Pyjama-Paranoia

Kunst Die Verhüllung des Triumphbogens nach Plänen von Jeanne-Claude und Christo ruft in Paris die reaktionäre Presse auf den Plan. Sie wittert einen Angriff auf den Staat
Ausgabe 38/2021

Für ’ne Berlinerin, die sich noch vage daran erinnern kann, wie sie als Kind 1995 vor dem verhüllten Reichstag stand und stolz eines der kleinen quadratischen Stoffstückchen mit nach Hause nehmen durfte, fühlt es sich 26 Jahre später an wie ein Déjà-vu: Am unteren Ende der Champs-Élysées, aus einer Entfernung von knapp zwei Kilometern, sieht alles noch recht normal aus, die Silhouette des Triumphbogens scheint etwas kantiger als sonst, fast wie für einen Comic gezeichnet. Ansonsten ist er grau wie eh und je, und aus den zwölf hier eintreffenden Avenuen wurschteln sich die Autos in den sympathisch-chaotischen Kreisverkehr ohne Spurmarkierung, eben le bordel, ein heilloses Durcheinander.

Doch je näher man kommt, umso deutlicher sind die Falten in diesem überdimensionalen Stoffgewand zu sehen, umso verwunderter schaut man auf die zahlreichen roten Seile, durch die sich der Stoff ans Bauwerk schmiegt. Wie auf Kommando seilen sich in diesem Moment vier Kletterer wie in einer Synchron-Choreografie ab, um die letzten Feinheiten am Kunstwerk zu richten. Tja, und dann verfliegt sie doch, die Blasiertheit der Berliner Göre, die einen langen Moment staunend vor dem Stoffklotz steht.

De Gaulle hätte geschluckt

Erdacht hat ihn das Künstlerpaar Jeanne-Claude und Christo, das über Jahrzehnte hinweg auf der ganzen Welt Kunst im öffentlichen Raum schuf, mit einer Vorliebe zum XXL-Format. In Paris nun ist es Christos Neffe, Vladimir Javacheff, der als Projektleiter den lang gehegten Traum des im vergangenen Jahr verstorbenen Onkels zu Ende bringt. Denn als Verhüllungsobjekt kam Christo der Triumphbogen schon vor 60 Jahren in den Sinn, als das Paar ganz in der Nähe lebte.

Damals regierte noch General Charles de Gaulle die junge V. Französische Republik, und Monsieur le Président hätte ganz sicher geschluckt, wenn er das 1836 fertiggestellte Monument, das im Auftrag Napoleons an die glorreichen Siege der französischen Truppen erinnern sollte, derart eingewickelt vorgefunden hätte. Schließlich wird hier nicht nur an den militärischen Ruhm erinnert, am Fuße des Bogens liegt auch das Grab des unbekannten Soldaten, in dem 1920 die Überreste eines französischen Kombattanten beigesetzt wurden, der bei der Schlacht von Verdun ums Leben gekommen war.

Es ist also nicht übertrieben, zu sagen, dass dieser Ort ideologisch und politisch aufgeladen ist. Er liegt, wie eine Reihe anderer patriotischer Feierorte, darunter das Hôtel des Invalides mit dem Grab Napoleons, im Westen der Stadt. Deswegen hat der Historiker Maurice Agulhon recht, wenn er für Paris von einer „moralischen Geografie“ spricht, denn im Gegensatz zu den militärischen befinden sich „die Denkmäler, die der Linken am Herzen liegen, die also dem Kult der Revolution von 1789 und der daraus hervorgegangenen Republik gewidmet sind, alle in der Osthälfte von Paris“. Was die Gedenktopografie angeht, ist Paris also eine gespaltene Stadt, und auch sozial war es lange Zeit so, dass das „einfache Volk“ im Osten der Stadt lebte und (hart) arbeitete, während das konservative Bürgertum auf den großen Avenuen im Westen promenierte. Gerade dort entlud sich während der Gelbwestenproteste im Herbst 2018 die Wut der Protestierenden auf die herrschende Elite, was auch das Bauwerk, Symbol der Macht, zu spüren bekam, und als der Triumphbogen dann wegen des Tränengases der Polizisten völlig hinter Rauchschwaden verschwand, hatte das Ganze durchaus einen Hauch von Bürgerkrieg.

In diesen Tagen schließlich wird im bürgerlich-konservativen Westen der Stadt zeitgenössische Kunst im öffentlichen Raum zelebriert. Kein Wunder also, dass die Verhüllung bei manchen Kopfschütteln bis hin zu Entsetzen auslöst. Das rechts-konservative Magazin Causeur spricht von einer kulturellen Hegemonie der Linken, von Cancel Culture und beklagt: „… dieser Triumphbogen im Pyjama lädt die Franzosen ein, es ihren Repräsentanten gleichzutun, die schon seit 40 Jahren vor der Debilität moderner Kunst kuschen und sich in dieser Nation ohne Orientierung in einer sternenlosen Nacht verlieren.“

Die queere Kunsthistorikerin Marion Cazaux attestiert den Journalisten eine oberflächliche Analyse aus politischen, reaktionären Motiven. „Sie kritisieren die Tatsache, dass das Künstlerpärchen ein Symbol des Staates einwickelt, versteckt, verhüllt, und sehen darin einen Angriff auf den Staat. Sie verlieren kein Wort darüber, dass die Farben des Stoffes und der Seile die Trikolore aufgreifen (...). Es ist eine direkte Ablehnung aller künstlerischen Formen, die man als Avantgarde, als provokant und außergewöhnlich bezeichnet.“ Dabei habe das Werk von Jeanne-Claude und Christo in hervorragender Weise seine Rolle erfüllt: Es lasse niemanden gleichgültig, es rufe Emotionen und Debatten hervor.

Sicher ist, der Pariser Osten und der Westen kommen sich dank Christo in künstlerischer Hinsicht näher. Damit schließt sich – zumindest in der vagen Erinnerung der Berlinerin – ein Kreis zu dem, was 1995 für Berlin am verhüllten Reichstag passiert ist.

Info

L’Arc de Triomphe, Wrapped Christo und Jeanne-Claude Paris, noch bis 3. Oktober

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Romy Straßenburg

Lebt als freie Journalistin in Paris. Ihr Buch "Adieu Liberté - Wie mein Frankreich verschwand" ist im Ullstein-Verlag erschienen.

Romy Straßenburg

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