„Man muss stur sein“

Interview Der Musiker Drangsal steht in dem Ruf, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Hier tritt er den Beweis an
Ausgabe 16/2018

Drangsal hält es nicht lange an einem Fleck, weder bei seiner Musik noch in seiner Wohnung. Er tigert auf und ab, irgendwas gibt es ja auch immer zu tun. Sei es, einen riesigen Stoffbären zu präsentieren, den er unlängst bei Ikea geklaut hat, oder sich um Heißgetränke zu kümmern.

Drangsal: Ich muss noch mal in die Küche, meinen Teebeutel auswringen. Mache mir gerade Husten- und Bronchialtee. Ich kränkel nämlich, zum Glück schmeckt das Zeug aber ganz geil.

der Freitag: Ein Bronchialtee schmeckt geil? Ist das schon ein Fall von Stockholm-Syndrom, weil man dem als Sänger so ausgeliefert ist?

Nee, nee! Da ist drin ... Spitzwegerichkraut, Süßholzwurzel, bitterer Fenchel, Thymian, Hagebuttenschalen und Quendelkraut.

Vor so einer Plattenveröffentlichung einschließlich Tour herrscht aber doch großer Druck: Man darf auf keinen Fall krank werden!

Da habe ich eigentlich keine Angst mehr, denn ich weiß: Es passiert sowieso! Mit Rauchen habe ich aufgehört und auch mit allem anderen, was meinem Körper irgendwie schaden könnte – und ich werde trotzdem immer sofort krank. Ich habe aber die besten Konzerte mit Grippe und Fieber gespielt.

Das klingt nicht wirklich unschädlich für den Körper.

Gut, da ist was dran. Aber Aspirin Complex durch die Nase ziehen, eine halbe Stunde performen und danach richtig tot sein – das hat zumindest was.

Ein großer Faktor, der deiner Gesundheit im Weg steht, scheinen auch Videoproduktionen zu sein. In dem Podcast „Mit Verachtung“, den du mit dem Rapper Casper unterhältst, erfährt man, dass du nach den Clip-Drehs immer krank wirst.

Ich weiß auch nicht, was das soll. Handelt sich wohl um eine selbst eingeleitete Katharsis. Beim ersten Clip jetzt zu dem Song Turmbau zu Babel musste ich in ein mit Wasser gefülltes Erdloch tauchen – und das war entgegen anderslautenden Beteuerungen natürlich eiskalt. Dennoch blieb ich gesund. Die Serie ist gerissen!

Du stehst in dem Ruf, kein Blatt vor den Mund zu nehmen – ganz im Gegensatz zu vielen anderen Musikern. Diese Offenheit hat dir aber bestimmt einiges an Ärger eingebracht?

Das stimmt. Zum Glück habe ich da in der Form auch selbst kein Interesse mehr dran. Auf meiner Radio-Promotour wurden mir jetzt allerdings gefühlt 20 Mal wieder Isolation Berlin vorgespielt mit ihrer neuen Platte – das habe ich als eine Art Äquivalent zum Finger-in-die-Rippen-Drücken empfunden ... Dazu noch ein ganz nerviges „Na? Na? NAAA?!“. Ganz klar, ich sollte denen da was Negatives ins Mikro sagen. Habe ich drauf verzichtet, es ist eh schwer, über andere Künstler zu urteilen. Mark E. Smith hat sich nie zurückgenommen – aber der ist ja jetzt tot. Wer das ganz charmant löst, ist Max Rieger von Die Nerven. Der sagt auch immer, wenn er was kacke findet – allerdings mit einer solchen Wucht, dass sich keiner trauen würde, ihm zu widersprechen. Mir wurde dagegen vorgehalten, dass man es unfassbar fände, wie ich mich über „meine Kollegen“ äußern würde. Wer sind denn meine Kollegen überhaupt?, habe ich mich da jedes Mal gefragt.

Interessanter sind ja die Künstler, für die du dich aussprichst. Zum Beispiel auch Stella Sommer von Die Heiterkeit. Mit der hast du eine Band gegründet: Die Mausis. Aber irgendwas stimmt mit diesem Projekt doch nicht ...

Wir wollten gucken, mit wie wenig Mühe und Eifer man es schaffen kann, eine EP rauszubringen. Und die Antwort ist: Mit sehr wenig! Außerdem sollte das Ergebnis auch noch möglichst stumpf werden. Wir haben uns drei oder vier Tage Studiozeit bei ebenjenem Max Rieger gebucht – es dann aber in weniger als einem geschafft. Nur um dann zu staunen, dass die Popkritik das durchaus ernst nimmt und dem Werk „große Tiefe“ bescheinigt. Jede Review hat uns wieder aufs Neue schockiert.

Irritation hat auch einer der Youtube-Clips ausgelöst, in denen andere Künstler Songtexte der neuen Drangsal-Platte vorab rezitierten. Dirk von Lowtzow von Tocotronic und Max Raabe – das konnte man noch einsehen. Allerdings tauchen auch Die Lochis auf, dieses megalomanische Youtube-Phänomen für Kids – das kommt doch nicht von ungefähr?

