Tränen und Holz

Frankreich Der Brand von Notre-Dame hat das Land nicht geeint. Im Gegenteil, soziale Gräben werden sichtbarer denn je
Ausgabe 17/2019
Je suis Notre-Dame?
Je suis Notre-Dame?

Foto: Veronique de Viguerie/Getty Images

Eigentlich hat Präsident Macron am Abend des 15. April Großes vor: Er will verkünden, welche Maßnahmen seine Regierung als Ergebnis des wochenlangen Bürgerdialogs einleiten wird. Einiges – so seine Pläne zur Abschaffung der Eliteschule ENA – ist bereits nach außen gedrungen. Doch kurz nach 19 Uhr versetzt Rauch über der Seine Paris in Schockstarre. Eines der meistbesuchten Denkmäler Frankreichs wird zur Beute lodernder Flammen. Statt seine Rede zu halten, eilt Macron gleich zwei Mal zur brennenden Kathedrale und sagt mit staatstragendem Blick in die Kamera, man werde Notre-Dame wiederaufbauen.

Es klingt beinahe so, als wolle er zum großen Befreiungsschlag ausholen – als sei sein Versprechen weniger auf die Kirche als auf seine eigene Präsidentschaft gemünzt. In diesen unruhigen Zeiten sind Feuerallegorien schon lange beliebt: da schwelt es seit Jahren in den Vorstädten, die Anschläge 2015 trafen das Land wie eine Brandbombe, die politischen Eliten verkohlen seit Jahren und mit dem Aufkommen der Gelbwestenbewegung lodern die Flammen erst richtig.

Aber plötzlich, an diesem 15. April, da brennt es wirklich! Für das Ausland mag es in dieser Nacht so gewirkt haben, als rücke ganz Frankreich in einer kollektiven Betroffenheit zusammen. Mehr noch, ist die Tragödie nicht Anlass, um wieder das alte Krisenmotto zu beschwören und dieses Mal zu rufen „Je suis Notre-Dame“? Zumindest schwingt sich Macron zum Tröster und obersten Bauherren der Nation auf. Sein Fünfjahresplan trotzt allen Expertenschätzungen, aber klingt eben nach Macron: hoch ambitioniert. Selbst die Kostenfrage scheint schnell geklärt. Über Nacht regnet es Spenden der französischen Industrie: 100 Millionen hier, 200 Millionen dort. Wer bietet mehr? Dank der Familien Pinault, Arnault, Bettencourt und anderen scheint die Finanzierung der kommenden Großbaustelle ein Klacks.

Doch die spontane Großzügigkeit kommt nicht überall gut an: Jene Franzosen, die seit November in gelben Westen auf die Straße gehen, um gegen Macrons Politik zu demonstrieren, die in ihren Augen nur den Reichen zugutekommt, sind empört. Auch in den sozialen Medien sorgt der Notre-Dame-Hype für Unmut: In einem Tweet äußert sich eine Mitstreiterin des linken Studentenverbands UNEF abfällig über die Tränen für ein paar „Holzstücke“, über den „Wahn kleiner Weißer“. Der Linkspolitiker Olivier Besancenot erinnert daran, dass im Vorjahr 566 Obdachlose auf Frankreichs Straßen starben.

Betrachtet man also das ganze Bild, das Frankreich nach „Notre Drame“ (so titelte die Tageszeitung Libération) abgibt, wird man feststellen, dass der Brand dieses unruhige Land nicht geeint hat. Stattdessen werden die existierenden sozialen Gräben und kulturellen Missverständnisse noch sichtbarer.

Noch irritierender sind die Bilder von Gelbwesten-Anhängern, die vergangenes Wochenende in Anspielung auf die gestiegene Zahl von Selbstmorden unter Polizisten Letzteren entgegenriefen: „Bringt euch um!“ Kurz zuvor hatten die Pariser noch den Feuerwehrmännern für ihren Löscheinsatz applaudiert. Wer gehört hier noch zum System? Wer schützt wen und wovor? Wer wird gehasst, wer respektiert? Die französische Gesellschaft ist derzeit so fragil, dass Macron nur noch versuchen kann, was den Feuerwehrmännern in der Nacht zum 16. April zur Überraschung aller gelungen ist: in einer scheinbar aussichtslosen Lage an den richtigen Stellen zu löschen.

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Geschrieben von

Romy Straßenburg

Lebt als freie Journalistin in Paris. Ihr Buch "Adieu Liberté - Wie mein Frankreich verschwand" ist im Ullstein-Verlag erschienen.

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