Unter uns rauscht die A57 zwischen Köln und Düsseldorf. Der rote Alfa Romeo von Xaõ Seffcheque liegt tief auf der Straße, drinnen ist es leicht krümelig. Hier einmal mit dem Sauger einer großen Waschstraße durch, dieses befriedigende Knistern, wenn Staub und Körnchen in der Öffnung verschwinden, das wär’s. Doch solch eine protoanale Pedanterie ist natürlich fehl am Platz. Das Auto als Spiegel der Seele, es sagt in diesem Fall nur Schönes über seinen Besitzer aus: Stylish, abgerockt, exzentrisch, aber praktisch, und hinten drauf ein Aufkleber mit dem Logo von Fortuna Düsseldorf, ganz nah an dem Nummernschild, das mit „K“ beginnt. Hier fährt ein Typ, der sich über kleingeistigen Scheiß wie Lokalpatriotismus hinwegsetzen kann, ein Typ, der dabei sogar über Recht und Gesetz steht – oder zumindest parkt. Direkt unter einer Ampel hatte er vorhin seinen Wagen abgestellt, Seffcheque wollte bei dem Produzenten Ekki Maas die Spuren des neuen Albums seiner Band Family 5 abholen. Als Legitimation platzierte er ein Schild mit der Aufschrift „Presse“ auf dem Armaturenbrett – nimm das, StVo! „Man muss es halt so hinlegen“, erklärte er, „dass man das ‚Gültig 2007‘ nicht gleich lesen kann.“ Traumparkplatz direkt vor dem Haus hin oder her – Maas war noch nicht in seinem Studio. Also los nach Düsseldorf, Xaõ Seffcheque erklärt 40 Jahre Punk in Deutschland an Originalschauplätzen. Ein bisschen ist es wie das Buch von Jürgen Teipel Verschwende Deine Jugend – nur eben als geführte Tour. Wie hat es bloß so weit kommen können?
Es regnet Spezialwissen
Ein paar Wochen vor diesem Trip tritt der Journalist und Buchautor Christof Meueler vor seinesgleichen auf im Kölner King Georg. Ehemalige Tabledance-Bar, jetzt Hangout der hiesigen Diskurslinken, man kennt solche Orte, selbst wenn man noch nicht dort war. Meueler stellt die von ihm verfasste Biografie von Alfred Hilsberg vor, Das ZickZack-Prinzip. An seiner Seite ein drahtiger Typ mit Brille und äußerst trockenem Humor, er trägt eine seltsame Kopfbedeckung, Mischung aus Kippa, Badekappe und einem eng anliegenden Topflappen; gibt ihm etwas von einer Art Dalai Lama. Richtig vorgestellt, gar eingeführt wird Xaõ Seffcheque dennoch nicht, überhaupt entpuppt sich die ganze Veranstaltung als übernerdiger Namedropping-GAU – ungefiltertes Spezialwissen regnet drei Stunden im Plauderton auf das Publikum herab. Wer nicht eh schon Bescheid weiß, hat es schwer. Keinen Fußbreit der Illusion, man könne mit (Pop-)Kulturkampf noch frische Kräfte einsammeln. Es geht stattdessen ums Erzählen vor dem subkulturellen Kamin, ums persönliche Archivieren bei ein bis fünf Bier. Nostalgie ist eine Waffe! (Na ja, schön wär’s zumindest.)
Zum Glück habe ich meine Jugend und Adoleszenz damit verschwendet, ZickZack-Platten zu hören, kruden New-Wave-Post-Punk zu bestaunen und neben den obligatorischen Fehlfarben im abgedunkelten Jugendzimmer auch Family 5 zu pumpen. Jetzt ist diese sperrige Kompetenz endlich mal was wert. Eines hatte ich indes nicht auf dem Schirm: Xaõ Seffcheque spricht mit einem Schmäh, als wäre er der Sänger eines aktuellen Austropop-Hypes. Dabei feiert der geborene Grazer nächstes Jahr 40 Jahre Rheinland. Wie kann man nach dieser langen Zeit bloß noch so begehrenswert fremd klingen?
„Der Akzent ist doch überhaupt nicht so stark. Im Gegenteil, wenn ich in Österreich bin, höre ich oft: ‚Du sprichst ja nur noch piefkenesisch, Xaõ!‘“, sagt Seffcheque und grübelt ein bisschen. „Aber es stimmt schon, ich habe ihn mir auch bewusst bewahrt. Als ich 1977 nach Deutschland kam, hatte ich echt Schwierigkeiten, mich an alles zu gewöhnen. Allein die schreckliche Esskultur, das war kulinarisch ein vollkommenes Entwicklungsland hier. Ich habe mich dahingehend auch immer ein wenig als Missionar verstanden. Es gab für mich keine Veranlassung, meine österreichische Identität aufzulösen zugunsten einer neuen, einer deutschen.“
Das neue Family-5-Album „Was zählt“
Für ein weiteresJahrzehnthat diese unwiderstehliche Jungsclique – nunmehr in ihren sehr späten 50ern und 60er Jahren – um Peter Hein und Xaõ Seffcheque ihre Ästhetik, ihren Sound, ihre gallige wie unberechenbare Sicht auf die Welt scharf gestellt.
