Für echte Kerle!

Kitas Wer möchte, dass sein Kind in der Kita von Frauen und Männern erzogen wird, muss meist ziemlich lange suchen. Warum gibt es so wenige männliche Erzieher?
Mario Harms ist Erzieher aus Überzeugung
Mario Harms ist Erzieher aus Überzeugung

Foto: Jacques Kommer

Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich mir für kurze Momente die Zeiten zurückwünsche, in denen Männer einfach nur zur Arbeit gingen und Frauen sich um die Kinder kümmerten. Dann könnte ich mich an meinen Rechner verziehen, wenn es schwierig wird. Meine Lebensgefährtin würde sich um das schreiende Kind kümmern. Aus eigener Erfahrung weiß ich: Letzteres ist das Anstrengendere. Der Illusion, dass die Betreuung kleiner Kinder was Leichtes sei, kann sich nur hingeben, wer diese Erfahrungen nie gemacht hat.

Natürlich ist es aber richtig, dass die klassische Rollenverteilung heute als überholt gilt. Seit der Geburt unserer heute drei Monate alten Tochter arbeite ich Teilzeit. Ich verbringe zwar nicht ganz so viel Zeit mit ihr wie meine Lebensgefährtin, aber doch deutlich mehr, als das in der Generation meiner Eltern noch üblich war.

Nicht nur Fußball spielen

Zurzeit sind wir auf der Suche nach einer Kita. Und ich fände es gut, wenn meine Tochter dort auch mit dem gesellschaftlichen Wandel vertraut gemacht würde, wenn sie also genauso von Männern wie von Frauen betreut würde. Ich wünsche mir, dass sie nicht nur zu Hause, sondern auch in der Kita lernt, dass Männer mehr drauf haben, als nur Fußball zu spielen. Nichts gegen Fußball. Aber frei nach Grönemeyer denke ich, dass Männer noch andere Aufgaben haben: "Männer nehm’n in den Arm. Männer geben Geborgenheit."

Leider sind männliche Erzieher in deutschen Kitas aber immer noch eine Seltenheit. Obwohl ihre Zahl in den vergangenen vier Jahren von etwa 7.000 auf über 11.000 gestiegen ist – eine Steigerung um immerhin 58 Prozent –, machen Männer immer noch nur 2,9 Prozent der Kita-Fachkräfte aus. Die Entwicklung bei der professionellen Kinderbetreuung hängt den gesellschaftlichen Veränderungen drastisch hinterher. Das Problem hat nun sogar die Hamburger CDU erkannt, die großstädtisch-modern fordert, in der Hansestadt müssten in Zukunft mindestens 25 Prozent der Kita-Angestellten männlich sein.

Als Begründung für den Kita-Männermängel wird oft schnell auf das geringe Gehalt verwiesen. Ein Erzieher verdient mit einer Vollzeitstelle nach der Ausbildung zwischen 1.950 und 2.100 Euro. Hinzu kommt, dass oft überhaupt nur Teilzeitstellen vergeben werden. Aber ist das Geld wirklich der Hauptgrund? Ich rufe bei der Koordinationsstelle Männer in Kitas an. Das Programm koordiniert Einrichtungen mit Vorbildcharakter, plant Werbekampagnen, organisiert Kooperationen mit Schulen und Arbeitsagenturen. Der Europäische Sozialfonds und das Familienministerium fördern es mit 13,5 Millionen Euro.

Politologe Jens Krabel von der Koordinationsstelle hat für das Familienministerium eine Studie zu männlichen Erziehern geleitet. Ihn überzeugt das Geld-Argument nicht. Die Vorstellung, dass die geringe Bezahlung Männer abhalte, lässt er nur für bestimmte Milieus gelten. In Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit gelte der Job als Erzieher sogar als krisensicher, sagt Krabel. Im Vergleich zu anderen Berufsgruppen würden männliche Erzieher und Azubis die Entlohnung auch oft als ausreichend wahrnehmen, heißt es in seiner Studie.

Die unbezahlte drei- bis fünfjährige Ausbildung, räumt Krabel ein, sei aber ein Problem – "wenn sich der Freund in der Peergroup schon von seinem Lehrlingsgehalt als Mechatroniker ein Auto leisten kann". Nur: Wenn sich Männer erst bewusst entschieden hätten, während der Ausbildung nichts zu verdienen und einen gering entlohnten Beruf auszuüben, rücke der Faktor "Geld" zunehmend in den Hintergrund. Einen größeren Einfluss schreibt Krabel den stereotypen Rollenbildern zu, die immer noch stark die Berufswahl junger Menschen prägten. Beeinflusst durch die Eltern mit ihren jeweiligen Berufsbiografien und die Peergroup wählen die meisten Jugendlichen nach wie vor Berufe, die schon immer von Frauen oder Männern ausgeübt wurden.

„Authentische Männer“

Aber dann gibt es auch Erzieher wie Mario Harms. Er trägt ein Death-Metal-T-Shirt und Tattoos auf dem linken Arm. Und er arbeitet in der Kreuzberger Kita Komsu, einer der Kitas, die meine Lebensgefährtin und ich für unsere Tochter angeschaut haben. Zum Gespräch bittet er in ein kleines Büro neben den hellen Gemeinschaftsräumen. Harms hat sich sehr bewusst für den Beruf entschieden, schon in seiner Facharbeit hat er sich mit der Rolle männlicher Erzieher beschäftigt. "Das Kita-Alter ist prägend für die Entwicklung des Kindes in Bezug auf Identität und Geschlecht", sagt er. Der Männer-Mangel an deutschen Kitas sei besonders für Jungen ein Problem. "Wenn ihnen authentische Männer als Erzieher fehlen, übernehmen sie oft ein martialisches Männerbild, das sie aus den Medien haben, zum Beispiel aus Action-Comics."

Auch Mädchen würden durch traditioneller Rollenmuster in ihrem Handlungsspielraum eingeschränkt, das bekomme er täglich mit. Er erzählt von einem Mädchen, das in einem rosa Kleidchen kam. Die Farbe war nicht das Problem. Wohl aber, dass sie durch ihre Kleidung von vornherein am Klettern gehindert wurde. „Es sind Potenziale, die da verloren gehen.“

Es erstaunt Harms manchmal, wie verfestigt Rollenklischees schon bei vielen Kindern sind. Einmal fand er einen rosa Handschuh. Er wollte wissen, wem er gehöre. "Warum fragst du mich?", empörte sich ein vierjähriger Junge. "Das ist doch ein Mädchen-Handschuh." Solche Zuschreibungen will Harms nicht gelten lassen. Auch weil er sie für sich selbst ablehnt: "Ich will nicht als Mann automatisch für die Werkbank verantwortlich sein."

Trotz Vorreiter wie Mario Harms denken aber immer noch nicht nur Vierjährige sofort an Frauen, wenn sie das Wort Kita hören. Bis 2013, wenn alle Einjährigen einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz haben, fehlen nach einer Studie des Deutschen Jugendinstituts 23.000 Erzieher. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen fiel dazu bisher nur ein, den vielen Frauen, die bei der insolventen Drogeriekette Schlecker angestellt waren, nahezulegen, über eine Umschulung zur Erzieherin nachzudenken. Wenn in Mecklenburg-Vorpommern eine Werft pleitegeht, hört man solche Vorschläge nicht.

Neben geringer Bezahlung und gesellschaftlichem Umfeld gibt es aber womöglich noch einen weiteren Grund, warum es so wenige Männer in Kitas gibt – die Sache mit dem Missbrauchsverdacht. Männer werden ungleich häufiger verdächtigt als Frauen. Mario Harms sagt, direkt wurde er bisher noch nie damit konfrontiert. "Ich könnte auf den Vorwurf reagieren, wenn es einen gäbe, aber das Thema beschäftigt mich nicht täglich", sagt er. Im Zweifelsfall könne man dem aber selbstbewusst entgegentreten: "Ich bin nicht ‚der Mann’. Ich bin der Erzieher Mario. Wenn ein Kind weint, kann ich es auch auf den Schoß nehmen."

Männliche Kollegen

Jens Krabel von der Koordinationsstelle sieht auch die verbreitete skeptische Grundhaltung gegenüber männlichen Erziehern als Grund für den häufigen Missbrauchsverdacht. Je lockerer mit den Geschlechterstereotypen umgegangen werde, desto eher würde auch die "gedankliche Verbindung Männer gleich Missbrauch entkräftet". Und je mehr Männer den Einstieg fänden, desto leichter werde es für weitere, es ihnen gleichzutun. "Männer arbeiten lieber in Kitas, in denen es schon männliche Kollegen gibt."

Für meine Tochter haben wir nach einiger Suche nun mehrere Kitas zur Auswahl, in denen es männliche Erzieher gibt. Wir überlegen noch, für welche wir uns entscheiden sollen. Denn wer die Wahl hat ...

Jacques Kommer schreibt als freier Autor immer dann, wenn seine Tochter ihn lässt.

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Geschrieben von

Jacques Kommer

Journalist. Bloggt unter www.jacqueskommer.de zum Thema künstliche Intelligenz.

Jacques Kommer

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