Deutschland braucht Demokratie Upgrade

Wahlen sinnlos? Was tun, wenn Wahlen sinnlos werden, wenn Elite in Form der politischen Klasse, und der Reichen, der Meinung ist, bei wichtigen Fragen dürfe man nicht das Volk fragen?

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Je länger man sich mit der Lage der derzeitigen Politik beschäftigt, desto größer wird die Überzeugung, dass wir ohne eine einschneidende Änderung, keine Chance haben werden, uns die Demokratie zurück zu erobern. Wenn ein Bundespräsident Gauck, eine Bundeskanzlerin Merkel, und Partei Think-Tanks erklären, dass es Entscheidungen gäbe, die zu wichtig wären, um sie dem Volk zu überlassen, muss man sich fragen, was "Demokratie" eigentlich noch für unsere Elite bedeutet. Aber es gibt noch viel mehr Gründe, warum wir mit dem derzeitigen System einfach nicht mehr in der Lage sind, Demokratie in der politischen Praxis umzusetzen, weshalb wir ein grundlegendes Upgrade benötigen. Und da Wahlen nichts mehr ändern, ist dies wohl nur in der außerparlamentarischen Opposition möglich. Schauen wir uns die Situation an:

Der Geist des Grundgesetzes ist längst Schnee von gestern. Die Ideen und Grundsätze des früher einmal als wegweisend angesehenen Grundgesetzes, wurden nicht nur ausgehöhlt, sondern sogar teilweise ins Gegenteil verkehrt. Der so genannte Verfassungsschutz hat sich als lediglich geeignet erwiesen, die herrschenden Eliten zu schützen, mitnichten aber das Grundgesetz. Und da wir in Deutschland niemals eine unabhängige Justiz hatten, entgegen Behauptungen unserer politischen Führung (www.gewaltenteilung.de), gibt es auch keine wirkliche Verhinderung des Ignorierens des deutschen Grundgesetzes mit Hilfe des Verfassungsgerichtes. Denn dieses wird hochpolitisch zusammen gesetzt und besteht teilweise sogar aus ehemaligen Politikern, die selbst für Gesetze verantwortlich sind.

DAS VERFASSUNGSGERICHT

In wirklich wichtigen Fragen beugt sich das Verfassungsgericht regelmäßig der "Realpolitik". Sei es in Fragen der Euro-Einführung, oder der Euro-Rettung, oder in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung. (Ebenso weigert sich unsere politische Elite, "das Volk" zu befragen.) In weniger wichtigen Dingen, macht das Verfassungsgericht regelmäßig von sich reden, weil es Gesetze kippt, die von der Regierung erlassen wurden, aber nicht mit dem Grundgesetz in Einklang stehen. Wie kommt es nun, dass solche Verbrechen der Regierung nicht geahndet werden. Es gibt durchaus Länder, die Sanktionen gegen Politiker vorsehen, welche z.B. verfassungswidrige Gesetze erlassen. Wenn ich bei Rot über die Ampel fahre, würde ich auch gerne von der Polizei eine Verwarnung erhalten, mit dem freundlichen Hinweis, mein Verhalten bis zum nächsten Jahr zu ändern.

Weder Justiz, noch der so genannte Verfassungsschutz, ist also bereit und in der Lage, unser Grundgesetz zu schützen. Bleibt die Vierte Macht im Staat, die Medien.

DIE MEDIEN

Leider haben sich die Medien zu einem Sprachrohr der Mainstreampolitik entwickelt. Zwar stürzen sie sich manchmal genüsslich auf kleine Streitereien zwischen den verschiedenen Fraktionen der Eliten, wie z.B. bei der Frage der lächerlichen Maut. Oder sie zerstören mit Absicht den Ruf einer Person wegen Kleinigkeiten, die sich anschließend sogar als Sturm im Wasserglas zeigen, wie am Beispiel von Ex-Bundespräsident Wulff zu sehen. Aber wenn es um wirklich wichtige Dinge geht, wie z.B. um Milliarden-Korruption deutscher Industrie in Geschäfrten mit Griechenland, oder bei Fragen über Krieg oder Frieden, soziale Gerechtigkeit, so genannte "Reformen", die den Staat und damit die Bevölkerung immer weiter schwächen, in Fragen des Überwachungsstaates, usw., werden sie eigentümlich einförmig. So einförmig, wie höchstens noch die Medien in den USA, aber selbst die scheinen wir bereits überholt zu haben. (Siehe auch andere Artikel zu dem Thema.) Die Medien in Deutschland sind nicht mehr nur unkritisch, sondern sie sind der wichtigste Stützpfeiler, zur Erhaltung des undemokratisch gewordenen Status Quo. Denn Demokratie ist ohne kritische Medien schlichtweg unmöglich.

BEISPIELE FÜR VERLORENE GRUNDRECHTE

In einem anderen Artikel hatte ich schon dargelegt, wie jeder Deutsche für sich selbst feststellen kann, wie er die "Demokratie" in Deutschland beurteilt. Ganz einfach, indem er die Definition in Wikipedia mit der Wirklichkeit vergleicht. Ich will die Beispiele für verlorene Grundrechte, die ich bereits in den verschiedenen anderen Artikeln beschrieben habe, hier nicht wiederholen. Ich will nur ganz kurz einige der für mich persönlich wichtigsten Punkte herausgreifen.

Briefgeheimnis
Als es noch keine Möglichkeit gab, Briefe der Menschen flächendeckend zu überwachen, kämpften Menschen darum dass JEDER Brief geheim gehalten werden müsse. Das Recht gibt es schon seit 1690, ebenso die Diskussion darum, und den immer währenden Versuch, dieses Recht einzuschränken. Mit Hilfe von Richtern, oder später durch diktatorische Regime. Nun sind wir uns doch einige, dass das, was 1690 ein Brief war, heute eine E-Mail ist. Und nun kommen sie mir nicht mit technischen Begründungen. Eine E-Mail ist vom Geiste her ein Brief im vorigen Jahrhundert. E-Mails haben nun aber eine Möglichkeit eröffnet, die es vorher nicht gab. Man kann sie leicht lückenlos überwachen. Die Reaktion einer Demokratie hätte sein müssen, nun die Gesetze zum SCHUTZ des "Briefgeheimnisses" zu verschärfen, Strafen zu erhöhen usw. Denn Gefahr war viel größer, dass es missachtet werden würde, und zwar in einem historisch nie gesehenen Umfang. Leider geschah aber das Gegenteil. Die deutsche politische Elite kollaborierte mit ausländischen Mächten, bzw. duldeten zumindest, dass diese flächendeckend unsere "Briefe" mitlasen. Gleichzeitig wurde das "Briefgeheimnis" durch ein neues Gesetz zu einem "Mitlesegesetz", d.h. der grundgesetzliche Schutz wurde, theoretisch und praktisch, in sein Gegenteil verkehrt.
Angriffskriegsverbot
Als im Jahr 2002 Deutsche Strafanzeige gegen Bundeskanzler Schröder, wegen Unterstützung eines Angriffskrieges, es ging um den illegalen Irakkrieg der USA, erstatteten, wurde die Anzeige mit der Begründung zurück gewiesen, dass zwar die VORBEREITUNG eines Angriffskrieges unter Strafe stehen würde, aber nicht die Unterstützung eines solchen direkt. D.h. angeblich soll unser Grundgesetz erlauben, einen Angriffskrieg zu führen. Nur planen dürfe man einen solchen nicht. Verstehen Sie, welchen Wert das Grundgesetz in dieser Bundesrepublik noch hat?

DIE AUSSERPARLAMENTARISCHE OPPOSITION


Bei der letzten Bundestagswahl haben wir erneut gesehen, dass Wahlen schier gar nichts ändern. Obwohl es eine Mehrheit links der Mitte gab, mit der die wichtigsten Wahlsprechen von SPD, Grünen, Die Linke, hätten im Hauruck-Verfahren umgesetzt werden können, bildete sich eine Regierung einer großen Koalition. Und am liebsten würden die Grünen auch noch mitmachen.

Und was übrig blieb wurde verwässert, verfälscht oder unter den Teppich gekehrt. Keine der wirklich brennenden und wichtigen, ja existentiellen Themen werden angegangen oder diskutiert.

Da die im Bundestag vertretenen Parteien offensichtlich das derzeitige undemokratische System unterstützen, und oppositionelle Parteien den Schein erwecken, nur möglichst selbst an die Hebel der Macht kommen wollen, wird es Zeit, dass eine außerparlamentarische Opposition beginnt, grundlegende Reformen zu verlangen. Reformen, die den an der Macht befindlichen Politikern nicht gefallen werden, und sicher auch jenen nicht, die nicht Politiker sind, aber trotzdem Macht ausüben.

ZIELE DER AUSSERPARLAMENTARISCHEN OPPOSITION

Die Ziele einer außerparlamentarischen Opposition sind schnell erklärt: Wiederherstellen der Demokratie. Da dieses Ziel keine politische Richtung betrifft, sondern grundsätzlicher Natur ist, kann diese außerparlamentarische Opposition alle Strömungen der Gesellschaft, unabhängig von Ideologie, Religion oder Klasse, zusammen bringen. Diese Ziele im Einzelnen müssten m.E. sein:

1. Neutralisierung der Medienmacht

Selbst Verfassungsrichter haben festgestellt, dass die derzeitige Organisation des Öffentlich Rechtlichen Rundfunks verfassungswidrig ist. Aber es geht nicht um ein paar Sitze mehr oder weniger im Aufsichtsrat. Es geht um eine grundgesetzliche Änderung. Was wir heute als Öffentlich Rechtlichen Rundfunk kennen, ist das einzige staatliche Konstrukt, welches dringend privatisiert werden müsste. Dabei dürften aber keine neuen Machtstrukturen auf Grund von Investitionen entstehen, sondern eine demokratische Führung und Kontrolle durch alle Teile der Gesellschaft.

Die privaten Medien, soweit sie zu den Unternehmen gehören, die massgeblichen Einfluss und Reichweite besitzen, müssten sich außerdem, wie die vergesellschaftlichen Öffentlich Rechtlichen Medien, die nach einer Übergangszeit keine Zwangsgelder mehr eintreiben dürfen, einer Kontrolle durch die Medienkonsumenten unterwerfen.

Das Ziel der Medienreform muss sein, eine pluralistische Medienlandschaft zu erhalten, die kritisch gegenüber der herrschenden Elite ist, und ein Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse darstellt. Ein Ziel, das ursprünglich einmal durch die Gründer der Bundesrepublik mit dem Öffentlich Rechtlichen Rundfunk geplant war, deren Anspruch aber leider nie erfüllt wurde.

2. Überprüfung aller Gesetze auf Einklang mit Geist des Grundgesetzes

Wie schon oben dargestellt, ist das Grundgesetz, bzw. die Ideen, die dahinter stehen, eine Konstrukt, das längst durch es einschränkende Gesetze ausgehöhlt, ja in ihr Gegenteil verkehrt wurden. Es hilft nicht, diejenigen, also die Politiker, Richter, Staatsanwälte, oder einflussreiche Persönlichkeiten des Öffentlichen Lebens, die diesen Vorgang erzeugt haben, mit seiner Überprüfung zu beauftragen. Die betroffenen Bürger selbst, müssen in einer Verfassungskonvention jeden Paragraphen des Grundgesetzes prüfen, seinen Geist in moderner Interpretation ermitteln, und dann feststellen, ob und ggfls. welche Gesetze nicht damit im Einklang stehen.

3. Das System der politischen Parteien

Die deutschen politischen Parteien haben sich in den letzten 70 Jahren ein System erschaffen, in der sie eine Macht akkumuliert haben, die dem normalen Bürger kaum zu erklären ist. Als Beispiel sollte nur die Konrad Adenauer Stiftung genannt werden. Beschäftigen Sie sich mit dem Einfluss auf deutsche und internationale Politik, und sie werden erblassen, was mit deutschen Steuergeldern gefördert wird, schauen wir nur einmal in die Ukraine. Die zur CDU gehörende Konrad Adenauer Stiftung ist durch die Förderung von Witalo Klitschko mitverantwortlich für die derzeitige Situation in der Ukraine.


Im Klartext heißt das: Drastische Beschränkung der Fördermittel für Parteien und ihre Abkömmlinge, z.B. Stiftungen. Insbesondere darf das, kleinere Parteien benachteiligende, System von Zuschüssen zu Wahlkampfkosten, nicht weiter in dieser Form weiter geführt werden. Und, ein ebenso wichtiges Ziel: Parteispenden durch Privatpersonen oder Firmen, dürfen nicht an einzelne Parteien, sondern müssen in einen Topf eingezahlt werden, aus dem die Parteien nach einem Schlüssel alimentiert werden.