Peter Heins Band Fehlfarben lastet ja immer auch etwas Staatstragendes an. Die mannigfaltigen Projektionen auf die Düsseldorfer Pioniere, die nun mal eben für das Jahrhundert-Album Monarchie und Alltag verantwortlich sind, sind bis heute larger than life. Leichter und fluffiger machten sich dagegen von Anfang an Family 5 aus, die Band ohne die lästige Bürde, sich stets erneut der eigenen Pop-Reliquie würdig erweisen zu müssen. Ein Umstand, den man auch bei Was zählt sofort zu erkennen glaubt. Der Opener Draht startet mit einer Bass- und Gitarrenfigur, die an Die Summe der einzelnen Teile von Kante erinnert. Schon in dieser düster hypnotischen Dynamik entblößt sich der Wille, nach der langen Zeit nicht mit einem Altherren-Feelgood-Movie zurückzukehren. Die beachtliche Spielfreude und Kunstfertigkeit überträgt sich dabei auch auf Peter Heins Texte: Mit der Zeit beispielsweise ist eine aufwühlende Gratwanderung zwischen Weltekel und Romantik, wie nur er sie (in seinen besten Momenten) erzählen kann.
Zu Beginn der Platte bleiben bewusst die wirkmächtigen Bläser im Hintergrund, den Boden bereitet staubtrocken produzierter Wave-Punk mit viel Gitarre. Dann entfaltet sich aber Stück für Stück auch das Instrumentarium der Band. Es gibt viel zu bestaunen, der rote Faden hält. Ein Album als Überzeugungs- und Energieleistung – üppig wie hochkonzentriert.
Wir erreichen Düsseldorf, das Stonehenge der deutschen Punkbewegung. Seffcheque deutet auf einen sanierten Eck- und Altbau in Hafennähe, 16 Jahre habe er dort in der zweiten Etage gewohnt. Aha. Also wenn irgendwas die drohende Nostalgie des Trips killt, dann garantiert dieser mittlerweile völlig aseptische Kiez. Passend dazu findet sich im Ladenlokal des besagten Hauses mittlerweile eine Filiale von Hans im Glück, diese den Slowfood-Trend aufgreifende Burgerbratereikette, quasi das McDonald’s des neokonservativen Bio-Deutschen. Gegenüber ein Vapiano und mangels überhaupt einer Alternative, die kein Franchise ist, setzen wir uns in einen Woyton. Seffcheque nimmt’s gelassen und findet Spuren der Bewegung woanders.
Aushilfsjob bei Mercedes
„Ich habe da letztens schon mal drüber nachgedacht“, erzählt er, „ich stand an der Kasse im Supermarkt und die Kassiererin trug so bunte Strähnen im Haar, war tätowiert und gepierct, alles ganz selbstverständlich heute. Aber da wurde mir bewusst, wie viel Einfluss Punk doch auf seine Umwelt genommen hat. Da ist vieles mit Verzögerung in der Gesellschaft angekommen. Richtig klar hat uns das aber erst 2002 diese Ausstellung Zurück zum Beton in der Kunsthalle hier gemacht. Mein Outfit von damals als Exponat, hätte ich mich nur noch selbst dazuhängen müssen!“
Es war also doch nicht alles umsonst? Schöner Gedanke hier in dieser Kaffebarkette, in der junge Leute in vagen Jobverhältnissen Tee aufbrühen und Herzchen in den Latte macchiato schütteln. Die haben garantiert auch Bock sich auszuprobieren, was soll sich daran über die Jahrzehnte schon geändert haben? Wobei sich die heutige Dienstleistungsgesellschaft von Seffcheques Düsseldorfer Job- und Szene-History unterscheiden dürfte: „Mein Freund Peter Glaser hat es mal gut beschrieben, unsere Heimatstadt Graz ist wie Sizilien oder Nordirland um 1900 herum, nur jede zweite Generation kann von den Früchten des Landes überleben – und in Graz bezieht sich das halt auf jede zweite Künstlergeneration. Das hieß, Peter Handke und Wolfgang Bauer, die waren damals dran, also mussten wir weg. Ich kam mit 18 Mark und meinem R4 nach Düsseldorf, weil ich dort zumindest eine Anlaufstelle hatte. Das Auto stellte ich in der Ratinger Straße ab, ging bei einem Italiener essen und danach in einen Laden, aus dem interessante Musik drang. Das war der Ratinger Hof, so schnell ging das. Mein Freund besorgte mir dann einen Aushilfsjob bei Mercedes, ich habe auf dem Gelände die Wege für die Staplerfahrer markiert, zehn Mark in der Stunde. In demselben Monat wurde auch die Stadtzeitung gegründet, da kam ich mit ein paar Plattenkritiken gut an und durfte dort schreiben, es gab zwar kein Geld, aber ich war in der Szene drin.“
Der Schnittpunkt der Kulturschreiberei funktioniert wie ein Magnet, Xaõ Seffcheque muss die aktiven Musiker der Zeit gar nicht erst finden, sie suchen ihn, Peter Hein, Moritz Reichelt (Der Plan), Thomas Schwebel, oder Robert Görl von DAF, der direkt von der Grazer Musikhochschule auch nach Düsseldorf übersiedelt. Doch Seffcheque ist nicht angetreten, Chronist der Geschehnisse um all diese Schlüsselfiguren zu sein. Er hat selbst Lust, sich unter den neuen Begebenheiten auszuprobieren. Punk kennt ohnehin noch längst nicht das Präfix „Business“, sondern dient als Vehikel fürs Ausprobieren, fürs Austoben. Aus der koketten Selbstwahrnehmung als geniale Dilettanten (so auch ein Bandname jener Zeit) entwickeln sich bald mehr oder weniger geniale Autodidakten, deren Erfolge mitunter bis in den Mainstream reichen. Geschichte wird gemacht, es geht voran.