Ach, die Lochis! Das ist eine Obsession, die so von mir Besitz ergriffen hatte, dass ich selbst nicht mehr wusste, ob es nun ein Witz ist oder doch Ernst.

Der Abwegige

Max Gruber alias Drangsal ist in tiefster Provinz aufgewachsen, Herxheim, irgendwo in der Pfalz. Den Älteren ist die Region möglicherweise von der einstigen Harald-Schmidt-Satire Die dicken Kinder von Landau her ein Begriff. Mittlerweile lebt der 24-Jährige in Berlin. Sein Debüt-Album Harieschaim stellt 2016 ein Phänomen dar. Erscheint es doch in einer Zeit, in der sich deutsche Acts längst damit abgefunden haben, wenn überhaupt, dann ausschließlich in ihrer Muttersprache etwas reißen zu können. Bei Drangsal ist dagegen alles auf den Kopf gestellt: englische Texte, musikalische Verweise auf Wave und geschmeidige Bands wie Prefab Sprout. Bei Medien und Hörern findet dieser Abweg viele Anhänger.

Für das neue Album Zores denkt Drangsal aber nicht daran, ein Erfolgsrezept in Serie zu schicken. Darauf überwiegen nun die deutschsprachigen Texte, während sich musikalisch alles zu einem düster-eleganten Punk-Entwurf gewandelt hat. Einem Entwurf, in dem viele den frühen Bela B von Die Ärzte erkennen.

Sind die so eine Art „guilty pleasure“, also eine heimliche Vorliebe, für die man sich aber unheimlich schämt?

There is no guilt in pleasure! Ich habe aufgehört, Musik ironisch zu hören. Die beiden Brüder Lochmann sind einfach ein unfassbar interessantes Popkultur-Phänomen, wie ich auch Black Metal aus Norwegen aus den 90ern für ein ganz spannendes Phänomen gehalten habe. Roman hat mit neun Jahren den Kiddy Contest gewonnen, so eine Casting-Show für Minderjährige in Österreich. Seitdem sind die beiden am Start. Das allein ist in dieser Branche von der Langlebigkeit her erstaunlich – und die schreiben dabei ihre eigenen Songs. Die kann man meinetwegen auch scheiße finden, aber ich finde es alles beeindruckend. Diese Welt, in der die leben, ist so abstrus – die sind 18 Jahre alt und Selfmade-Millionäre.

Wie hast du denn solche Teenstars für dich einnehmen können? Das versuchen vermutlich täglich Hunderte Fans – erfolglos.

Meine Chance, die Lochis auf mich aufmerksam zu machen, habe ich letztes Jahr gesehen. Ich war für einen Echo nominiert, also den Kritiker-Preis dort – der Echo des kleinen Mannes, wenn man so will. Den haben später die Beginner gewonnen, aber das war mir scheißegal, denn ich bin bloß hingegangen, weil auch die Lochis nominiert waren. Auf dieser ganz schlimmen Echo-After-Show-Party bin ich dann stundenlang umhergeirrt und suchte sie.

Im Ernst?

Kein Witz. Währenddessen habe ich ein Interview fürs ARD-Radio gegeben und auf alle Fragen eigentlich nur mit „Die Lochis“ geantwortet. Das kam natürlich nicht so gut an, die haben das Gespräch dann abgebrochen. Kurz danach kamen die beiden tatsächlich an mir vorbei, ich bin auf sie zugestürmt, wurde aber von ihrem Aufpasser weggestoßen. Dann kam mir das Glück zu Hilfe, in Form des Managers eines anderen Internet-Stars: Lukas Rieger. Für dessen Manager hatte ich früher mal gearbeitet. Mir sind echt die Sicherungen durchgebrannt, ich bin ja recht groß, habe mich zu seinem kleinen Schützling Lukas runtergebeugt und ihn an den Schultern geschüttelt: „Du bist doch auch Youtuber! Du musst mich jetzt den Lochis vorstellen!“ Der war verständlicherweise erst mal recht ängstlich, sah zu seinem Manager auf, der lachte und nickte. So bin ich fast noch mal eine Stunde mit Lukas Rieger da herumgewandert.

Ist dieses Areal dort wirklich so groß, wie es jetzt den Anschein hat?

Riesengroß! Das ist ja in der Messe – und zu allem Übel alles zweistöckig. Doch dann haben wir die Lochis gefunden – und ich habe mein Foto mit ihnen bekommen. Darüber muss ich immer noch schmunzeln, wenn ich es sehe. Ich habe an dem Abend einen rosa Anzug getragen, und der Wahnsinn steht mir ins Gesicht geschrieben ... Übertrieben gesagt: Meine Augen gucken in verschiedene Richtungen, mein Mund ist sperrangelweit offen. Aber was soll’s?

Ab dann hatten sie dich vermutlich wirklich auf dem Schirm.

Das muss man wohl so sagen – und so hat sich auch dieser sogenannte Shoutout von ihnen für meine jetzige Platte ergeben. Ich habe von dieser Sache für mich aber noch mehr mitgenommen: Egal, was man im Leben erreichen will, man muss nur stur genug sein – und es passiert irgendwann.

Info

Zores Drangsal (Caroline/Universal Music)

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden