No logo, reloaded

Vision Ein paar junge Aktivisten wollen die Welt werbefrei machen - und nehmen sich ein Beispiel an São Paulo. Aber erstmal fangen sie mit Plakatwänden in Berlin an
Ausgabe 20/2013
In Kreuzberg, wo sonst, fand der erste größere Protest statt
In Kreuzberg, wo sonst, fand der erste größere Protest statt

Foto: Jacques Kommer

Der Mann im schwarzen Jackett mit rosa Krawatte steht auf dem Bürgersteig an einem Stand, der auch auf dem Flohmarkt aufgebaut sein könnte, vor ihm auf dem Tisch eine mechanische Schreibmaschine. Er stellt Fragen. „Wenn Sie nachts schlafen, wovon träumen Sie?“ will er von Passanten wissen, die gerade stehen geblieben sind. „Träumen Sie davon, unendliche Freiheit beim Autofahren zu erlangen? Oder, dass es so schön prickelt in Ihrem Bauchnabel?“ Die Passanten müssen lachen.

Der Krawattenträger heißt Jonas Bannert, auf seinem Namensschild ist das Muster eines Barcodes zu sehen, wie man ihn von Produkten im Supermarkt kennt – er ist von einem Pflänzchen durchbrochen, dem Symbol für das Neue, das entstehen soll. Bannert ist Mitarbeiter des „Amts für Werbefreiheit und gutes Leben“, einer „Fachbehörde für einen Kiez ohne kommerzielle Außenwerbung und Anlaufstelle für alle Belange des Guten Lebens“. Er und etwa 30 andere Aktivisten haben eine Mission: Bis 2014 soll der Berliner Stadtteil Friedrichshain-Kreuzberg werbefrei werden – und dann die ganze Welt. Die Gruppe hat sich über einen konsumkritischen Verein und Facebook gefunden – es sind meist Akademiker zwischen 18 und Ende 30.

Wider den freien Willen

Die erste größere Aktion steigt an diesem Tag im Nieselregen in Kreuzberg, vor einer großen, weiß beklebten Werbetafel. Leute halten Pappschilder hoch, auf denen steht: „Wir sind die Stadt“ und „Werbung ist Moppelkotze“. Die Aktivisten haben die Werbefläche selbst angemietet, um Probleme mit der Polizei zu vermeiden. 200 Euro kostet das für zehn Tage. Eine Frau hält eine Rede. „Werbung hintergeht unseren freien Willen“, ruft sie. „Sie verführt uns dazu, Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen.“ Aber Werbung sei kein Naturgesetz. „Eine andere Welt – ohne Werbung – ist möglich!“ Die Zuschauer jubeln. Sambatrommeln.

Die Rednerin fährt fort: 18.000 Werbetafeln gebe es in Berlin, rund 3.000 Werbebotschaften nehme der Mensch im Durchschnitt im Laufe eines Tages auf. Das soll nun anders werden. „Wir laden Sie hiermit ein, das Amt zu sein“, ruft die Frau, und ihre Mitstreiter enthüllen die Werbetafel. Alle sollen etwas auf die weiße Fläche malen. Kurz darauf stehen Sprüche wie „Her mit dem guten Leben!“ oder „Bruttosozialglück für alle!“ auf der Tafel. Einer hat eine Sonne gemalt, ein anderer einen Elefanten.

Rüdiger Thiede, ein Mittfünfziger, der ein paar Straßen weiter wohnt und an diesem Nachmittag in seinem Kiez unterwegs ist, hält wenig von der Aktion. „Freizeitverhalten“ sei das. „Macht ja auch Spaß, hier zusammen mit Freunden rumzualbern.“ Er kommt mit einer Aktivistin ins Gespräch. Er glaube nicht, dass Werbung ihn manipulieren könne, schon gar nicht digitale. „Ich habe nicht mal ein Handy, ich lese noch Zeitung!“ Von der Überzeugungsarbeit hält er wenig: „Ihr seid wie die Zeugen Jehovas – die wissen auch, was für mich gut ist.“

Werbung, finden die Aktivisten, ist per se schlecht. „Das Prinzip an sich ist problematisch“, sagt Jan Korte, ein 26-jähriger Politikwissenschaftler, der das „Amt“ mit ein paar anderen zusammen gegründet hat. Ihn störe „die Aufforderung zum Immer-mehr“. Da sei es egal, ob für ein fair gehandeltes Smartphone oder für einen Hamburger von McDonald’s geworben wird.