Die Vita lädt zum Staunen ein: Filmemacher, WDR-Moderator, Dozent, Hörspielautor, Spex-Pionier, Drehbuchschreiber und vor allem Musik. Ob es auch etwas gibt, das er sich nicht aneignen konnte? Mittlerweile laufen wir am Rheinhafen von Düsseldorf entlang, die Orte, die Seffcheque hier vor seinem inneren Auge sieht und beschreibt, sind längst plattgemacht, die Führung gerät zu „Use your illusion“.
Texte, sagt er – an Songtexten sei er letztlich gescheitert. Die flogen seinem Counterpart bei Family 5 immer so spielerisch zu. Wenn Seffcheque über Peter Hein redet, den seine Freunde nach einem Stück von The Clash stets Janie nennen, klingt er richtig zärtlich. Dabei hat ein Treppenwitz der Geschichte die beiden geografisch getrennt, den Rheinländer Hein hat es nach Wien und Seffcheque von Österreich ins Rheinland verschlagen. Doch die Verbindung steht, wird sporadisch, aber ungebrochen immer aufs Neue zelebriert – und sei es nur mit einer Nacht im Wirtshaus, die bis in den Morgen reicht. „Kennst du den kürzesten Witz überhaupt?“, fragt Seffcheque: „Gehen zwei Musiker an einer Kneipe vorbei“, er grinst. Das damit einhergehende Genussmenschentum trieb Seffcheque und Hein im letzten Sommer mal wieder nach Italien. Dolce Vita und so. Dort allerdings ereilte sie die Anfrage von Tapete Records, der Plattenfirma des emsigen Indie-Mittelstands, ob es nicht Zeit wäre für ein neues Family-5-Album. Dem ersten seit immerhin zwölf Jahren, zählt man die Zusammenstellung Hunde, wollt ihr ewig leben? von 2012 nicht mit. „Wir hatten keine Songs, keine Texte, also war es schnell klar, wir sagen zu!“
Auf der Rückfahrt nach Köln spielt Seffcheque Outtakes der Studioaufnahmen vor und die Family-5-Version von In diesem Sinn, ein Sterne-Stück für einen Tributsampler. Der Moment besitzt etwas Wahrhaftigeres als das Beschreiten postpunkiger Ex-Sehenswürdigkeiten aus der rheinischen Ausgabe eines speziellen Lonely Planet. Es kommt mir vor, als hätte es mich selbst wieder zurück auf Start katapultiert, es ist wie damals auf dem Dorf, als man sich die neuesten Demos aus dem Proberaum im Auto vorführte. Man ertappt sich bei dem Wunsch, die Fahrt möge doch noch länger gehen, immer noch ein paar Kilometer, noch eine Ausfahrt verpassen, immer noch ein Song. Auch Seffcheque ist längst nicht fertig, erzählt von Freud und Leid des Drehbuchautorendaseins, mit dem er heute vornehmlich seinen Lebensunterhalt bestreitet. Mit „Nazis, Stasi oder Krebs“ fasst er präzise die Themenvielfalt des deutschen Kinos zusammen und weiß dabei um die eigene Doppelrolle, immerhin ist auch er Mitglied der hiesigen Filmakademie und so Teil des Systems. Sein eigenes Werk Die Kleinen und die Bösen brachte allerdings erst eine Zusage von Christoph Maria Herbst, die Hauptrolle zu übernehmen, 2015 endlich in die Kinos. Nach zehn Jahren!
Zu 80 Prozent entspräche dabei die Vision dem Film, eine traumhafte Quote, freut sich der Autor. Dafür musste er nur ein Jahrzehnt dranbleiben. Bloß beim Tatort sehe er keine Chance mehr, bei dem Filetstück des öffentlich-rechtlichen Kadavers habe er sich ins Abseits befördert aufgrund zu vieler Widerworte. Das kann die Anstalt nicht verzeihen.
Wir sind schon fast in der Garage, da verlautet Seffcheque, an einem Roman säße er übrigens auch noch, über einen italienischen Kommissar mit Tourettesyndrom. Kapitulation. Dieser Mann ist definitiv zu viel für einen Tag, für eine Profession, zu viel für einen einzigen Text.
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