Was wurde nur aus Deutschland?

Globalisierung War früher "alles besser" oder sehen das die Alten nur durch Verklärung der Vergangenheit?

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Mit 62 gehört man zum alten Eisen, das immer schon behauptete, früher wäre alles besser gewesen, sagen Sie? Dann schauen wir uns doch mal die Fakten an:

AUSGANGSLAGE

Als ich noch zur Schule ging, lagen die Unternehmenssteuern bei über50%, trotzdem hatten wir Vollbeschäftigung, und mussten sogar Gastarbeiter einladen. Nachdem klar war, dass die Konzerne nicht unerheblichen Anteil an den Kriegsvorbereitungen Hitlers hatten, und teilweise auch die Profiteure des Kriegs waren, hatte man die gesetzliche Mitbestimmung ausgebaut, und sie sollte, so erklärte man uns in der Schule, langfristig zu einer echten paritätischen Mitbestimmung in allen größeren Wirtschaftsunternehmungen werden.

Journalisten bemühten sich, kritischen Abstand von Herrschenden zu halten, und die Chefs führender Leitmedien gingen dafür sogar ins Gefängnis. Das Briefgeheimnis war unantastbar, erklärte man uns. Und Verletzungen, die ab und zu bekannt wurden, führten zu einem großen Aufschrei und Sanktionen gegen die Verursacher.

Normale Bürger konnten sich ein Haus bauen, weil das steuerlich und mit günstigen Krediten vom Staat unterstützt wurde.

Jeder Schüler erhielt eine Ausgabe des Grundgesetzes, weil wir stolz waren auf die Errungenschaften, die eine neue Ära einleiten sollte.

Die wichtigsten Infrastrukturobjekte waren im Besitz der Allgemeinheit, und es war Konsens, dass sie für benachteiligte Gruppen, wie Kriegsversehrte, Erwerblose usw. zu vergünstigten, oder ohne Kosten, genutzt werden konnten. Der Öffentlich Rechtliche Rundfunk, basierend auf dem Vorbild der BBC, war durchaus kritisch, und legte sich auch gerne schon mal mit den großen Parteien an. Die Bundestagsabgeordneten mussten sich vor den Wählern für Entscheidungen rechtfertigen.

UND WIE SIEHT ES HEUTE AUS?

Die Unternehmenssteuer ist auf 1% gesunken (LuxLeaks), und von Vollbeschäftigung keine Spur. Statt „Gastarbeiter“ einzuladen, sehen viele Deutsche ausländische Mitbürger als Konkurrenten um einen Arbeitsplatz an, oder als Sozialschmarotzer.

Mitbestimmung ist nur noch eine hohle Phrase. Sie wird nur noch zu dem genutzt, wofür sie ursprünglich eingeführt worden war. Ein Ventil für Unzufriedenheit der Mitarbeiter zu schaffen:

Der (preußische, wilhelminische) Staat wollte mit einer „versöhnenden Arbeiterpolitik“ die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Kapital und Arbeit, insbesondere im Ruhrgebiet, durch Anhörungs- und Mitwirkungsrechte (Arbeiterausschüsse) der Arbeitnehmer unterbinden. (Wikipedia)

Und so wie die Mitbestimmung verwässert wurde, so wurden die Arbeitnehmerrechte insgesamt immer stärker abgebaut.

Das Briefgeheimnis ist nicht mehr existent. Denn längst löste die E-Mail den Brief ab, und der deutsche Staat unternahm nichts, um die elektronische Form, so wie die Papierform zu schützen. Ganz im Gegenteil wurden Gesetze erlassen, die es Behörden erleichtern, Zugriff auf E-Mail-Konten auf Provider-Servern zu erlangen. Nichts wurde unternommen, um das Ausspionieren durch ausländische Dienste zu unterbinden.

Normale Bürger können sich heute kaum noch ein Haus kaufen. Statt steuerliche Vorteile, wurde gerade eben erst die Grunderwerbsteuer erhöht, die Mehrwertsteuer ist wesentlich höher als zu Beginn nach dem Krieg, was das nicht gewerbliche Bauen verteuert. Die Zinsen für begünstigte Darlehen unterscheiden sich praktisch kaum von normalen Bankdarlehn, und selbst wenn die Öffentliche Hand Bauland ausweisen, ist es in der Regel so teuer, dass schon alleine der Grundstückspreis so hoch ist, wie früher ein ganzer Hausbau.

über das Grundgesetz zu reden ist nur noch peinlich. Waren zu Beginn gesetzliche Ausnahmen hart umstritten und diskutiert, sind sie heute die Regel. Und selbst bei klaren Verstößen gegen unser Grundgesetz, findet sich kein Staatsanwalt, der die Regierung zur Verantwortung zieht. Weder gibt es genügend Sanktionen gegen Verstöße von Regierungen gegen das Grundgesetz, noch werden Sanktionen durchgesetzt, wenn sie denn in seltenen Fällen kodiert wurden. Wie z.B. im Fall der Unterstützung eines Angriffskrieges. Hier wurden z.B. Anzeigen abgelehnt, mit der Begründung, dass zwar die Vorbereitung strafbar wäre, nicht aber der Angriffskrieg und seine Unterstützung selbst! Noch eines hat man nach dem Krieg vergessen: Die Justiz unabhängig zu machen, und damit die versprochene Gewaltenteilung zu verwirklichen (www.gewaltenteilung.de)

Wichtige Infrastrukturobjekte wurden privatisiert. Was dazu führt, dass sie profitorientiert betrieben werden, und dem Zugriff und Einflussnahme der Allgemeinheit weitgehend entzogen sind. Zunächst wurde durch eine Senkung der Lohnkosten eine scheinbare Senkung der Kosten auf dem Rücken der Mitarbeiter erzeugt, dann aber stiegen die Kosten schnell wieder und durch die Monopolsituation in vielen Fällen, und weil sogar Wettbewerb durch öffentliche Objekte ausgeschlossen wurde, werden sie weiter steigen.

Der Öffentlich Rechtliche Rundfunk ist zu großen Teilen zu einem Elitenfunk geworden. Immer häufigere Programmbeschwerden und auch eigenes Eingeständnis, lässt in ihn nicht mehr das neutrale Medium erkennen. Wenn zur Begründung dafür, dass wider besseres Wissen, Militärbeobachter ohne OSZE-Beauftragung, die im Auftrag einer Konfliktpartei unterwegs waren, trotzdem weiter als OSZE-Beobachter genannt werden, „Weil das die allgemeine Sprachregel in Medien war“, erkennt man den Auftrag der Öffentlich Rechtlichen als nicht mehr erfüllt.

Nach dem Krieg waren die Löhne und Gehälter schnell gestiegen, und viele glaubten, es käme zu einer Umverteilung. Auch durch die Körperschaftssteuer in Höhe von über 50% wurde der Eindruck erzielt: Was nicht mit direktem Arbeitseinsatz verdient wird, soll einen höheren Beitrag zur Finanzierung des Staates leisten. Wie wir wissen war das ein Trugschluss. Die Einkommens-Steigerungen aus nicht selbständiger Tätigkeit wuchsen lediglich entsprechend der Produktivitätssteigerung der Mitarbeiter. Was aber schon nicht mehr der Fall war, als Roboter immer mehr Aufgaben übernahmen. Statt die blechernen Kollegen mit in die Sozialversicherung zu übernehmen, blieben sie außen vor.

AUSWIRKUNGEN

Was wir heute beobachten, ist eine zunehmende Umverteilung vom Mittelstand auf einige wenige Supergroße. Durch die kalte Progression wirkt sich das sowohl bei den nicht selbständig Tätigen, als auch bei den selbständig Arbeitenden und kleineren Unternehmungen aus.

Mit Einführung des Bretton-Woods-System nach dem Krieg, mussten sich Staaten bei privaten Banken Geld leihen um Straßen oder Schulen zu bauen. Die Banken wiederum mussten nur einen geringen Teil des verliehenen Geldes selbst als Vermögen besitzen. Sie konnten sozusagen aus Luft Zinsen zaubern. Die Staaten verschuldeten sich immer mehr, während einige ganz wenige Eigentümer immer reicher wurden. Die fragten sich irgendwann, was sie nur mit dem vielen Geld machen sollten. Das war die Geburtsstunde der so genannten Staatsreformen, also des Verkaufes von solidarisch genutzten Allgemeinvermögen, an profitorientierte Private. Dadurch sank kurzfristig die Neuverschuldung des Staates, aber längerfristig auf Kosten der normalen Bürger, die früher oder später mehr zahlen müssen, oder eine marode Infrastruktur vorfinden.

Da wir in einer Wirtschafts-Wachstumsideologie leben, muss ein Unternehmen ständig wachsen. So das Credo. Um zu wachsen, benötigt man Darlehn. Und nun tritt das gleiche ein, wie im Fall der Staaten. Verschuldung und Kauf von Unternehmensanteilen, also eine schleichende Enteignung, basierend auf dem Prinzip des Geldschöpfungsprivilegs der Banken.

Aber so richtig loslegen konnte diese Entwicklung erst, als die Globalisierung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion so richtig an Fahrt aufnahm. Geld, Waren und Dienstleistungen konnten nun weltweit an beliebigen Stellen eingesetzt oder produziert wurde. Und so wurden in der Nordsee gefangene Shrimps, nach Südafrika zum Pulen gefahren, und dann wieder zurück nach Norddeutschland, um in einer Fabrik verpackt zu werden.

An diesem Beispiel erkennt man schon eines der Hauptergebnisse der Globalisierung: Produzenten können das niedrigste Lohnniveau oder die besten Steuervorteile, die ein Land bietet, oder die für sie günstigsten Umweltvorschriften, ausnutzen, um zu produzieren. Die Folge: Beschleunigung der Umweltzerstörung, Druckerzeugung auf Mitarbeiterrechte und Reduzierung von Löhnen und Gehältern (bzw. Nichtsteigerung in angemessenen Maß), sowie eine Steuerkonkurrenz der Staaten.

WEM NUTZT ES

Eins ist sicher: Dem normalen Bürger nutzt es nicht. Er mag sich jetzt darüber freuen, das ganze Jahr exotische Früchte im Supermarkt zu finden, oder billiges Plastikspielzeug. Am Ende muss er aber die Zeche zahlen für Umweltprobleme, durch sinkende Löhne, mit sinkenden Sozialleistungen.
Der Weltmarkt für Arbeit wurde weitgehend zu einem System kommunizierender Gefäße. D.h. das Niveau gleicht sich einander an. Zunächst fließt Arbeit ab zu Ländern mit niedrigeren Standards und Löhnen. Dann wird in den Ländern, in denen Arbeit fließt, das Lohn- und Arbeitsrechtsniveau gesenkt, mit der Begründung, man müsse die Wettbewerbsfähigkeit erhalten. Gleichzeitig steigt in den Empfängerländern das Niveau etwas an. Sobald es dort aber über ein bestimmtes Maß hinaus geht, vagabundiert das Kapital, das die Arbeit finanziert, weiter, hin zu Ländern mit noch niedrigeren Löhnen, oder eben Länder, die steuerliche Vorteile bieten.

Deutschland "steht doch gut da" weil wir zu den ersten Ländern gehörten, die am stärksten an Mitarbeiterrechten, Renten und Sozialleistungen "gespart" haben. Was uns Prof. Flassbeck verraten hat. Und noch etwas hat er uns erklärt: Es wird uns nichts nutzen, weil die Exportgewinne der Unternehmen durch Kredite beglichen wurden, mit denen die anderen Ländern bezahlten. Kredite, die durch den deutschen Staat, oder über den Umweg EU, beim erwarteten Ausfall dann doch wieder von den normalen Bürgern bezahlt werden müssen.

Dem Bürger wird erklärt, dass die Globalisierung in seinem Interesse wäre, denn nun könnte er billiger einkaufen. Das Problem ist nur, dass er auch über weniger Geld verfügt. Abgesehen davon, dass er versteckte Kosten dafür bezahlen muss, dass die Waren von weit her geliefert werden. Fehlende Sozialabgaben im eigenen Land, Folgen von Umweltzerstörung, weniger Chancen, Einfluss auf Qualität zu nehmen. Und wenn er wirklich einen Vorteil hätte, würde er selbst zum Ausbeuter, denn er würde von den niedrigen Standards und Löhnen in den Ursprungsländern profitieren. Und wenn Kunden von Textildiscountern hören, dass 1000 Menschen wg fehlender Standards bei einem Fabrikfeuer umkommen, sollten sie sich fragen, mit welchem Preis das billige T-Shirt bezahlt wurde.

WAS TUN?

In der grenzenlosen Gier des Menschen, wurde ein Finanz- und Wirtschaftssystem von den Eliten dieser Welt ersonnen, das zwangsläufig zusammenbrechen wird. Die Frage wird dann sein, ob wir akzeptieren, die Folgen zu tragen, und einfach das gleiche noch mal starten, weil wir uns erzählen lassen, dass es keine Alternative gäbe. Oder ob bis dahin die Einsicht in der breiten Masse gewachsen ist, dass dieses System nur einen einzigen Gewinner kennt: Eine ganz kleine elitäre Schicht. Und dass wir dann durchsetzen, dass so eine Entwicklung nicht mehr eintritt, wie wir in den letzten Jahrzehnten erleben mussten.

Bisher gingen aus allen großen Krisen die Mega-Banken und -Unternehmen, zulasten des Normalbürgers und des Mittelstandes, als Sieger hervor. Wir sollten das beenden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

LinksPazi

Unter dem Pseudonym Linkspazi bloggt Jochen Mitschka. Links, engagiert und gegen Heuchelei und Krieg. Statt Mainstream wiederholen, ihm antworten.

LinksPazi

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