Geduld am Ende

Corona-Proteste In der Pandemie haben Verschwörungsmythen Aufwind. Es mehren sich die Demos selbsternannter Querdenker, durchsetzt und getrieben von Rechtsradikalen und Wissenschaftsfeinden aller Couleur. Wie geht man damit um? Eine Anregung zur Debatte

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ein Demonstrant zeigt einen Anstecker mit der Aufschrift "Ungeimpft" bei einer Demonstration in Düsseldorf, 18. Dezember 2021
Ein Demonstrant zeigt einen Anstecker mit der Aufschrift "Ungeimpft" bei einer Demonstration in Düsseldorf, 18. Dezember 2021

Foto: Ina Fassbender/AFP/Getty Images

Disclaimer: In diesem Text stelle ich als Autor eine persönliche Meinung dar. Es soll keineswegs eine objektive Darstellung sein, sondern ein Anstoß zu einer Debatte.

Bei mir im Ort ziehen sie nun jede Woche mit ihrer Demonstration durch die Innenstadt. Selbsternannte Querdenker*innen, Reichsbürger*innen, Antisemit*innen, Nazis, Impfgegner*innen und sonstige Faktenleugner*innen. Der Gegenprotest antifaschistischer Gruppen ist nicht weit weg, doch er war bisher stets kleiner als der Aufmarsch der Faktenleugner*innen.

In Diskussionen kommt immer wieder die Frage auf, wie mit diesen Aufmärschen umzugehen ist. In einem Gespräch, dass ich neulich erst führte, wurde sogar die Frage diskutiert, ob es überhaupt sinnvoll ist, Gegenproteste zu organisieren. Für mich steht dies außer Frage: Ja es ist notwendig. Hier möchte ich ausführen, wieso.

Demokratie muss wehrhaft sein

Eine Demokratie, die nicht dazu bereit ist, Antidemokraten aktiv zu bekämpfen und für den Erhalt der Demokratie zu streiten, kann nicht lange bestehen. Die Geschichte hat das eindrücklich gezeigt. Daraus folgt ein klarer Auftrag, sich von allen abzugrenzen, die die Grundwerte der Demokratie angreifen. Bei den Protesten der Coronaleugner ist dies zu häufig gegeben. So fallen Demonstranten regelmäßig mit kruden NS-Vergleichen auf. Unter #AusgebranntePresse erzählen Journalist*innen, wie sie bei der Berichterstattung über diese Demos regelmäßig angefeindet, bedroht und angegriffen werden. Ein weiteres Bild auf Twitter, das zeigt, wie eine Bibliothek in München wegen einer Demo aus Sicherheitsgründen früher schließt, zeigt ebenfalls eindeutig, welche Gefahr diese Aufmärsche darstellen. Die Spitze dieses Eisbergs bildet beispielsweise der Mord in Idar Oberstein eines Maskenverweigerers an einem Tankstellenmitarbeiter.

Es wird also zunehmend sichtbar, wie sich diese Bewegung, die keinesfalls die Mehrheit der Bevölkerung stellt, radikalisiert und zu einer Gefahr für Aktivist*innen, für die Meinungs-, Wissenschafts, und Pressefreiheit wird. Keine Gegenproteste zu organisieren, würde ein Zeichen der Akzeptanz senden, dass die Teilnehmer*innen womöglich noch bestärkt.

Alles Nazis?

Dass nicht alle Teilnehmer*innen rechtsradikal sind und es auch berechtigte Kritik an der Pandemiepolitik gibt, sind die häufigsten Argumente, die ich höre, wenn jemand vom Gegenprotest abrät. Dies ist an sich erstmal vollkommen korrekt. Es gibt da allerdings ein großes ABER.

Denn genau diejenigen, die eben keine Nazis, Verschwörungsideologen oder Reichsbürger*innen sind, sollten nach 2 Jahren Pandemie verstanden haben, mit welchen Menschen sie da gemeinsam auf die Straße gehen. Wer mitläuft muss verstehen, dass dies diese Gruppen weiter bestärkt. Natürlich kann es sich lohnen, so viele wie möglich aufzuklären, wer da neben ihnen steht. Doch nach fast 2 Jahren kann ich mir nicht vorstellen, dass es viele gibt, denen es nicht bewusst ist. Den meisten ist es anscheinend egal, wer neben ihnen steht.