Außerdem wird es höchste Zeit, dass Korruption von Parlamentariern endlich strafrechtlich verfolgbar gemacht wird. Während 170 Staaten bereits die UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC) ratifiziert haben, gehört Deutschland, neben Syrien und Nordkorea zu den Ländern, die diese Konvention einfach nicht ratifizieren wollen.
Darüber hinaus muss eine so genannte Drehtürpolitik, in der sich Wirtschaft, Politik, Lobbyverbände, Banken, usw., die Führungskräfte hin und her schicken, abgeschafft werden. Zwei Jahre Karenzzeit sind das Mindeste, das man von einem Politiker verlangen kann, bevor er nach Ausscheiden aus seinem öffentlichen Amt, eine Position in der Wirtschaft übernimmt. Ganz besonder muss das für jene Abgeordnete gelten, die im Anschluss an ihr Mandat eine Pension erhalten. Selbstverständlich muss die mit anderen Einkünften verrechnet werden.Umgekehrt kann es nicht sein, dass ehemalige Banker plötzlich die Finanzpolitik der Regierung beeinflussen. Auch hier kann man erwarten, dass mindestens eine zweijährige Karenzzeit eingehalten wird. Und die mehrmalige Drehtürnutzung muss vollkommen ausgeschlossen sein. D.h. wenn ein Banker sich entschließt, Finanzminister zu werden, kann er anschließend nicht wieder Bankenchef werden. Selbst nicht nach 2 Jahren Karenzzeit.

4. Unabhängige Justiz

Die Justiz muss völlig von der Politik entkoppelt werden.D.h. Richter werden nicht durch Politiker bestimmt, sondern werden durch Wahlen direkt vom Volk ernannt. Ihre Finanzierung erfolgt über ein Budget, das unabhängig von einer möglichen Zuweisung durch die Regierung ist.

5. Pluralismus im Parlament

Beamte, und solche in vergleichbarer Stellung, sowie Selbständige, stellen den größten Teil der Abgeordneten im deutschen Bundestag. Dies entspricht aber in keiner Weise der Realität im Leben der Menschen. Um realitätsnahe Gesetze zu erreichen, und eine lebhaftere Diskussion im Parlament, muss dringend eine andere Mischung der beruflichen / privaten Hintergründe der Abgeordneten erreicht werden.

Eine Maßnahme z.B. muss die Gleichstellung aller Menschen mit Beamten. D.h. ein Bauer, oder eine Hausfrau, der/die sich für ein Mandat bemühen, sie müssen, insbesondere finanziell, genau so gestellt werden, wie Beamte. D.h. eine Hausfrau muss das Recht auf eine Haushaltshilfe für den Wahlkampf haben, ein Bauer das Recht auf eine Vertretung auf seinem Hof.

DEMOKRATIE IST NICHT LINKS ODER RECHTS


Diese fünf grundlegenden Änderungen haben nichts mit einer politischen Richtung zu tun, es sei denn, man sieht "Demokratisierung" als politische Richtung an. Da diese Änderungen aber nicht durch, oder mit dem herrschenden Establishment realisierbar sind, müssen sie durch gesellschaftliche Kräfte angestoßen werden, die sich außerhalb des Parlaments formieren. Natürlich könnte auch eine Partei, noch besser zwei Parteien mit gegensätzlichen Ideologien, den Nukleus einer solchen Bewegung bilden. Gemeint sind insbesondere Die Linke und die AfD. Sowohl Die Linke als auch die AfD, werden sich bei den nächsten Wahlen fragen lassen müssen, ob sie dem derzeitigen System Legitimität verschaffen, oder ob sie es zugunsten einer echten Demokratie verändern wollen.

Es geht nicht um rechte oder linke Politik, nicht um Mittelstands, oder -Armutspolitik, nicht um Bankenpolitik, Europapolitik oder um transatlantische Politik. Es geht darum, deutsche Politik wieder zu demokratisieren. Den Menschen wieder Einfluss auf politische Entscheidungen zu geben, und die ursprünglichen Werte und Ideen, die mit der Entstehung des Grundgesetzes, die Basis unserer neuen Kultur werden sollten, wieder zu beleben, und ins 21. Jahrhundert zu transformieren.

Erst wenn wir es schaffen, eine Demokratie 2.0 zu starten, können wir an die faire Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner denken. So lange aber die Basis für Demokratie fehlt, ist politische Auseinandersetzung, nicht mehr als eine Beschäftigungstherapie, die uns davon abhält, uns mit wirklich wichtigen Dingen zu beschäftigen.

Ich appelliere daher an alle echten Demokraten, an jene, die daran glauben, dass wir nach dem Krieg eine gerechte, faire Gesellschaftsordnung aufbauen wollten, an jene, die ihre Energie jetzt darauf verwenden, ihre politische Meinung in diesem unseren parlamentarischen System einzubringen, dabei aber erkennen, dass es unüberbrückbare Hindernisse gibt, überhaupt politisch relevant zu sein: Vergeudet nicht Eure Energie mit Don Quichottes Kampf gegen Windmühlenflügel. Kämpft mit allen anderen, die auch in erster Linie Demokraten sind, für eine Redemokratisierung Deutschlands.

Natürlich sind die Kosten für jene besonders hoch, die jetzt bereits im politischen System verankert sind. Die Wahlkampfentschädigungen aus Steuermitteln, die Einkommen aus Mandaten, die eine freie politische Arbeit so bequem ermöglichen, auf all das zu verzichten ist eine fast unüberwindbare Hürde. Aber so funktioniert das System. Parteipolitik, Mandate, machen süchtig, und Süchtige dienen ihren Dealern. Erste wenn eine Partei beginnt auf Teile der Vorteile zu verzichten, wird sie wirklich glaubhaft machen, etwas verändern zu wollen.

DER AUFSCHREI DER ETABLIERTEN


Ich höre sie schon rufen und will gleich darauf antworten:

1. Wer soll dann die Stimme der Opposition sein.

Welchen Einfluss hatte die Stimme der Opposition darauf, dass die so genannte Demokratie heute in diesem ihrem Zustand ist. Sicher konnte die Linkspartei nach jahrelangem Kampf endlich den Mindestlohn durchsetzen, so löchrig er auch sein mag. Aber gleichzeitig wurden Banken riesige Kredite abgenommen und dem Steuerzahler aufgebürdet, gleichzeitig wurde eine Konfrontation mit Russland gesucht und eingegangen, wurden unbegründete, und für Deutschland negative Sanktionen gegen Russland eingeführt, wurde Deutschland durch die Stationierung ausländischer Atomwaffen zum Ziel russischer Kernwaffen. Um nur ein paar Kleinigkeiten zu nennen.

2. Wir leben in einer repräsentativen Demokratie und müssen die Spielregeln einhalten.

Die Spielregeln wurden längst über Bord geworfen. Eine Demokratie besteht nicht nur aus dem Recht zu wählen. Eine Demokratie lebt davon, dass die repräsentative Demokratie durch das Volk dominiert und gelenkt wird. Und eine Demokratie ist nur möglich, wenn Fehler durch eine unabhängige Justiz verfolgt, und Medien wichtige Entscheidungen der Elite hinterfragen. Aber diese Spielregeln sind außer Kraft gesetzt worden.

3. Besser ein bisschen verändern, als gar nichts bewirken.

Wer sich korrumpiert, und mit dem System arbeitet, ihm dadurch zusätzliche Legitimation verschafft, macht sich mitschuldig, auch an den Dingen, denen man negativ gegenüber steht. Selbst die Opposition im Bundestag ist mitverantwortlich für einen Krieg, der von der Mehrheit gebilligt wird. Denn diese Opposition wusste von Anfang an, dass sie keine Chance hat, diesen Krieg zu verhindern. Und so ließ sie es zu, zu einer Puppe in diesem Spiel zu werden. Zum demokratischen Feigenblatt.

4. Veränderungen im politischen System sind möglich. Siehe Syrize in Griechenland.

Griechenland hat eine ganz andere Geschichte und Kultur als Deutschland. Und die Menschen dort haben katastrophale wirtschaftliche Bedingungen. Ich hoffe, dass Deutschland vor solchen Strafen verschont bleiben wird, denn dann hilft auch eine radikal verändernde Regierung nicht mehr viel. D.h. Griechenland ist das typische Beispiel, dass Veränderung erst möglich ist, wenn es zu spät ist. Erst nachdem die herrschenden Kreise das Land, in eine Abwärtsspirale, ohne sichtbaren Verbesserung, gebracht hatten, wandten sich die Verzweifelten endlich jenen zu, die schon immer gegen dieses System waren. Die müssen jetzt das Auslöffeln, was die alte Elite ihnen eingebrockt hat. Wollen wir in Deutschland so lange warten?

5. Wie soll man die politische Arbeit bezahlen, wenn man auf die Parteienfinanzierung verzichtet.

Niemand hat verlangt, dass Parteien auf die Parteienfinanzierung im real existierenden System verzichten. Auch ein Boykott muss nicht zwangsläufig ein Wahlboykott sein. Ein Boykott kann auch darin bestehen, dass man sich zwar wählen lässt, aber erklärt, nicht an den Abstimmungen im Bundestag teilnehmen zu wollen, da man keinen Sinn darin sieht. Oder sicher findet man kreative andere Möglichkeiten des Boykotts und der Unterstützung einer außerparlamentarischen Opposition.

Und schließlich: Jede Graswurzelbewegung steht vor diesem Problem. Die Aufgabe ist es, möglichst viele Menschen zum Mitmachen zu bewegen, und durch die schiere Masse zu wirken. Und eine Bewegung, die überparteilich, im Prinzip unpolitisch, den gesellschaftlichen Upgrade fordert, wird sich auf Dauer glaubhafter darstellen können, als die Inhaber von Ämtern und Mandaten.

6. Was du willst ist eine Revolution, und dafür ist Deutschland nicht reif.

Nur weil die Deutschen das Interesse an Politik verloren haben, heißt nicht, dass man sie nicht für einen gesellschaftlichen Umbruch motivieren kann. Gerade die jungen Leute, die zur Hälfte gar keine Beziehung zur derzeitigen Politik haben, lassen sich eher für grundsätzliche Veränderung aktivieren, als für politische Machtkämpfe und Postenschacherei.

Und es ist keine Revolution. Es ist eine Renaissance. Es geht darum, die grundsätzlich guten und richtigen Lehren aus den letzten großen Kriegen, in die Neuzeit zu übersetzen. Es geht darum, den Menschen klar zu machen, wie das Grundgesetz von 1949 aussehen würde, wenn es heute geschrieben werden würde. Und es geht darum, klar zu machen, wie sehr unsere politische Wirklichkeit davon abweicht.

7. Du bist ein Spinner. Eine solche Bewegung würde durch die vereinte Macht von Politik, Wirtschaft, Banken und der Elite insgesamt, vernichtet werden, bevor sie die erste Veranstaltung organisiert hätte.

Dinge sind so lange unmöglich, bis jemand kommt, und sie einfach mal anfängt. Es wird nicht besser werden. Es wird schlechter. Mit jedem Tag, mit jedem neuen Gesetz wird der Status Quo der Un-Demokratie weiter gefestigt. Wenn wir nicht heute anfangen, werden wir wohl niemals anfangen. Und wer sich schon vor der Niederlage auf die Bretter legt, in Erwartung des KO-Schlages, der darf nicht den Anspruch erheben, sich wirklich gewehrt zu haben.

8. Du übertreibst maßlos. So schlimm ist das System überhaupt nicht. Schau mal in andere Länder, da ist es viel schlimmer.

Wollen wir unser System wirklich am Schlechtesten messen? Oder wollen wir unser System an unseren Forderungen und Erwartungen messen? Mich interessiert nicht, ob dieses oder jenes System schlechter ist. Mich interessiert, dass ich erkenne, dass die Ideale und Hoffnungen meiner Jugend verraten wurden, dass ein schleichender Prozess der Ent-Demokratisierung unser Land erfasst hat, und dass ich nicht bereit bin, das einfach hinzunehmen.

Wer der gleichen Meinung ist, der sollte diese Nachricht verbreiten, damit daraus eine Bewegung entstehen kann, die endlich Bewegung in die verkrusteten elitären Machtverhältnisse in Frage stellt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

LinksPazi

Unter dem Pseudonym Linkspazi bloggt Jochen Mitschka. Links, engagiert und gegen Heuchelei und Krieg. Statt Mainstream wiederholen, ihm antworten.

LinksPazi

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