Wir klären das auf der Straße

Frankreich Die neuerliche Stärke der feministischen Proteste gegen Femizide ist kein Zufall
Ausgabe 48/2019
Demonstration gegen Femizide, Ende November in Paris
Demonstration gegen Femizide, Ende November in Paris

Foto: Imago Images/Hans Lucas

Das sind 137 zu viel: 137 Frauen wurden in Frankreich 2019 bereits von ihren Ehemännern oder (Ex-)Partnern getötet. Ein Meer aus Violett zog deshalb am vergangenen Samstag durch französische Städte, Farbe des Protests von mehr als hunderttausend Menschen gegen diese extremste Form von Frauenhass. Auf den französischen Transparenten standen die Vornamen und das Alter der ermordeten Frauen als Mahnung und Gedenken. Über 70 Organisationen hatten anlässlich des 25. Novembers, des „Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“, zu den Protesten aufgerufen. Frankreich gehört zu den Ländern, in denen überproportional viele Fälle von häuslicher Gewalt zu verzeichnen sind: Im letzten Jahr waren es 220.000, in Deutschland laut Bundeskriminalamt 140.000 Taten.

Französischen Feministinnen ist es gelungen, mit dem Hashtag #noustoutes („Wir alle“) eine mediale Welle ins Rollen zu bringen. Ihr Erfolg war weitaus einschneidender als der in Deutschland initiierte Slogan #keinemehr. Das hat zum einen mit dem Zusammenspiel der immer wieder aufkommenden #metoo-Fälle zu tun. So brach kürzlich auch die prominente Schauspielerin Adèle Haenel, aktuell im Film Porträt einer jungen Frau in Flammen zu sehen, ihr Schweigen über erlittene Belästigung. Zum anderen aber ist „die Straße“ in Frankreich ein Ort, der weit mehr für das Austragen gesellschaftlicher Auseinandersetzungen genutzt wird als in Deutschland.

Seit Monaten machen Bürger ihrem Ärger über herrschende Verhältnisse Luft, ob Gelbwesten- oder Klimabewegung, ob Krankenhausmitarbeiter und Feuerwehrleute, ob Polizisten oder Angestellte des öffentlichen Dienstes. Kaum ein Tag vergeht, an dem keine Demonstration durch Pariser Straßen zieht. Schon in der Gelbwestenbewegung spielten Frauen eine besondere Rolle, weil sie mit einer neuen Selbstverständlichkeit Präsenz zeigten. Eine wiedererwachte Protestkultur.

Dazu kommt, dass feministische Debatten im öffentlichen Diskurs verstärkt sichtbar sind, etwa im Fall der verschärften Gesetzgebung bei Anmache auf offener Straße, die manchen Frauen als überzogen erschien. Nicht zuletzt ist mit der von Macron berufenen Gleichstellungsministerin Marlène Schiappa eine charismatische, junge Politikerin aufgestiegen, der es gelungen ist, den Unzulänglichkeiten bei der Geschlechtergleichheit Gehör zu verschaffen.

Doch die gesteigerte Aufmerksamkeit allein reicht den Aktivistinnen nicht aus. Die meisten zeigten sich enttäuscht, als die Regierung am Montag einen Aktionsplan vorstellte, dem eine mehrere Monate andauernde Aussprache mit VertreterInnen von staatlichen und privaten Organisationen vorausgegangen war. Zwar sieht das Programm vor, Waffen gewalttätiger Männer leichter konfiszieren zu können oder Tätern elektronische Fußfesseln anzulegen. Doch die von Premierminister Edouard Philippe angekündigten Investitionen von 361 Millionen Euro für 2020 bleiben weit hinter der 1 Milliarde zurück, die als eine Art „Marshall-Plan“ zur Bekämpfung von Gewalt gefordert worden war. Immerhin gehören zu den geplanten Maßnahmen auch der Ausbau einer Notruf-Nummer für Betroffene, die psychologische Betreuung von gewalttätigen Männern sowie die Schaffung von 1.000 zusätzlichen Plätzen in Frauenhäusern. Wichtig ist nun, dass die Solidarität und das Selbstbewusstsein der Straße auch in der Privatsphäre der Frauen nachhallen. Dort, wo nur sie selbst „Stop!“ sagen können.

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Geschrieben von

Romy Straßenburg

Lebt als freie Journalistin in Paris. Ihr Buch "Adieu Liberté - Wie mein Frankreich verschwand" ist im Ullstein-Verlag erschienen.

Romy Straßenburg

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