Macrons Wiederwahl: Kloß im Hals, Stein im Bauch, Faust in der Tasche

Kulturkommentar Bei einem Sieg von Marine Le Pen hätte unsere Autorin Frankreich wohl verlassen. Jetzt atmet sie auf – und sah der Siegesfeier der Macron-Anhänger trotzdem mit Ekel zu
Ausgabe 17/2022
Der wiedergewählte Präsident Emmanuel Macron lässt sich in Paris feiern
Der wiedergewählte Präsident Emmanuel Macron lässt sich in Paris feiern

Foto: Ludovic Marin/AFP/Getty Images

Puhhh. Aufatmen! Seit Sonntagabend ist klar: Mir droht doch kein so baldiger Umzug oder besser: Rückzug aus Frankreich gen Deutschland. Am Ende ist Marine Le Pen auch dieses Mal nicht französische Präsidentin geworden und damit bleibt uns vorerst ein Brexit- oder Trump-Szenario erspart, und mir persönlich das Kistenpacken.

Denn ganz ehrlich: Hätten Sie Lust, in einem Land zu leben, in dem eine Rechtsextreme das Sagen hat? Ihres Zeichens originally aus dem Hause Le Pen, wo der olle Senior Jean-Marie sagte, dass die Gaskammern nur ein Detail der Geschichte seien. Marine kann noch so oft ihre Katzen in Instagram-Posts streicheln: Sie bleibt eine rechtspopulistische Hetzerin, die das Seelenheil der Nation in einem Rückzug auf sich selbst und in der Abschottung nach außen sieht.

Für einen selbst bleibt ein Déjà-vu-Gefühl. Hat man das alles nicht schon mal gefühlt, gedacht und geschrieben? Vor fünf Jahren, als sich Le Pen und Macron schon mal in der Stichwahl gegenüberstanden. Dieses Mal gab es zwar leichte Nervosität am Wahlsonntag, aber ansonsten das Credo: „Wird schon (wieder) schiefgehen!“ So kam es ja auch. Ich schaute im Fernsehen dann irgendwie angeekelt den feiernden, tanzenden Macron-Anhängern zu und rieb mir die Augen. Wie kann sich das wie ein Sieg anfühlen und wieso wird nur en passant erwähnt, wem man diesen Sieg zu verdanken hat? All jenen nämlich, die sich trotz ihres Hasses auf diesen Präsidenten an die Urnen begaben, um für ihn zu stimmen.

Aus Angst für Macron gestimmt

Für viele Linke ist das ein herber Verrat an sich selbst. Da hat man fünf Jahre lang auf allen möglichen Demos skandiert, dass Macron das Aller-Allerletzte ist, dass er den Sozialstaat beschneidet, die Reichen bevorteilt, die Demokratie mit Füßen tritt und die Polizei auf immer repressiver trimmt. Und dann ist man doch mit Kloß im Hals und Stein im Bauch zum Kreuzchen machen gegangen. Dass Macron als Inkarnation des elitären, vertikalen Systems gilt, durch das sich längst viele nicht mehr repräsentiert, schlimmer noch, verhöhnt und abgehängt fühlen, war den feiernden Macron-Anhängern offenbar schnuppe. „Zwischen Kapitalismus und Faschismus wähle ich den Kapitalismus, weil ich schwarz bin“, hat eine junge Frau in ein Fernsehmikro gesagt. Andere Linke dachten, dass unter Le Pen die Polizei noch härter vorgehen würde, und stimmten aus dieser Angst heraus für Macron. Diese Wähler aber werden in den kommenden Wochen und Monaten wieder auf die Straße gehen. Sie werden Macrons Politik bekämpfen und dabei die Internationale singen.

Ich stelle mir vor, wie schizophren es sich anfühlen muss, gegen jenen Präsidenten zu demonstrieren, den man selbst gewählt hat. Keine gute Basis, um vertrauensvoll in die Zukunft zu blicken. Viele Beobachter glauben, dass es 2027 klappen könnte für die Le-Pen-Partei. Wenn ich die letzten Jahre in Frankreich mit Adieu liberté überschrieben habe, dann könnten die kommenden Jahre unter Macron auch noch „Adieu fraternité et égalité“ bedeuten. Es sei denn, bei den Parlamentswahlen im Juni kommt es zu einer Wiedergeburt der Linken, die sich bemüht, Gleichheit und Brüderlichkeit vor noch mehr neoliberaler Politik zu schützen. Dann würde ich die Kisten vielleicht wieder hinten im Keller verstauen und un tout petit peu aufatmen.

Romy Straßenburg lebt seit 15 Jahren in Paris. 2019 erschien ihr Buch Adieu liberté – Wie mein Frankreich verschwand

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Geschrieben von

Romy Straßenburg

Lebt als freie Journalistin in Paris. Ihr Buch "Adieu Liberté - Wie mein Frankreich verschwand" ist im Ullstein-Verlag erschienen.

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