordversuch in der Psychiatrie.

Vom Rap zu Allah

Kurze Zeit später wurde Diam’s von Paparazzi, bis auf einen Augenschlitz völlig verschleiert, vor einer Moschee abgelichtet. Sie war zum Islam konvertiert. "Vom Rap zu Allah" titelten die Zeitungen – es klang irritiert, teils enttäuscht, teils empört. Wie war aus der selbstbewussten, angriffslustigen Vorstadt-Göre eine fromme Muslimin geworden? Und wieso sprach sie von innerem Frieden und Befreiung, versteckte sich gleichzeitig aber unter einem Kopftuch? Die Republik rieb sich die Augen, Frauenrechtlerinnen witterten Verrat. So wollten sie das mit der Wahlfreiheit für Frauen nicht verstanden wissen.

In diesem Herbst gab Diam’s pünktlich zum Erscheinen ihrer Autobiografie nun das erste Fernsehinterview seit vier Jahren. Fast sechs Millionen Zuschauer hörten ihre Botschaft: Heute heißt sie wieder Mélanie – und sie sagt, sie sei eine glückliche Mutter und Muslimin mit Kopftuch. Mit den Dämonen ihrer Vergangenheit habe sie sich versöhnt. Jene Dämonen, die sie oft in ihren Reimen beschworen hatte.

Der Filmproduzent Patrick Hernandez drehte 2003 mit Diam’s den Clip zum Ohrwurm "DJ". Er erinnert sich heute an Diam’s als eine Frau, die sich nichts gefallen ließ. Ihre erste Begegnung beschreibt er so: "Als ich zu unserer Verabredung kam, gab es auf der Straße ein großes Geschrei. Ich sah nur den Rücken einer Frau, die wie wild auf einen Taxifahrer losging und ihn beschimpfte. Das war Diam’s."

"DJ" wurde zum größten Hit ihres zweiten Albums. In ihrer Autobiografie schaut sie selbst heute kritisch auf die Zeit ihres großen Erfolgs zurück: "Ich musste wie eine Maschine funktionieren, ein Auge auf alles haben. Leider bin ich in der Arbeit auch zu einem Tyrannen geworden, mit hohen Ansprüchen gegenüber mir selbst und anderen."

Sie ließ sich nichts gefallen

Im Buch beschreibt sie ihren harten Weg an die Spitze. Die ersten drei Lebensjahre verbrachte die Halbfranzösin auf Zypern, der Heimat ihres Vaters. Dann zog sie mit der Mutter in die Pariser Vorstadt. Kurz vor dem Abitur schmiss sie die Schule, um sich der Musik zu widmen. Durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Rap-Gruppen machte sie sich in der französischen Hip-Hop-Szene einen Namen – auf der Bühne stets energiegeladen und aggressiv, im Studio mit Feingefühl für ausgeklügelte Arrangements aus Pianoklängen und eingängigen Beats.

Zu ihren Markenzeichen gehörten ratzekurz geschnittene Haare. Sie pflegte einen Glamour-Sportlook, bewies, dass Jogginganzüge und Baseball-Caps auch bei Frauen cool aussehen können. Lässig und sexy, ohne Modelmaße zu haben. „Big Up meine Schwester, du bist ’ne Bombe, ’ne Rakete“, ermunterte sie die Mädchen. Viele sahen in ihr eine französische Missy Elliott, musikalisch und modisch. Diam’s nannte sie sich, weil ein Diamant so rein und zugleich so hart ist.

Auch für politische Botschaften nutzte sie ihre rauchige Stimme damals. Heftig kritisierte sie die Ignoranz der bürgerlichen Rechten gegenüber Einwanderern. Ihr Song „Ma France à moi“ war eine Liebeserklärung an „ihr Frankreich“, das Regeln hasst, aufrichtig ist und voller Wut. An der Seite von Ségolène Royal wetterte sie im Wahlkampf 2007 gegen „Sarko le démago“ und gegen Marine Le Pen, die neue Führungsfigur der rechtsextremen Front National.

Keiner ahnte zu diesem Zeitpunkt, wie sehr der Erfolg der jungen Frau zu schaffen machte. Vor immer mehr Auftritten griff sie zu Psychopharmaka, ließ sich in einer Privatklinik behandeln, wo man eine manisch-depressive Erkrankung feststellte. Sie pausierte ein Jahr und kehrte 2009 auf die Bühne zurück. Statt des markanten Jungenhaarschnitts trug sie nun Mützen oder Tücher auf dem Kopf.

Und ihre Texte hatten ungewohnte Botschaften: „Dank Gott bin ich geheilt, sehe wieder klar. Ich bin untergegangen, habe gebetet und wieder zum Schreiben gefunden.“ Der Glaube habe sie dazu gebracht, ihr Talent von nun an „in den Dienst des Guten“ zu stellen.

In Frankreich sorgt die Debatte über verschleierte Frauen seit Jahren für enorme Spannungen zwischen Muslimen und Anhängern des laizistischen Prinzips, demnach Religion Privatangelegenheit ist und in der Öffentlichkeit nicht zur Schau gestellt werden darf. Seit 2011 wird das Tragen der Burka mit einer Geldstrafe geahndet. Diam’s will ihr Kopftuch nicht als Statement in dieser Debatte verstanden wissen, sondern als persönliches Glaubensbekenntnis. Sie möchte von Muslimen auch nicht als nachahmenswertes Vorbild präsentiert werden, sagt sie.

Eine Gefahr für Mädchen?

Trotzdem glauben viele Kritikerinnen, dass sie für leicht beeinflussbare junge Mädchen eine Gefahr sein könne, wenn sie das Kopftuch als ein Mehr an Freiheit ausgibt. Fadela Amara, ehemalige Vorsitzende des Vereins „Ni putes, ni soumises“ (Weder Huren noch Untergebene), später Staatssekretärin für Stadtentwicklung, sieht in Diam’s eine Frau, "die nicht mit ihrem Erfolg umgehen konnte" und die heute "eine Gefahr darstellt". Die linke Frauenrechtlerin Safia Lebdi befand, dass Diam’s für "Unterwürfigkeit und das Eingesperrtsein der Frau" stehe.

Nach den zahlreichen heftigen Angriffen tauchte Diam’s unter und blieb verschwunden, bis sie sich mit ihrer Autobiografie und dem Fernsehinterview wieder zu Wort meldete. Mittlerweile wird sie gegen ihren Willen allerdings auch zur vorbildlichen muslimischen Frau stilisiert. Die islamische Newsseite AJIB.fr bedankte sich bei "unserer Schwester Mélanie". "Sie schließt das Kapitel als Musikerin. Als Mutter der kleinen Maryam öffnet sich ihr ein neuer Horizont." Die alte Diam’s hätten diese Rollenklischees wütend gemacht.

Schwester Mélanie glaubt heute – anders als 2009 – selbst, dass ihre Religiosität mit dem Rappen nicht mehr vereinbar sei: "Ich habe meinen Frieden gefunden. Meine Reime schrieb ich aus einer Wut heraus, heute habe ich keine Wut mehr in mir. (...) Mein Herz ist geheilt, heute weiß ich, warum ich auf der Welt bin." Das mag nicht jedem gefallen, aber es ist doch: ihre freie Entscheidung.

Romy Straßenburg schrieb für den Freitag zuletzt über gestrandete afrikanische Fußballer in Paris, die auf eine Profi-Karriere hoffen.

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Geschrieben von

Romy Straßenburg

Lebt als freie Journalistin in Paris. Ihr Buch "Adieu Liberté - Wie mein Frankreich verschwand" ist im Ullstein-Verlag erschienen.

Romy Straßenburg

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