„Paris Plages“, das bedeutet jeden August Tonnen von Sand, Liegestühle, Food-Trucks, Musik und Sport für daheimgebliebene Pariser oder Touristen: ein Stadtstrand mit mediterranem Flair zu Füßen von Notre-Dame. Ein ausgelassenes Kulturfest hätte es werden sollen, doch in diesem Jahr sorgte das Ereignis schon im Vorfeld für Zündstoff: Die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo hatte für einen Tag das Motto „Tel Aviv an der Seine“ ausgerufen. Auf einem Abschnitt von 300 Metern waren vor allem kulinarische Präsentationen und Elektroklänge aus der hippen israelischen Hafenstadt geplant. Zu Gast bei Freunden. Mais non.
Gegen eine solche Tel-Aviv-Beachparty, ein Jahr nach der israelischen Intervention im Gazastreifen, wehrten sich vor allem Frankreichs Muslime und antizionistische Stimmen. Mehr als 20.000 Unterzeichner einer Onlinepetition, initiiert von propalästinensischen Vereinen, forderten die Absage des Fests. Auch linke Politiker bezeichneten es als Provokation – in Gaza waren vor einem Jahr mehr als 2.200 palästinensische Zivilisten getötet worden. Die Abgeordnete Danielle Simonnet von der Parti de gauche (PG) kritisierte die Veranstaltung als „Zynismus und Schamlosigkeit“ angesichts der israelischen Siedlungspolitik. So verlor ein Strand seine Unschuld, und der Nahostkonflikt kam an die Seine.
Gegenmodell Gaza
Die Bürgermeisterin verteidigte in der Zeitung Le Monde ihre Einladung und verwies auf die Weltoffenheit Tel Avivs. Eine Absage des Fests schloss sie aus. Da hatten proisraelische Verbände schon ihrerseits für das Fest mobilgemacht. Vor diesem Hintergrund geriet „Tel Aviv an der Seine“ zu einer grotesken Mischung aus Beachparty, politischer Demonstration und akribischer Sicherheitskontrolle. Ein paar Dutzend Menschen, junge Leute und viele Frauen, eröffneten nebenan einen „Gaza-Strand“, an den paar Ständen wehten Palästinenserflaggen. Oder Fotos von getöteten palästinensischen Kindern, Spruchbänder mit Aufschriften wie „Free Palestine“, „Boycott Israel“ oder „Apartheid sur Seine“.
In Frankreich lebt die größte jüdische Gemeinde Europas, aber eben auch eine große muslimische. Das schürt Konflikte im Zusammenleben, und diese werden immer gnadenloser ausgetragen. Die jüngste Polemik führte einmal mehr dazu, jenseits der realen, räumlichen Grenzen tiefe Gräben aufzutun zwischen Palästinensern und Israelis. Und der Strand ist dort auch ein politisches Symbol. Es sind Strände, die Tel Aviv und Gaza-Stadt trennen, und dazwischen liegen Grenzanlagen, Verzweiflung und Elend. Der bis auf einige Kilometer eingeschränkte Zugang zum Strand im Gaza-Streifen steht für fehlende Freiheit. Und auch an den Ufern der Seine traf man nicht zusammen. Nur aufeinander.
Es war im vergangenen Jahr rund um die Metro-Station Barbès, eine Einwanderergegend, und im Pariser Vorort Sarcelles zu Ausschreitungen gekommen. Im Zuge pro-palästinensischer Demonstrationen brannten Autos und Mülltonnen. Schaufenster gingen zu Bruch, und Vermummte riefen: „Tod den Juden!“ Damals kommentierte Roger Cukierman, Präsident des Dachverbands jüdischer Vereinigungen in Frankreich (Crif): „Wir sind knapp einem Pogrom entgangen.“ Seitdem verließen Tausende Juden das Land in Richtung Israel. Jüdische Franzosen, die hierbleiben, aber ohne Angst leben wollen, nutzten das Strandfest als Ort, an dem sie sich harmlos begegnen können. Gerade junge Israelis fühlen sich in Tel Aviv wohler als in Jerusalem. Wer sonst zur Party kommt, möchte gegen Antisemitismus eintreten.
In den Banlieues
Am zunehmenden communautarisme, der Abschottung einzelner Bevölkerungs- und Religionsgruppen, konnte auch die recht kurze Welle der Solidarität nach den Attentaten auf das Satiremagazin Charlie Hebdo nichts ändern. In der vermeintlich unteilbaren Republik ist dieseExklusion gerade bei den jungen Generationen stärker ausgeprägt als bei den älteren. Besonders junge Muslime fühlen sich aus der französischen Gesellschaft ausgegrenzt. Schaut man auf die Banlieues, auf Arbeits- und Perspektivlosigkeit, kann man dieses Gefühl verstehen. Die enorme Identifikation mit den Palästinensern im Gazastreifen erklärt sich bei französischen Muslimen auch durch die eigene Lage.
„Ich schäme mich dafür, dass die Stadt der Lichter ein Land feiert, das Menschen massakriert“, beklagt etwa Karima, eine propalästinensische Demonstrantin, die an den Gaza-Strand möchte. Sie öffnet ihre Jacke und zeigt stolz die Zeilen, die auf ihr T-Shirt gedruckt sind: Nous sommes tous des Palestiniens – Wir sind alle Palästinenser (eine Abwandlung der Solidaritätsbekundungen Nous sommes tous Charlie für die Opfer des Terroranschlags vom Januar dieses Jahres).
Eine andere Frau, die vor dem Eingang zum Fest in der Schlange steht, geht auf sie los: „Verdammte Antisemitin!“, ruft sie, doch die massiv installierten Ordnungskräfte gehen sofort dazwischen. Wegen der intensiven Taschenkontrollen bilden sich lange Warteschlangen. Penibel überwachen die Beamten die räumliche Trennung von Tel-Aviv- und Gaza-Strand. Journalisten mit Presseausweis dürfen „auf die andere Seite rübermachen“, wie einer das nennt. Man kommt sich fast vor, als stünde man im Westjordanland an einem Checkpoint.
Als die ersten Regenschauer einsetzen, werden eilig Fahnen eingerollt – blauer Davidstern hier, das rote Dreieck auf Schwarz-Grün-Weiß dort. In ihrer Presseerklärung zum Fest verkündet Bürgermeisterin Anne Hidalgo noch am gleichen Abend: „Durch den Rekord-Andrang kam es zu Warteschlangen von mehreren hundert Personen.“ Hidalgo verkauft es als Erfolg, es sei zu keinerlei Vorfällen mit den Gegnern der Veranstaltung gekommen. Die Pariser hätten gezeigt, dass sie fähig seien, respektvoll miteinander umzugehen. Zu den 500 eingesetzten Polizisten sagt sie kein Wort.
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