Der Versuch Querdenker*innen „zurückzuholen“, ist nur sinnvoll, wenn er auf einer persönlichen Ebene stattfindet. Aktivismus kann das nicht leisten. Was wir als Aktivist*innen leisten können, ist der laute Gegenprotest auf der Straße. Es ist wichtig, sich nicht von dem vermeintlich bürgerlichen Charakter der „Spaziergänge“ täuschen zu lassen. Ein rechtsextremes Weltbild sieht man Menschen weder an ihrem Äußeren noch an deren Beruf oder ihren Hobbys an. Es sind häufig die Recherchen von Journalist*innen und Aktivist*innen die zeigen, wie rechtsextrem, esoterisch oder antisemitisch diese Gruppierungen sind.

Das Problem sitzt noch tiefer

Dass Wissenschaftsfeindlichkeit gefährlich ist, steht außer Frage. Doch die Größe dieser Demonstrationen und die auffällig niedrige Impfquote zeigt, wie tief die Strukturen dieser Szene in unserer Gesellschaft verankert sind. Als Beispiel sei hier auf einen Sketch der Kabarettshow Die Anstalt verwiesen, in der gut aufgezeigt wird, wie sich Anthroposophie, Homoöpathie und Co. in staatlichen Institutionen verankern konnten (Hinweise: die Sendungen von die Anstalt sind mit Faktenchecks hinterlegt).

Unser Ziel muss es sein, Wissenschaftsfeindlichkeit zu bekämpfen und das Vertrauen in wissenschaftliche Institutionen langfristig wiederherzustellen. Wichtig ist, dass endlich eine grundlegende staatspolitische Debatte geführt wird, in der des darum geht, Transparenz in allen öffentlichen Institutionen herzustellen, die den Staat gerechter zu gestalten und wieder Vertrauen in die Wissenschaft herzustellen. Klar ist, dass kaum eine Institution in unserer Gesellschaft aktuell perfekte Arbeit macht. Deshalb muss eine Neustrukturierung politischer Arbeit und Kommunikation ein Teil diese Debatte werden.

Um dies aber langfristig zu ermöglichen, ist es aktuell notwendig auf deren Radikalität angemessen zu reagieren. Eine angemessene Reaktion kann so aussehen:

1. Es ist wichtig, dieser Szene finanziell und Strukturell den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Das bedeutet: Homöopahtie, Anthroposophie und ähnliche Esoterik muss raus aus den Apotheken und Krankenkassen. Es muss Schluss sein mit den Privilegien für Pseudomedizin ohne evidente Wirkung.

2. Wer seine Kinder bei Demos als Schutzschild einsetzt, muss damit rechnen, das Sorgerecht zu verlieren. Istitutionen zum Schutz junger Menschen, Beratungsangebote und Co. müssen gestärkt werden. Die Praxis, Kinder einzusetzen, um sich bei der Demo zu schützen, muss sobald sie bei einer Veranstaltung sichtbar wird von der Polizei (am besten in Begleitung des Jugendamts) sofort unterbunden werden.

3. Aufklärung über Verschwörungserzählungen muss in die Unterrichtspläne. Naturwissenschaftliche Bildung und Medienkompetenz müssen stärker in den Fokus unserer Schulen. Es kann nicht sein, dass Fakten auswendig lernen so oft Teil unseres Unterichts ist. Es muss mehr dafür getan werden, dass Schüler*innen lernen, wo sie gute Informationen bekommen, wie sie diese kritisch hinterfragen und wie Wissenschaft wirklich funktioniert.

Dies sind nur einige Vorschläge. Das Wichtigste ist: Viele Menschen haben keine Lust mehr auf eine Pandemie, die sich, unter anderem wegen einer zu geringen Impfquote, in die Länge zieht. Wir haben genug davon, hilflos gegen Fake News, Verschwörungserzählungen und Hetze anzuschreien, während sich der Staat bei jeder neuen Eskalationsstufe überrascht zeigt, obwohl soviel davon seit fast 2 Jahren abzusehen ist.

Ich persönlich habe genug davon, mit Menschen zu reden, die den Bezug zur Demokratie und zu einer faktenorientierten Diskussion schon längst verloren haben. Deshalb ist es wichtig, bei den Protesten auf der Straße Flagge zu zeigen und bevor mir jemand wieder Spaltung der Gesellschaft vorwirft: Die Menschen, die sich von Fakten und von der Demokratie verabschiedet haben, sind keine Mehrheit in dieser Gesellschaft. Es ist ein kleine Minderheit. Es sind erwachsene Menschen, die sich entschieden haben, das Fundament unserer solidarischen Gesellschaft zu verlassen. Dafür können sie nun selbst die Verantwortung tragen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lion Rudi

politisch aktiv mit vielen Ideen (die wenigsten zu Papier gebracht; die allerwenigsten umgesetzt)

Lion Rudi

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden