Wer hat Angst vorm Front Normal?

Frankreich Das Familienunternehmen Le Pen zelebriert den Parteitag des Front National als moderne Politikgala in blau-weiß-rot. Der FN sei gereift und bereit, Frankreich zu retten

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Wer hat Angst vor Marine Le Pen? Wir!
Wer hat Angst vor Marine Le Pen? Wir!

Foto: Romy Strassenburg

Zögerlich greift manch Journalist zum Champagnerglas und den sorgfältig drapierten, erlesenen Häppchen. Nicht immer wurden Medienvertreter vom Front National so umgarnt wie an diesem Wochenende. Die seit dem Erfolg bei den Europawahlen selbst ernannte "Erste Partei Frankreichs" hat zum Kongress nach Lyon geladen. Blaue Ledermappen mit dem Aufdruck "fabrication française", gefüllt mit hochglänzenden Broschüren, werden am Eingang verteilt. Selbst ein Aufnahmeantrag für die angereisten Journalisten liegt bei, sollte man nach dem illustren Wochenende Lust bekommen haben, beizutreten.

Viele Kollegen erinnern sich noch an die Zeiten, als es ausgeschlossen war, die Rechtsextremen in Diskussionsrunden einzuladen oder ihnen durch ausführliche Berichterstattung überhaupt eine Tribüne zu bieten. Nun thront in einer Ecke des Presseraums im lichtdurchfluteten, modernen Kongressgebäude eine kleine Bühne mit Rednerpult, vor die sich Kameras drängen. Von oben herab antwortet die Parteivorsitzende Marine Le Pen gut gelaunt und geduldig auf Fragen.

In einer Sesselgruppe am anderen Ende des Raums hat ihr Vater ein paar Zuhörer um sich geschart und offeriert eine Geschichtsstunde über Russland und seine legitimen Ansprüche auf der Krim. Auch mit 86 Jahren heischt Le Pen Senior wie eh und je mit breitem Grinsen um die Aufmerksamkeit der Kameras und Mikrofone. Die Journalisten rätseln, ob er seiner Tochter mit seiner zeitgleichen Anwesenheit nun zufällig oder bewusst die Show stiehlt.

Er ist es auch, der die versammelten Anhänger in der blau-weiß-rot geschmückten Kongresshalle von den Sitzen reißt. Seine Parolen saugen sie wohlwollend auf. Bei Reizwörtern wie Islamisierung skandieren sie "On est chez nous!" (Wir sind bei uns!). Er kann die Menge emotional erreichen, selbst wenn er auf den weißen Designerstühlen vor den HD-Großbildleinwänden irgendwie aus der Zeit gefallen wirkt. Das pöbelnde Urgestein bleibt selbst bei den jüngsten Front National Anhängern unantastbar. Im Gegenteil schürt er ihre Emotionen wie kein anderer Redner. Fragt man Nachwuchs -FN'ler, ob er nicht eher ein Klotz am Bein sei, wenn es um die Außenwirkung und um die Wählbarkeit der Partei geht, sagen sie nicht ohne Stolz: "Was wir heute sind, verdanken wir ihm!" Selbst unter jenen neuen "Intellektuellen", die die Partei ideoligisch heute "ni droite, ni gauche" (weder rechts noch links) verorten möchten, ist der Ehrenvorsitzende heilig.

Dabei muss er sich wohl oder übel damit abfinden, dass die Ausländerfeindlichkeit, das traditionelle "Kerngeschäft" des Front zwar die Menschen auf den Tribünen anspricht, doch auf den Podiumsdiskussionen andere, weitaus weniger radikal anmutende Themen behandelt werden: "Für eine patriotischen Ökologie", "Der Kampf gegen Missbrauch von Sozialleistungen", "Digitale Freiheit", "Gegen Schengen".

Teddybär-Feeling

An den Ständen im Souterrain des Kongresszentrums gibt es Teddybären und Tassen mit der Aufschrift "J'aime Marine". Außerdem jede Menge Bücher, nicht zuletzt ist eine Putin-Biographie derzeit der Renner. Überhaupt wird über Russland, neuerdings millionenschwerer Kreditgeber für die Partei, wie über einen alten Verbündeten gesprochen. Putin verteidige die Interessen seines Volkes, genau in diesem Punkt aber hätten Frankreichs politische Eliten versagt.

Die neue Generation der Anhänger von Frankreichs einstiger "Schmuddel-Partei" gibt sich belesen, modern und pragmatisch. "Wir sind erwachsener, wir sind reifer geworden", freut sich ein kommunaler Abgeordneter aus Perpignan in der Mittagspause.

Dabei sind es gerade die vielen Zwanzig- bis Dreißigjährigen, die als Beweis dieser neuen Reife herhalten sollen. Gut ausgebildet, urban, und mit Kompetenzen ausgestattet, die es braucht, wenn man erfolgreiche Kommunikation betreiben und das politisches Tagesgeschäft beherrschen will. Auf kommunaler, auf regionaler... aber vor allem auf nationaler Ebene und zwar "umso schneller, umso besser" (J.M. Le Pen).

Le Pen Bonus

Den Weg in die Mitte der französischen Gesellschaft beschreitet Familie Le Pen nun in dritter Generation. Tiefbraun triefte es unter dem Großvater, marineblau, "bleu Marine", so inszeniert sich derzeit Tochter Marine und nun richten sich alle Blicke und Hoffnungen auf die ansehnliche Marion Maréchal-Le Pen. Sie versucht sich gelassen zu geben, trotz des parteiinternen Gerangels darüber, wer beim Parteitag ans Rednerpult darf. Sie macht sich bei den Journalisten eher rar, aber avanciert gerade deshalb zur gefragten Interviewpartnerin und wird einhellig als die kommende Schlüsselfiguren im Front gehandelt. Dabei spielt sie mit dem Le Pen-Bonus auf unterschwellige Weise: Sie wolle nicht den Eindruck erwecken, die Partei sei ein reines Familienunternehmen. Sie müsse (noch) nicht im Präsidium sitzen, denn ihre politische Karriere stehe gerade erst am Anfang.

Abzuwarten bleibt, ob die 24-Jährige, jüngste Abgeordnete der V. Republik und kürzlich Mutter geworden, um ihre "patriotische Pflicht zu erfüllen", mit ihren fundamentalistischen Tönen den Aufstieg der Partei weiter voran treiben kann oder dem Erfolg des gemäßigten Kurses ihrer Tante schadet. Am Ende ist im Familienunternehmen Le Pen jeder auf den anderen angewiesen, um möglichst breite Wählerschichten anzusprechen. Auch deshalb will man um jeden Preis interne Streitigkeiten vermeiden.

Geschichtsstunde, Realpolitik und neue traditionell-konservative Töne mit jungem Antlitz – ein strategischer Dreiklang, durch den man hofft, es möge bei den im März anstehenden Départementwahlen erneut Anlass geben, um mit Champagner anzustoßen. Ganz wie es sich für einen "Front Normal" gehört.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Romy Straßenburg

Lebt als freie Journalistin in Paris. Ihr Buch "Adieu Liberté - Wie mein Frankreich verschwand" ist im Ullstein-Verlag erschienen.

Romy Straßenburg

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