Wer zu langsam ist, fliegt raus. So wie der Hotelpage, dessen Koffer am Ende zerbeult ist, weil er auf halber Strecke umgeknickt und mit dem Koffer auf der Schulter gestürzt ist.
„Berlin sucht den schnellsten Kellner“, so steht es auf der Einladung zu dem Kellnerderby 2013, das am Neuen Kranzler Eck, einer Shopping-Mall, ausgetragen wird. Ein Ort, der wenig ans Flair eines Kaffeehauses, an Kaffee und Kuchen erinnert. Dafür ist heute am Kurfürstendamm in Berlin verkaufsoffener Sonntag. Und um den Konsumenten bei Laune zu halten, gibt es an diesem Tag auch ein Spektakel.
Etwa 100 Hotelpagen, „Servierfräulein“ und Barkeeper sind von ihren Hotels oder Restaurants geschickt worden, um sich den verschiedenen Disziplinen zu stellen und nebenbei Werbung in
benbei Werbung in eigener Sache zu machen: Sie sollen ein Tablett mit Bier- oder Latte-Macchiato-Gläsern, einen Zehn-Kilo-Koffer oder vollen Bierkasten auf einer 400-Meter-Strecke von A nach B transportieren. Statt Charme oder Ästhetik geht es ums Tempo. Für den ersten Platz gibt es 500 Euro. War Kaffeehauskultur nicht mal langsam?Wie MarathonläuferEs ist ziemlich heiß an diesem Sonntag.Trotzdem sind mehrere hundert Zuschauer gekommen, die meisten Leute ab 40, manche mit ihren Kindern oder Rentner.Heinz Horrmann sitzt beim Kellnerderby in der Jury. Er ist „Deutschlands bekanntester Hoteltester“, bekannt aus TV-Formaten wie Die Kocharena (Vox) und Der Hotelinspektor (RTL). Beim Kellnern komme es auf die Fitness an, sagt er – selbst mehr der gemütliche Typ. „Kellner sind richtige Marathonläufer.“ Bestimmte Kriterien bei der Bewertung der Leistung der Kellner habe er jedoch nicht. „Es muss Spaß machen“, sagt Horrmann nur. Sonst wäre er selbst nicht da, wo er jetzt ist. Er habe schon „mit den größten Köchen der Welt gekocht“, erzählt Horrmann stolz. Dann muss er los – die Geschwindigkeit, die hier vorgegeben wird, ist auch seine.Dancefloor dröhnt aus den Boxen, die an der Laufstrecke aufgebaut sind. Vom „nostalgischen Kaffeehausflair“, mit dem das Café Kranzler auf der Homepage wirbt, spürt man hier rein gar nichts.Warum eigentlich dieser Wettbewerb? Geht es im Gastgewerbe heute schneller zu als früher? Man müsse das „differenziert“ sehen, sagt Horrmann, als wir uns weiter unterhalten, es hänge von der Tageszeit ab. Beim Business-Lunch sei man naturgemäß schneller fertig als bei einem Abendessen, bei dem der Gast den Tag in Ruhe ausklingen lassen wolle. Nur eines gelte für Tag und Nacht: Je tüchtiger der Kellner, desto entspannter der Kunde.Ratnachai Tomusch sieht das anders. In seiner Branche habe sich „auf jeden Fall“ etwas verändert. „Früher war es Powerwalking, heute Sprint“, sagt er. Der 23-Jährige muss gleich beim Kellnerderby mitlaufen. Normalerweise arbeitet er bei einem „Projektbüro für gehobene Gastronomie“. Man kann ihn mieten, als flexible Aushilfe auf Messen, in Hotels oder Restaurants.„Immer lächeln“, sagt er, das sei das Wichtigste. Er stammt aus Thailand, da sei es einem sowieso angeboren. Hat Tomusch ein Rezept für stilvolles Kellnern? „Rücken gerade halten und lächeln“, wiederholt er. Wenn ihm alles zu stressig werden sollte, „suche ich mir einen anderen Job.“ Für ihn ist Kellnern kein Sport.Zeit ist rar gewordenAndererseits werden wir im Restaurant ungeduldig, wenn mal fünf Minuten kein Kellner gekommen ist oder am Empfang des Hotels zu lange telefoniert wird. Zeit ist rar geworden. Dabei haben die Menschen Sehnsucht nach Entschleunigung, und die suchen sie auch in Restaurants. Man kann sich dort stundenlang aufhalten, wenn man möchte. So wie auch im Café. Der Schriftsteller Thomas Bernhard las dort stundenlang Zeitung und sah das als Teil seiner Arbeit.Am Kurfürstendamm rennen jetzt zehn junge „Servierfräulein“ in schwarz-weißen Kostümen mit Startnummern los, einer schwappt der Kaffee über, sie dreht um.Kellnerin Nummer 107 gewinnt.Sie ist 21 Jahre alt und heißt Anh Susann Pham Thi. Später findet die Siegerehrung auf der Bühne statt. Der Moderator fragt eine der Gewinnerinnen: „Kannst du schon wieder sprechen?“ – „Geht so“, sagt sie, „du musst auch keine komplizierten Fragen beantworten.“Ursprünglich stammt das Kellnerderby aus der Nachkriegszeit. Das Hotel- und Gaststättengewerbe lag damals nach 1945 am Boden, die Menschen wollten ihrem Alltag entfliehen. Die Alliierten richteten eine Polizeistunde ein. Weil die Sperrstunde im Ostsektor eine Stunde später begann als im Westen, ging, wer feiern wollte, in den Ostteil. Später wurde die Sperrstunde komplett abgeschafft. Ein sehr umtriebiger Gastronom, Emil Remde, rief schließlich mithilfe einer Concierge-Vereinigung den Kellnerlauf ins Leben.Das Prinzip SelektionEin bisschen gelangweilt steht ein älteres Ehepaar am Absperr-Eisengitter, ungefähr hundert Meter abseits der Bühne. Es ist eine lange Strecke, die beiden Rentner haben sich Klappstühle besorgt.Sie wundern sich über die endlosen Pausen zwischen den einzelnen Wettläufen in den verschiedenen Wettkampfarten. „Schlechte Show“, sagen sie, es gebe zwischendurch kaum Ablenkung. Sogar die Technik würde nicht richtig funktionieren – er könne den Moderator fast nicht verstehen, sagt der Mann, der einen Strohhut trägt, immerhin ist Sommer. Gehen die beiden gerne mal ins Restaurant? „Nein, schon lange nicht mehr“, sagen sie beide, das Essen sei dort vergiftet. Sie würden nur noch im eigenen Garten anbauen.Am Ende der Show wird schließlich der Hotelpage mit dem zerbeulten Koffer als Sieger gefeiert – der „Sieger der Herzen“. Doch in der täglichen Arbeitswelt gibt es den nicht, sondern das Prinzip Selektion. Wer nicht genug Leistung bringt, ist raus – da hilft auch kein Lächeln mehr.Wer Glück hat, bekommt in der harten Gastronomiebranche im besten Fall eines: Trinkgeld.