Toleranz, nur ein Traum wie Demokratie?

Sündenböcke suchen, Menschen gegeneinander aufhetzen, ist wieder eine zur Perfektion betriebene Politik der Elite, um von wahren Problemen, die sie zu verantworten haben, abzulenken.

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Als ich, Jahrgang 1952, sozialisiert wurde, da war Toleranz und Gesprächsbereitschaft eine der Hauptprinzipien der politischen Ethik, in dem gesellschaftlichen Bereich, in dem ich aufwuchs. Niemand, so der Grundsatz, sollte ausgegrenzt, und sich selbst überlassen werden. Jeder war Teil einer pluralistischen Gesellschaft.

Veränderung durch Annäherung und Toleranz, zur Politik geworden, in der Ostpolitik Willy Brandts, erschien als das Konzept der Zukunft für eine friedliche und kooperative Welt.

Als die Berliner Mauer fiel, mussten selbst eingefleischte Kritiker der Entspannungspolitik Willy Brandts zugeben, dass durch gerade diese, der Weg geebnet worden war, dass der Prozess ohne einen Schuss abzufeuern, stattfinden konnte. „Wandel durch Annäherung“ hatte sich geschichtlich, als das richtige Konzept für friedliche Konversion bewiesen.

Was ist nur in den letzten Jahrzehnten passiert, dass diese wichtige Lektion der Geschichte vollkommen in den Hintergrund getreten ist? Sowohl außenpolitisch, als auch innenpolitisch, sehen wir heute genau das Gegenteil dessen, was sich in der deutschen Geschichte von den Fehlern der Vergangenheit so positiv abgehoben hatte. Wir sind wieder zurück in den alten Systemen von Schuldzuweisung, Ausgrenzung, Schwarz-Weiß-Malerei und Intoleranz.

In diesem Artikel geht es mir besonders um die Innenpolitik. Statt sich ernsthaft mit Ursprung und Gründen von zu hinterfragenden gesellschaftlichen Meinungen auseinander zu setzen, und sie dann im öffentlichen Diskurs durch Annäherung zu verändern, scheint man gar keinen Wert darauf zu legen, eine Veränderung zu erzeugen. Sondern man baut eine Mauer der Ausgrenzung auf, oder versucht im Trüben zu fischen, um eigene politische Randgruppen zu befriedigen.

Eine solche Politik hat offensichtlich zwei Aufgaben. Erstens Sündenböcke zu identifizieren, und gesellschaftliche Probleme zu reduzieren auf Minderheiten, um dadurch von den wirklich großen Problemen der Gesellschaft abzulenken. Zweitens durch Aktionen eigener politischer Ränder, eigene politische Vorteile zu erreichen.

PEGIDA

Ein gutes Beispiel dafür ist die Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Deutschland wird von brennenden Problemen erschüttert, der den Glauben an die etablierte Politik, bis in die Grundfesten des Glaubens an die Demokratie, zu zerstören droht. Das Grundgesetz wird zunehmend als leere Hülle angesehen, angesichts des Verhaltens deutscher Politik, in Skandalen wie NSU, NSA, Drohnenmorde, Angriffskriege, Steuergerechtigkeit, Bankenrettung, Europolitik. Und worüber sprach die Frau Bundeskanzlerin? Sie grenzte verwirrte Bürger aus, die sich in ihren konfusen Ängsten, mit den seltsamsten Vorstellungen, um eine Frage geschart hatten, die durchaus diskussionswürdig ist.

Viele Anhänger von Pegida haben vermutlich keine Ahnung, wofür Pegida steht. Sie projizieren ihre diffusen Ängste und Enttäuschungen, die aus einer falschen Politik und Entmündigung der Menschen resultiert, auf eine Gruppe von Menschen, die eigentlich genau wie sie selbst von dieser Politik betroffen sind. Und natürlich reisen die üblichen Rattenfänger als Trittbrettfahrer mit und werden von den Medien begierig aufgegriffen, um zu zeigen, wie böse Pegida ist.

Aber wäre es nicht interessant, sich mit den Positionspapieren von Pegida einmal zu beschäftigen, bevor man pauschalisiert und verteufelt?

Ich habe mir das Positionspapier von www.menschen-in-dresden.de zu Pegida angesehen. Zu meiner Überraschung gab es weniger Punkte, an denen ich die Nase rümpfte, und nicht einverstanden war, als vermutet. Im Gegenteil. Die ersten fünf Punkte erhalten meine volle Unterstützung.