Allgegenwärtige Botschaften

Dabei fühlen sich viele Menschen durch Werbung in der Stadt kaum behelligt. „Die meisten finden Werbung an sich okay“, sagt Aktivist Michael Hock, der ebenfalls eine rosa Krawatte trägt. „Obwohl sie sich im konkreten Fall darüber ärgern.“ Laut einer Erhebung der Fachzeitschrift Horizont stören sich 67 Prozent der Deutschen an Fernsehwerbung, 52 Prozent an Radiowerbung, aber nur 21 Prozent an Plakatwerbung. Und warum soll ausgerechnet die abgeschafft werden? Weil man sich ihr nicht entziehen könne, sagen die Aktivisten.

Auch die zunehmende Digitalisierung von Werbung sei problematisch. Im Netz sei die Werbung oft besonders penetrant – etwa aufpoppende Fenster, die man nicht wegklicken kann. Dass Straßenwerbung der Stadt auch Geld einbringt, ist für die Aktivisten kein Argument. Berlin profitiere vom Alleinstellungsmerkmal als „lebendige und kreative“ Stadt. Wenn sie werbefrei würde, könne man sich von Paris oder London abgrenzen. Und durch höhere Attraktivität steige auch der ökonomische Wert.

Aber kann das Projekt gelingen? Dass die Vision der Aktivisten nicht reine Utopie bleiben muss, zeige das Beispiel São Paulo. In der brasilianischen Metropole wurde 2007 beschlossen, dass es im Stadtgebiet keine Straßenwerbung mehr geben soll. Der Bürgermeister wollte sich mit diesem Verbot profilieren, bei den Bürgern kam die Idee gut an. Aber São Paolo ist noch eine Ausnahme. Das Projekt kam von einem Politiker. In Deutschland bräuchte es Druck von der Straße, ein langwieriger Prozess.

Gespräche mit der Enquête-Kommission

Es sei „schon ein Erfolg, wenn der Gedanke an eine Welt ohne Werbung bei einigen Menschen kurz aufblinkt“, erklärt einer der Aktivisten. Die Gruppe ist auch mit Berliner Politikern im Gespräch. Bezirksbürgermeister Franz Schulz von den Grünen zeigte sich angetan von dem Projekt, Friedrichshain-Kreuzberg werbefrei zu machen. Alkohol- und Tabakreklame auf öffentlichen Flächen ist ja bereits verboten. Werbung auf Privatflächen müsste allerdings die Bundesregierung oder die EU untersagen, „und die hat sich bislang immer wieder von der Tabak- und Alkoholindustrie kaufen lassen“. Die Enquetekommission des deutschen Bundestags „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ hat die Argumente der Aktivisten in einem Sonderpapier zumindest allen Mitgliedern der Arbeitsgruppe vorgestellt.

Aber was macht man mit den leeren Werbetafeln? „Darüber soll demokratisch abgestimmt werden“, sagt Jan Korte. Die Flächen könnten auch ganz verschwinden. Es könnte sehr mühsam werden, so etwas durchzusetzen. Aber es muss ja nicht gleich weltweit sein – die neue Welt fängt vor der Haustür an.

Der digitale Freitag

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Geschrieben von

Jacques Kommer

Journalist. Bloggt unter www.jacqueskommer.de zum Thema künstliche Intelligenz.

Jacques Kommer

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