Die Punkte 12, 14, 18 und 19 finden ebenfalls meine Akzeptanz. Viele andere Punkte orientieren sich an Beispielen von Ländern wie der Schweiz, Holland oder Australien. Hier müsste man z.B. darüber diskutieren, ob Deutschland als größte Wirtschaftsmacht Europas, nicht auch eine größere Verantwortung, von der immer gesprochen wird, übernehmen müsse. Insbesondere auch in Anbetracht unserer eigenen Geschichte. Und wenn es um Punkte wie den 16. geht, muss man darauf hinweisen, dass auch schon bestehende gesetzliche Regelungen, Schiedsgerichte, Obmänner usw. vorsehen. Und wenn die nun für bestimmte Bevölkerungsgruppen, von denen demokratisch gewählt werden, wäre das wohl kein Schritt hin zu einem „Scharia-Staat“.

Was in Punkt 13 der „Schutz unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur“ betrifft, wäre zu diskutieren, wodurch Kulturen am meisten profitieren. Und wenn wir als Beispiel Spanien im Mittelalter, zur Zeit der Besetzung durch die Mauren, heranziehen, können wir erkennen, wie eine tolerante, herrschende Religiosität, für die Gesamtheit der Bevölkerung, eine kulturelle Blüte erzeugen kann. Die Konkurrenz von kulturellen Strömungen, in einem toleranten Umfeld ist immer viel fruchtbarer, als eine dominante beherrschende Kultur, die andere als minderwertiger oder zu unterdrücken ansieht. Was die Folgen des Erzwingens einer Monokultur und Religion bedeutet, kann man am finsteren Mittelalter in Europa erkennen, im Gegensatz zur Blütezeit Spaniens unter den Mauren.

So könnte man weiter diskutieren, und ich frage mich ernsthaft, warum man das nicht tut. Stattdessen wird dumpfe Fremdenfeindlichkeit, „Ausländer raus“, die im Strom von Pegida mitschwimmen, als einziger Inhalt verleumdet, und als Grund genommen, sich überhaupt nicht mit den aufgeworfenen Fragen und Forderungen auseinanderzusetzen.

Natürlich ist es dummer Wahlpopulismus, wenn vom rechten Rand der christlichen Parteien jetzt „Verständnis“ für Pegida geäußert wird. Noch schlimmer, dass hier in keiner Weise auf die Ursachen eingegangen wird, sondern einfach rechtspopulistische Forderungen übernommen werden, die in diesen Kreisen sowieso schwelen. Das interessante daran ist, dass sich gleichzeitig die Bundeskanzlerin von Pegida distanzieren kann, aber nicht durch Argumente und Auseinandersetzung, sondern Übernahme von Schwarz-Weiß-Bildern, die gerade opportun erscheinen.

Der angenehme Nebeneffekt: Frau Merkel braucht in der Zeit, in der sie über Pegida redete, nichts zum Versagen der eigenen Politik zu sagen. Nichts zur Unterstützung von Drohnenmorden, durch die deutschen Geheimdienste und Politik, nichts zur Unterstützung von gegen das Grundgesetz verstoßende Abhörpraktiken der NSA, nichts zum LuxLeaks-Skandal, der die Ungerechtigkeit der Steuerpolitik auf die Spitze treibt. Es gäbe noch so Vieles zu nennen, wo man sich ein klärendes Wort gewünscht hätte, oder zumindest ein Wort, das Hoffnung auf Veränderungen der Politik erkennen lässt. Aber nein, die Probleme Deutschlands bestehen aus … Pegida.

Während gleichzeitig ein Fackelmarsch von eindeutigen und extremistischen Neonazis in der Ukraine, die auch während des Marsches gegen unliebsame Journalisten gewalttätig wurden, vom Staatlichen Propaganda-Sender Deutsche Welle, dem Gegenstück zum durch den Kreml finanzierten Sender Russia-Today, verharmlosend als Demonstration von Nationalisten dargestellt wird, die an einen umstrittenen Nationalisten erinnern .

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

LinksPazi

Unter dem Pseudonym Linkspazi bloggt Jochen Mitschka. Links, engagiert und gegen Heuchelei und Krieg. Statt Mainstream wiederholen, ihm antworten.

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